Freestyle-Ski:Rückwärts nach oben

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„Vielleicht klappt es so gut, weil ich durch die Verletzungen gezwungen werde, zur Ruhe zu kommen.“ – Sabrina Cakmakli. (Foto: Clive Mason/Getty Images)

Die Allgäuerin Sabrina Cakmakli wird in Pyeongchang die einzige deutsche Starterin in der Halfpipe sein.

Von Julian Budjan

Freestyle-Skiing ist ein "saugefährlicher Sport", wie Sabrina Cakmakli, die selbst Freeskierin ist, es ausdrückt. Vor allem Knieverletzungen kommen bei den Salti und Drehungen schlagenden Athleten häufig vor. Wenn man sich aber noch vor der Vollendung des 21. Lebensjahres drei Kreuzbandrisse zuzieht, könnte man erwägen, sich einen risikoärmeren Beruf zu suchen. Doch Aufgeben kommt für Cakmakli nicht infrage. Zu sehr liebt die heute 23-jährige Allgäuerin es, die ganze Welt zu bereisen und mit Skiern unter den Füßen durch die Lüfte zu wirbeln.

"Selbst meine Oma weiß immer noch nicht, was ich da mache."

"Ich lebe einen Traum", sagt sie. Und nach jedem Rückschlag kommt sie umso stärker zurück. Es scheint, als treiben die Verletzungen sie zusätzlich an.

Auch in der laufenden Saison blieb sie nicht verschont. Beim ersten Halfpipe-Weltcup in Neuseeland im August 2017 brach Cakmakli sich das Schlüsselbein. Wieder kein Skifahren, wieder Reha, wieder Zurückkämpfen. Nach zwei Monaten stand sie wieder auf den Brettern, am Kitzsteinhorn in Österreich probte sie mehrere Wochen für ihr Comeback. Und dann, Anfang Dezember, beim Weltcup in Colorado, war sie wieder da. Und wie: Sie qualifizierte sich fürs Finale, wurde Achte und erfüllte gleich beim ersten Wettkampf die Norm für die olympischen Spiele in Pyeongchang. Cakmakli wird dort die einzige deutsche Starterin in der Halfpipe sein. Zwei Wochen später fuhr sie in China auf den vierten Platz vor, ihr zweitbestes Ergebnis überhaupt. Cakmakli ist dran an der Weltspitze. "Vielleicht klappt es so gut, weil ich durch die Verletzungen gezwungen werde, zur Ruhe zu kommen und nicht jeden Tag mit Vollgas trainieren kann", mutmaßt sie über ihre enormen Stehaufqualitäten.

Ihr zweiter Kreuzbandriss im Jahr 2013 brachte sie überhaupt erst zu den Spielen in Sotschi. Weil bei den ersten Fahrversuchen nach der Verletzung im Slopestyle, ihrer damaligen Stammdisziplin, das Knie noch schmerzte, fuhr sie mit einer Freundin spaßeshalber in der Halfpipe und fühlte sich dort auf Anhieb wohl. Zwei Wochen später meldete sie ihr Trainer zu ihrem ersten Halfpipe-Weltcup an. Während sie beim Slopestyle eine Abfahrt mit Hindernissen und verschiedengroßen Schanzen runterfahren musste und ihr Knie dabei voll belastet wurde, landet sie in der Halfpipe mit ihren zwei Steilwänden sanfter. "Man kann dort auch selbst regulieren, wie hoch man springt und so auf schlechte Bedingungen reagieren, im Slopestyle muss man über die Kicker drüber kommen, sonst hat man ein Problem", erklärt sie.

Doch der Halfpipe treu blieb Cakmakli, weil sie dort erfolgreich ist. Der Disziplinwechsel sei das Beste gewesen, was ihr passieren konnte, sagt sie heute. Schon nach wenigen Monaten in neuen Gefilden löste sie im Januar 2014 das Olympiaticket für den erstmals olympischen Halfpipe-Wettkampf, mit gerade mal 19 Jahren. "Es ist wie im Märchen", schwärmte sie damals und belegte in Russland Platz 14. Danach holte sie bei der Junioren-WM Gold in der Halfpipe und Bronze im Slopestyle.

Die Zeit der Märchen liegt nun hinter ihr. Der Spitzname Railpunzel, den sie wegen ihres langen Zopfs innehatte, ist ihr mittlerweile etwas unangenehm. Er passt auch nicht mehr so recht zu ihr. Cakmakli ist reifer und ehrgeiziger als vor vier Jahren: "Es ist dieses Mal nicht das Ziel, nur dabei zu sein. Ich will vorne mitfahren können", sagt sie. "Eine Medaille wäre der Hammer, aber da müssen viele Faktoren passen." Die meiste Zeit ihres Lebens war sie auf dem Snowboard unterwegs. Erst im Alter von 15 Jahren wünschte sie sich zu Weihnachten Freestyle-Ski, weil viele ihrer meist männlichen Freunde damit anfingen. Nach der Schule ging es jeden Tag auf die Piste. Schon früh war es Cakmakli zu langweilig, nur die Berge runterzufahren. Dass sie mal bei Olympia starten würde, hätte sie sich aber nie träumen lassen.

In Aspen bestreitet sie ihren letzten Weltcup vor Olympia

Doch dann wurde die Sportart hin zu den Spielen 2014 in olympische Bahnen gelenkt. Das fand nicht jeder aus der Szene gut. Denn die Freeskier kamen lange ohne das Korsett aus Trainern, geregeltem Training, Nationalkadern, Ärzteteams und Olympianormen aus, waren unabhängig. "Der Sport hat sich schon verändert, er ist jetzt nicht mehr so frei und cool, wie er früher war", sagt Cakmakli, die als Sportsoldatin ihr Gehalt von der Bundeswehr bezieht, "dafür werden wir in der Öffentlichkeit jetzt mehr wahrgenommen, das ist super."

In Deutschland ringen die Freeskier aber nach wie vor um mehr Anerkennung, ihre Kollegen aus den USA und Kanada sind in ihrer Heimat hoch angesehen und werden von den Sponsoren besser unterstützt. Viele deutsche Zuschauer hätten Probleme, zu verstehen, worauf es ankomme und würden kaum Unterschiede zwischen den Athleten erkennen, glaubt Cakmakli: "Bei den Alpinen gibt es Zeiten, das kann jeder nachvollziehen", sagt sie. "Selbst meine Oma weiß noch immer nicht, was ich da eigentlich mache."

Verwechslungsgefahr besteht bei ihr jedenfalls nicht. Schließlich ist sie die einzige rückwärtsfahrende Frau. Seit dem ersten Wettkampf in der Halfpipe ist das ihr Markenzeichen. "Ich wusste, wenn ich wirklich auf die Halfpipe umsteige, will ich die sein, die rückwärts reinfährt. Das hat irgendwie einen Wow-Effekt", sagt sie.

In Aspen, USA, bestreitet Cakmakli an diesem Freitag ihren letzten Weltcup vor Olympia. Eine Mischung aus Anspannung und Vorfreude mache sich langsam in ihrem Innern breit, beschreibt sie. Sie möchte sich auf dem Trampolin noch einen Trick aneignen, den sie erst in Südkorea zeigen wird. Vielleicht gibt dieser den Ausschlag, dass es klappt mit dem Traum von der olympischen Medaille. Spätestens dann hätte sich Cakmakli für ihre Leidensfähigkeit belohnt.

© SZ vom 12.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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