Big-Air-Schanze bei Olympia:Ein Deutscher zwischen Protz und Action

Big-Air-Schanze bei Olympia: Hoher Flug vor dem Monstrum: Die Big-Air-Schanze der Peking-Spiele.

Hoher Flug vor dem Monstrum: Die Big-Air-Schanze der Peking-Spiele.

(Foto: Jae C. Hong/dpa)

So gewaltige Bauwerke wie das Big-Air-Stadion bei den Winterspielen gab es noch nie bei Olympia. Ihr Erfinder ist der Allgäuer Dirk Scheumann - ein Mann mit Visionen, die in China gut ankommen.

Von Thomas Becker

Am Anfang war der Schrottplatz. Dirk Scheumann war Anfang zwanzig, fuhr für Deutschlands erstes Freeski-Team, aber langweilte sich an seinem Hausberg fürchterlich, weil es keine Schanzen, keine Rails, kein Garnichts gab, was Freeskiern Spaß macht. Als gelernter Zimmerer und Bautechniker dachte er sich: "Bau' ich mir halt selbst was."

Auf dem Schrottplatz suchte er ein bisschen was zusammen und begann zu sägen, zu hämmern und zu schaufeln. "Das war reiner Egoismus", erinnert er sich, "es gab einfach nichts Anständiges bei uns in der Ecke, und ich wollte halt fahren ..." Sein Plan: über den Winter die Zeit bis zum Studium überbrücken. Hat nicht geklappt. "Ich bin dann tatsächlich in diesem Business hängengeblieben", sagt der heute 43-Jährige, und dieses Business hat den Kemptener nun bis nach China gespült: als Bauherr der wohl spektakulärsten Slopestyle- und Big-Air-Anlagen, die je für Olympische Spiele gezimmert wurden.

Was mit ein paar hingeklopften Kickern am Fellhorn im Allgäu begann, ist heute das weltweit operierende Unternehmen Schneestern mit 65 Angestellten. 13 davon, inklusive Chef, sind seit Anfang Januar in Peking beziehungsweise in den Bergen in Zhangjiakou, um die besten Snowboarder und Freeskier mit dem in den vergangenen drei Jahren entwickelten Kurs vor ein paar Herausforderungen zu stellen.

Big-Air-Schanze bei Olympia: Immer die chinesische Schneemauer entlang: Slopestyle in Zhangjiakou.

Immer die chinesische Schneemauer entlang: Slopestyle in Zhangjiakou.

(Foto: Wu Zhuang/Xinhua/Imago)

Die Boarder haben die Slopestyle-Wettkämpfe schon hinter sich und zeigten sich beeindruckt von der Abfolge der Kicker und Rails: "Das ist kein Standard", lobte Freestyle-Bundestrainer Michael Dammert, "da ist Kreativität gefragt." Kreativ waren die Kursbauer nicht nur bei den wie mit dem Meißel ziselierten Hindernissen, sondern auch bei der 200 Meter langen und fünf bis sechs Meter hohen Nachbildung der Chinesischen Mauer. Das sei keine ornamentale Ranschmeiße an die Veranstalter, sondern vielmehr eine Notwendigkeit, die man von Anfang an im Konzept hatte, sagt Scheumann: "Bei den Test-Events in den letzten Jahren hatte es da oben einen starken Westwind. Das war teilweise kritisch für die Fahrer. Und schließlich haben wir aus den Problemen von 2018 gelernt."

Ein permanentes Big-Air-Stadion in einer Industriebrache? Scheumann dachte erst an einen Telefonscherz

Bei den Spielen in Pyeongchang war die Firma Schneestern auch schon im Boot, hatte den internationalen Pitch des Weltskiverbandes Fis gewonnen - und stand dann vor extrem schwierigen Aufgaben. Starke Windböen machten seriöse Wettkämpfe teilweise unmöglich, es kam zu zahlreichen Stürzen.

Nun also China. Dass Scheumann den Zuschlag für die Gestaltung des Slopestyle-Kurses in Zhangjiakou bekommen würde, war wohl schon in Pyeongchang klar - doch als ihn die Fis nach den ersten Meetings in China fragte, ob er statt der üblichen temporären Gerüstkonstruktion das weltweit erste permanente Big-Air-Stadion bauen wolle, in der Industriebrache eines aufgelassenen Stahlwerks mitten in Peking, da dachte er zunächst an einen Telefonstreich: "Ich konnte mir das überhaupt nicht vorstellen."

Scheumann nimmt den Auftrag aber nicht als Indiz für chinesischen Olympia-Protz - "letztlich ist es das finale Indiz, dass das Thema Action-Sports jetzt wirklich angekommen ist", sagt er. "Ich bin immer noch überwältigt, dass wir es mit unserem Sport so weit gebracht haben. Es ist ja erst 20 Jahre her, dass wir uns irgendwelche Kicker geschaufelt und gedacht haben, das ist eigentlich ganz cool. Und jetzt konzipieren wir so ein Big-Air-Stadion! Schon verrückt."

Big-Air-Schanze bei Olympia: Dirk Scheumann, früher Freestyle-Skifahrer, heute Action-Sport-Unternehmer.

Dirk Scheumann, früher Freestyle-Skifahrer, heute Action-Sport-Unternehmer.

(Foto: Kyodo News/Imago)

Dabei sei der Gedanke, sich mal als Unternehmer selbständig zu machen, zunächst "ein absolutes No-Go" gewesen, erzählt Scheumann, "in der Familie gibt es nur bodenständige Handwerker, keinen einzigen Unternehmer, nirgends". An den ersten Auftrag außerhalb des Allgäus erinnert er sich noch gut: ein Snowboard-Event im Sauerland, der Veranstalter war ein Kumpel. Der Freeskier konnte gut Baupläne zeichnen, was Eindruck gemacht hat.

Und so ging's weiter: Immer schön dranbleiben! Doch bald holte ihn die Problematik eines klassischen Saisongeschäfts ein: "Immer, wenn ich gute Mitarbeiter an dem Punkt hatte, dass man den nächsten Schritt hätte machen können und Verantwortung abgeben, immer dann sind diese Leute weggebrochen, weil mit Frau und Kind solche Saisonjobs irgendwann nicht mehr gehen."

Dirk Scheumann fragte sich dann: Worum geht's mir eigentlich? Was treibt mich an? Seine Antwort: der Action-Sport, immer schon. Freeskiing, semiprofessionelles Inline-Skaten, Longboard-Rennen, Surfen, Dirtjumps, "alles was den Körper beschleunigt, was gleitet, was rollt und einen Flow erzeugt", schwärmt Scheumann, "und somit war klar: Okay, wir sind eine Action-Sport-Company! Und zwar eine, die den Action-Sport gesellschaftlich verankern will, weil es einen gesellschaftlichen Mehrwert bringt, Stichwort soziale Rendite."

Skateparks als Treffpunkt für Kiffer? Heute sollen sie Orte für Kinder und Eltern sein

Skateparks seien längst kein Kiffer-Treffpunkt mehr. Es gebe eine Veränderung hin zu mehr Individualität, eine Gegenbewegung zu den starren Strukturen in vielen Vereinen. "Mit 14, 15 habe ich Tennis gespielt", erzählt Scheumann, "und musste den Platz immer schon eine Woche im Voraus buchen. Weiß ich, ob ich in einer Woche Tennis spielen will? Ob's da regnet? Das war mir zu viel Fremdbestimmtheit."

Inzwischen baut und konzipiert er im Winter Snowparks und im Sommer Bike- und Skate-Parks. Oder er verbindet beide Sportarten im "Urban Sports Park", kombiniert mit Fitness-Elementen und Aufenthaltsflächen für Eltern. "Wir müssen die Kids da abholen, wo sie beginnen, sich für irgendetwas zu interessieren, den Spaß spüren und dann da hängen bleiben." Die Nachfrage sei riesig, es gehe dabei auch viel um Planung, Konzeption - und um Aufklärung. "Viele können einen Skatepark nicht vom Pumptrack unterscheiden. Das ist anstrengend, aber auch spannend."

Wie die Zusammenarbeit mit den Chinesen. Die seien zwar sehr professionell und "in vielen Kleinigkeiten extrem gut organisiert, fast schon zu gut, aber man muss halt alles ganz genau erklären", sagt Scheumann, "die sind nicht so native wie wir in vielen technischen Dingen. Aber sie lernen schnell." So wie damals der junge Mann, der vom Schrottplatz kam.

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