Freestyle:Sprünge, die andere ins Krankenhaus bringen

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Zeigt spektakuläre Sprünge, die sonst nur Männer stehen können: Lisa Zimmermann

(Foto: imago/GEPA pictures)

Die Freeskierin Lisa Zimmermann gewinnt als erste Deutsche die X-Games. Ihre Tricks galten bei den Frauen bisher als unmöglich.

Von Matthias Schmid

Lisa Zimmermann fühlte sich in den vergangenen Jahren oft übergangen. Sie hat gehadert und sich gefragt, was sie noch tun muss, damit sie mal eine Einladung für die X-Games erhält. Dabei ist Zimmermann, 20, im Moment die aufregendste Freeskierin des Planeten, Weltmeisterin, Gesamt-Weltcupsiegerin. Sie springt und steht mit ihren Skiern waghalsige Tricks, die bei den Frauen bisher als unmöglich galten. Bei den X-Games mitmachen zu dürfen, den Winterspielen der alternativen Sportarten, ist für Freeskier eine ähnlich große Auszeichnung wie für Schauspieler eine Nominierung für die Oscars. "Ich habe drei, vier Jahre vergeblich darauf warten müssen", sagt Zimmermann.

Mittlerweile kann sie das mit einem beseelten Lächeln erzählen. Denn sie war in diesen Tagen in Aspen/Colorado nicht nur dabei, sondern sie hat den sogenannten "Big Air Contest", den Sport-Oscar auch noch gewonnen - ziemlich überlegen und als erste Deutsche überhaupt.

"Ich kann es nicht glauben", sagte sie anschließend. Wer ihr eher zurückhaltendes Naturell kennt, für den klangen diese Worte fast schon ausgeflippt. Sie behält normalerweise ihr Inneres gerne im Inneren. "Ich dachte niemals daran, den Switch Double Cork 1080 zu stehen. Ich bin wirklich selbst überrascht. Glücklicher hätte es nicht laufen können."

Wie außergewöhnlich ihr Sprung mit drei kompletten Drehungen um die horizontale und vertikale Körperachse war, konnte man auf dem US-Sender ESPN erleben, der die X-Games veranstaltet und überträgt. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich der Puls der Live-Kommentatoren wieder den Werten eines Menschen im Normalzustand angenähert hatte. Sie waren so euphorisch wie südamerikanische Fußballreporter bei Toren ihrer Länder, als Zimmermann im Finale einen Sprung präsentierte, von dem man bisher ausgegangen war, dass ihn nur Männer auf Skiern stehen könnten.

Der Sprung sieht aus wie ein Korkenzieher

Er sieht aus wie ein Korkenzieher, deshalb der Name. Der Sportler springt über eine gewaltige Schanze und dreht sich in der Luft auf zwei verschiedenen Achsen um sich selbst.

Wer mit Lisa Zimmermann telefoniert, merkt schnell, dass sie den Aufgeregtheiten um ihre Person ziemlich unaufgeregt begegnet. Sie spricht ruhig und abgeklärt, sie wirkt viel reifer, als ihre 20 Jahre erahnen lassen würden. Aber sie hat auch einen ziemlich eigenwilligen Kopf, der ihr schon Ärger mit dem Deutschen Ski-Verband (DSV) eingebracht hat, weil sie Verbandsstrukturen für überflüssig und ungeeignet hält, genauso wie manch einen der ihr vorgesetzten Trainer. "Sie ist schon ein spezieller Typ", findet der Sportliche Leiter der deutschen Freestylesparte, Heli Herdt. "Aber wir respektieren ihre eigene Art, weil sie so erfolgreich ist."

Sie kann als Künstlerin mit Verbandsstrukturen nichts anfangen

Zimmermann zeichnet ein juveniler Hang zur Sorglosigkeit aus, wie viele Künstler folgt sie nur ihrem Bauch, sie mag keine Regeln, kein Gequatsche und erst recht keine hierarchischen Verbandstrukturen, weil sie glaubt, dass die ihr Freiheitsstreben und ihre Kreativität einschränken würden.

Am liebsten würde sie deshalb nur mit ihren Freunden und Kumpels abhängen, wie sie sagt. Den ganzen Tag auf dem Berg verbringen, Ski fahren, sich gegenseitig filmen und neue Tricks ausprobieren. Sie folgt dabei keinem ausgeklügelten Plan, alles soll fließen. Sie übt neue Moves nicht im Trockenen in der Halle und landet dann weich in der mit Schaumstoffwürfeln gefüllten Schnitzelgrube. "Ich lasse mich einfach von meinen vor mir fahrenden Kumpels inspirieren und probiere es dann im Schnee aus", erklärt Zimmermann. Das klingt bei ihr so unspektakulär, als würde sie über Inlineskaten oder Fahrradfahren reden.

Mutiger als andere Mädels finde sie sich jedenfalls nicht. Aber so manche Mitbewerberin, die sich am "Switch Double Cork 1080" schon versucht hat, landete nicht auf den Füßen, sondern im Krankenhaus. Zimmermann lässt alles Schwierige einfach aussehen, geradezu schwerelos.

Bis zu ihrem 14. Lebensjahr war sie Eiskunstläuferin

Vielleicht ist es ihr natürliches Bewegungstalent, das sie abhebt von der Konkurrenz, ihr besonderes Körpergefühl und ihre Orientierungsgabe in der Luft. Bis zu ihrem 14. Lebensjahr war sie Eiskunstläuferin, sie war so gut, dass sie kurz davor stand, in die deutsche Nationalmannschaft berufen zu werden. "Lisa hat einen höheren Luftstand als alle ihre Konkurrentinnen und damit mehr Zeit für ihre Rotationen", sagt Herdt.

Wenn Lisa Zimmermann allerdings dürfte, wie sie wollte, dann würde sie auf jede Form von Wettkämpfen verzichten. Sie muss aber bei Wettbewerben des internationalen Ski-Verbands Fis starten. Aus ganz pragmatischen Gründen: Ihre monatlichen finanziellen Zuwendungen durch die Deutsche Sporthilfe oder der Bundeswehr hängen davon ab. "Die legen großen Wert darauf, dass ich da mitmache", sagt Zimmermann. In einem bleibt sie sich aber treu, sie präsentiert ihre atemberaubenden Sprünge einem größeren Publikum nur, wenn sie das will. Zum Beispiel den "Double Cork 1260", den sie als einzige Frau beherrscht. Das ist eine doppelte Überkopfdrehung mit dreieinhalbfacher Schraube. Im Wettkampf hat sie ihn noch nicht gezeigt. Aber nicht, weil sie es sich nicht zutraute, sondern weil sie es nicht wollte, wie Lisa Zimmermann in ihrer nonchalanten Art sagt. "Ich hatte bisher einfach keine Lust."

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