Freiburg im DFB-Pokal:Mit einer Wasserdusche nach Berlin

Freiburg im DFB-Pokal: Christian Streich konnte sich dann doch noch dazu durchringen, ein wenig zu feiern. Aber nur ei bissle.

Christian Streich konnte sich dann doch noch dazu durchringen, ein wenig zu feiern. Aber nur ei bissle.

(Foto: Martin Meissner/AP)

"De schönschte Sieg war des ned": Der Freiburger Trainer Christian Streich gibt sich nach dem Finaleinzug im Pokal beim HSV alle Mühe im Tiefstapeln - doch jetzt geht es um den größten Erfolg der Vereinsgeschichte.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Christian Streich sah angespannt aus. Die Haare zerzaust, die Stirn in Falten gelegt, die Augen starr nach vorne gerichtet. Er sah also aus wie immer. Für Streich spielte es da auch keine Rolle, dass dem SC Freiburg gerade eine monumentale Sache gelungen war, nicht weniger als ein kleines Stück badische Fußballgeschichte. Das Problem war nur: Streich wusste, dass ihn gleich alle danach fragen würden. Er machte sich schon mal bereit für das Spiel nach dem Spiel.

Und dann ging es los. Der erste Reporter wollte in Erfahrung bringen, ob dieses 3:1 im Pokal-Halbfinale gegen den Hamburger SV gleichbedeutend mit dem bislang schönsten Sieg in seiner Karriere sei. Streichs Antwort, zwecks Authentizität nur leicht komprimiert und mit original alemannischem Zungenschlag: Nee, also der schönschte Sieg war des ned. In der A-Jugend frühers, da hat's ja au schöne Siege gebe.

Der Fußball sei "gnadenlos", sagte der feierunwillige Streich

Reporter Nummer zwei wollte wissen, was ihm im Moment des Schlusspfiffs durch den Kopf gegangen ist. Streich: Weiß ich nimmer, keine Ahnung, tut mir jetzt au echt leid. Reporter Nummer drei fragte, wie die Mannschaft diesen Triumph jetzt zu feiern gedenke. Streich: Ja gut, mir habbe da Sieg doch scho gfeiert, vorher, mit de Fans in der Kurve.

Reporter Nummer vier versuchte es mit einem Trick. Ob er, Streich, sich denn vorstellen könne, was angesichts seiner persönlichen Erfolgsära in der Zukunft noch kommen möge? Jetzt sah sich Streich genötigt, ein bisschen "unsexy" zu werden, wie er das formulierte. Der Freiburger Coach setzte zu einer Rede an, in der er zwar einräumte, "momentan sehr erfolgreich zu sein", und klar, das sei auch "schön". Aber schön wird aus seiner Sicht jetzt erst mal gar nichts mehr. Der Fußball, sagte Streich, sei "gnadenlos", es könne im Prinzip jeden erwischen, da müsse man sich ja nur die aktuelle zweite Liga mit all den gestürzten Traditionsmarken ansehen. Man sah nun seine Augenbraue zucken, vielleicht hat man sich das aber auch nur eingebildet.

Freiburg-Trainer Christian Streich kämpft auf seine Art gegen die Euphorie

Und dann, als die circa zweiminütige Ansprache vorüber war, hatte Streich tatsächlich geschafft, was nur er schafft: Er hat nicht über die vereinseigenen Geschichtsbücher geredet, die jetzt um ein Kapitel erweitert werden müssen, weil es die Freiburger zum ersten Mal überhaupt ins Pokalfinale geschafft haben. Er hat sich auch den Hinweis verkniffen, dass die Freiburger vielleicht schon bald vor der schwierigen Entscheidung stehen könnten, welchen Erfolg sie auf dem Cover des historischen Nachschlagewerks platzieren. Ein Bild vom Pokalsieg in Berlin? Oder doch lieber eine Szene aus der Road-to-Champions-League-Story, die am Saisonende fertiggeschrieben sein könnte?

Streich hat stattdessen über Abstiegskampf geredet. Ach ja: Und dem Zweitligisten HSV eine baldige Rückkehr in die Erstklassigkeit gewünscht, das hat er auch.

Der Trainer Streich weiß wahrscheinlich sehr genau, dass er manchmal rüberkommt wie die badische Version von Woody Allens Stadtneurotiker, aber was soll er machen, er sagt halt, was er denkt. Und was er denkt, das ist ja auch von der Realität gedeckt, er hat das abschreckendste Beispiel für seine Thesen am Dienstagabend live präsentiert bekommen, im bis zum Rand gefüllten Hamburger Volksparkstadion. Der HSV liefert seit Jahren informatives Anschauungsmaterial darüber, wie man es nicht machen sollte. In Freiburg hingegen sind sie stolz darauf, dass sie wissen, wie man es macht, sie sind der Branchenführer in der inoffiziellen Aufwand-und-Ertrags-Tabelle.

Der HSV hatte zwar deutlich mehr Ballbesitz, aber keine reelle Chance

Andere Klubs geben mehr Geld aus für weniger Erfolg, sie haben bessere Standortbedingungen und lassen diese ungenutzt in der Gegend liegen. Manche dieser Klubs haben sogar einen größeren Mythos als die immer schon sehr tapferen Freiburger. Diese Klubs schaffen es halt nur nicht, ihren Mythos mit einer ordentlichen Gegenwartserzählung aufzuladen. Streich würde natürlich mit vollem Eifer dagegen argumentieren, aber es lässt sich nicht leugnen, dass ihm die Versäumnisse der anderen auch sehr zupasskommen. Denn dann kommen Spiele raus wie das Pokal-Halbfinale am Dienstag.

Es war fast schon frech, wie piepegal den Freiburgern ihr Favoritenstatus war, womöglich lag das an ihrer langjährigen Sozialisation als Außenseiter. Die Streich-Elf ließ den Außenseiter nämlich einfach den traditionellen Favoritenfußball spielen. Der Zweitligist HSV durfte gerne über den Ball verfügen, er durfte in der zweiten Halbzeit sogar ein Monopol auf ihn erheben und passen, passen, passen. Und die Freiburger sahen sich das auch wirklich interessiert an: Aha, sieht ja echt ganz schick aus, dieser Ballbesitz, aber Moment mal, was habt ihr jetzt eigentlich konkret vor mit dem Ball?

Die Gästemannschaft wollte nicht den Spielverderber geben, ihre Hamburger Spielkameraden durften sich nach Herzenslust austoben. Für die Freiburger war das ein guter Kompromiss. Sie definierten lieber die groben Spielregeln, denn sobald sich der Gegner den gefährlichen Zonen näherte, bekam er ein "Zutritt verboten"-Schild entgegengehalten und einen kleinen Warnhinweis mit auf den Weg, zum Beispiel einen Ellenbogenstoß des SC-Verteidigers Nico Schlotterbeck oder einen unsanften Bodycheck des Mittelfeldmanns Maximilian Eggestein. Die Freiburger legten einen im besten Sinne seriösen Auftritt hin. Und sie hatten eine ganze Menge Körpereinsatz dabei.

SC-Trainer Streich stellte wenigstens in Aussicht, ein Glas Wasser zu trinken

Abgesehen davon war auch der HSV offenbar erpicht darauf, sich möglichst genau an den Matchplan der Gästemannschaft zu halten. Kleine Fehler und Nachlässigkeiten des Gegners sind bei den Freiburgern stets mit einkalkuliert, und am liebsten mögen sie es, über die manchmal sehr gering geschätzte Disziplin namens "Standardsituation" zum Torerfolg zu kommen.

Der HSV-Torwart Daniel Heuer Fernandes brachte diese Komponenten schon nach elf Minuten zusammen, als er einen Eckball nur unzureichend abwehrte und so den Weg bereitete für den Kopfballtreffer des SC-Stürmers Nils Petersen. Nach 17 Minuten leistete sich Fernandes einen Fehlpass im Aufbauspiel, der das 2:0 durch Nicolas Höfler herbeiführte, und nach 35 Minuten verwandelte der Freiburger Spielmacher Vincenzo Grifo einen Elfmeter zum 3:0, weil sich der HSV-Verteidiger Moritz Heyer zuvor eine tollpatschige, als Foul gewertete Szene im eigenen Strafraum geleistet hatte.

"Wir hatten richtig gute Balleroberungen", lobte Streich, dessen Team man den jahrelangen Unterricht in den Fächern "Abgebrühtheit" und "Effizienz" ansieht. Das Selbstbewusstsein der Freiburger ist mittlerweile so selbstverständlich, dass sie an guten Tagen einen Beinahe-Spitzenteam-Fußball spielen, und diese Art von Fußball beruhte in der zweiten Halbzeit auch auf seriöser Verwaltungsarbeit. Die Streich-Elf verlor zu keinem Zeitpunkt die Spannung. Auch nicht nach dem späten Anschlusstreffer des Hamburger Stürmers Robert Glatzel (88.), der in den "Wir fahren nach Berlin"-Sprechchören der mitgereisten Freiburger Fans ohnehin fast untergegangen wäre.

Alle Fanfarenklänge sind vom Trainer Streich sicher konsequent überhört worden, er nahm nach dem Schlusspfiff auch die Knuddeleien der SC-Delegation und eine Wasserdusche nur sehr widerwillig hin. Das passte wiederum sehr gut zur Frage des Reporters Nummer fünf, der von Streich wissen wollte, ob er mit einem Glas Wein auf den Erfolg anstoßen werde.

Das könne sein, meinte Streich, das komme aber darauf an, "ob's überhaupt an Wein gibt". Und wenn nicht, dann trinke er halt ein Wasser.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusUli Hoeneß im Interview
:"Dann muss beim FC Bayern eine neue Ära beginnen"

Der Ehrenpräsident der Münchner spricht über die Aussichten der Basketballer, die Verluste durch die Pandemie - und erklärt, wie sehr er sich ärgert, dass die Meisterschaft der Fußballer nicht mehr ausreichend gewürdigt wird.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: