Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Verkehrte Welt in Freiburg

Der Sportclub ist gegen Borussia Dortmund lange die bessere Mannschaft, führt verdient - und kassiert am Ende doch noch drei Gegentore. BVB-Trainer Edin Terzic ist voll des Lobes, sein Kollege Christian Streich mahnt.

Von Sebastian Leisgang, Freiburg

In diesem Moment wirkte Christian Streich, als stehe er an der Supermarktkasse und warte in der Schlange, bis er an der Reihe ist. Seine Einkäufe musste er schon aufs Band gelegt haben, denn Streich hatte seine Hände in den Hosentaschen vergraben und schaute auf den Boden. Wer nur den Trainer des SC Freiburg beobachtete, der konnte nicht einmal ansatzweise erahnen, was da gerade passiert war: Dass Streich eben nicht neben einer Kassiererin stand, die mit Paprika, Milch und einer Packung Reis hantierte - sondern mitten im heimischen Stadion, umgeben von tausenden Freiburgern, die schrien vor Glück.

Streichs Mannschaft hatte gerade das 1:0 gegen Borussia Dortmund erzielt, das Publikum tobte oben auf den Rängen, doch unten am Spielfeld, dort, wo Michael Gregoritsch die Freiburger in Führung gebracht hatte, da war Streich ganz bei sich. Er riss nicht die Arme hoch, er ballte nicht die Faust, er reagierte nicht mal. Ob Streich schon in diesem Augenblick ahnte, dass es das noch nicht gewesen sein konnte? Dass da also noch einiges auf ihn und seine Mannschaft zukommen würde?

Am Ende hieß es ja 1:3, ein Resultat, das durch die Tore von Jamie Bynoe-Gittens, Youssoufa Moukoko und Marius Wolf erst in der letzten Viertelstunde des Spiels Form annahm und deshalb darüber hinwegtäuschte, wie gut sich Freiburg an diesem Freitagabend eigentlich geschlagen hatte. 75 Minuten lang sah es so aus, als könnte der Sportclub dem BVB die erste Niederlage dieser noch jungen Saison beibringen. Zweikampfhärte, taktische Disziplin und eine gewisse Aufmüpfigkeit: Die Freiburger brachten alles auf den Rasen, was es bedarf, um eine Mannschaft wie Borussia Dortmund zu bezwingen. Dann aber leitete Torhüter Mark Flekken die Wende ein, als er danebengriff, wie es auch mal am Supermarktregal vorkommen kann.

So gab es am Ende dieses Spiels zwei Lesarten, die sich grundsätzlich widersprachen, die aber trotzdem für sich reklamieren durften, wahr zu sein: Freiburg konnte mit Fug und Recht behaupten, genug richtig gemacht zu haben, um nach dem 4:0 in Augsburg auch das zweite Saisonspiel zu gewinnen - und der BVB konnte für sich in Anspruch nehmen, nie in Hektik verfallen zu sein und die Dinge dann eben doch noch auf eine spielerische Art und Weise geregelt zu haben, wie es der Vizemeister auch von sich selbst erwartet.

Als Edin Terzic später im Presseraum die 90 Minuten einordnete, musste man sich verwundert die Ohren reiben. Dortmunds Trainer hatte gerade zwar auch das neunte Bundesligaspiel nacheinander gewonnen und damit einen neuen Vereinsrekord aufgestellt - wer Terzic im Nachgang aber zuhörte, der konnte für einen Moment beinahe vergessen, wer eigentlich als Favorit in diese Partie gegangen war und wer als Außenseiter galt. "Ich habe, und das ist das größte Kompliment, was ich Freiburg machen kann, nichts gesehen, was wir nicht in der Analyse angesprochen haben - und trotzdem haben wir es nicht geschafft, es zu verhindern", sagte Terzic und sprach wenig später auch noch von "Phasen, in denen man gegen den SC Freiburg etwas leiden muss".

Klasse, die sich durchsetzt, und Phasen, in denen eine Mannschaft zu leiden hat: Sind das nicht Sätze, die man aus dem Mund von Trainern kennt, deren Mannschaft gegen Borussia Dortmund spielt? Ja, fernab des Ergebnisses war es ein bisschen verkehrte Welt am Freitagabend. Die Freiburger hatten ja nicht nur mit den Tugenden eines Außenseiters aufgetrumpft - sie schafften es auch, Dortmund auf fußballerischem Wege in eine gewisse innere Wallung zu versetzen.

"Sie haben uns teilweise sehr gut bespielt", sagte auch Nico Schlotterbeck, der erst zu dieser Saison aus Freiburg nach Dortmund gewechselt war und nun bei seiner Rückkehr einräumen musste, dass der Sportclub "teilweise feldüberlegen" war. Streich, Schlotterbecks ehemaliger Trainer, nahm solch anerkennende Worte zwar zur Kenntnis, er sah sich aber auch dazu veranlasst, explizit zu betonen: "Es ist wichtig für die Mannschaft, dass sie jetzt nicht denkt: Oh, wir waren doch so toll und haben so unglücklich verloren." Das Lob sei zwar "sehr freundlich", meinte Streich, aber: "Es bringt dir nichts. Du musst die richtigen Schlüsse ziehen, damit du in die nächsten Spiele wieder so reingehst - dann kannst du auch Bundesligaspiele gewinnen."

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