Wintersport:Quantensprung mit sanfter Landung

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Deutschlands derzeit bester Snowboard-Freestyler: Noah Vicktor. (Foto: Oliver Lerch/Gepa Pictures/Imago)

Besser und sicherer trainieren: Die erste Landing-Bag-Anlage Deutschlands am Bundesstützpunkt Berchtesgaden ermöglicht den Freestylern des Deutschen Skiverbandes und von Snowboard Germany, nahezu das ganze Jahr über an ihren Tricks zu schrauben.

Von Thomas Becker

27. September, ein herbstlicher Freitag an den Christophorusschulen Berchtesgaden. Schnee ist hier oben noch nicht in Sicht, dennoch haben ein Snowboarder und eine Freeskierin ihre Sportgeräte untergeschnallt. Fanfaren ertönen, eine Lautsprecherstimme zählt runter auf eins, ruft „Und auf geht’s!“, und dann zwirbeln die Sportler zwei irre Sprünge über die Schanze. Sie landen letztlich auf dem Hosenboden, was aber selten so egal war. Der Lautsprecher jubelt: „Meine Damen und Herren, der erste offizielle Sprung! Ihr Applaus für Muriel Mohr und Noah Vicktor!“ Eine historische Flugshow, denn mit diesen Hüpfern auf der ersten Landing-Bag-Anlage Deutschlands am Bundesstützpunkt Berchtesgaden könnte eine neue Ära für die Freestyler des Deutschen Skiverbandes sowie von Snowboard Germany anbrechen. Viele Menschen finden an diesem Tag große Worte für das so lang herbeigesehnte Sprungkissen, und fast keiner kommt dabei ohne den handelsüblichen Begriff „Gamechanger“ aus.

Für die am Wochenende mit dem Big-Air-Wettkampf in Chur beginnende Weltcup-Saison kam die Einweihung jedoch ein wenig zu spät. Zwar haben viele Athleten – rund hundert aus beiden Verbänden – schon auf der Anlage trainiert, ein spürbarer Effekt dürfte aber erst im Verlauf dieses Winters oder im kommenden zu verzeichnen sein. Das ist dann schon ein Olympia-Winter, für dessen Höhepunkt, die Spiele von Mailand und Cortina d’Ampezzo 2026, die Qualifikation bereits begonnen hat.

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Mit Blick auf die Startliste für den Big Air am Samstag sagt Deutschlands derzeit bester Snowboard-Freestyler Vicktor: „Wirklich alle Top-Athleten sind hier. So eine Konkurrenz war noch nie in Chur. Viele finden den Kicker am Anfang der Saison zu tricky, aber das hat dieses Jahr niemanden abgeschreckt. Jeder will die Punkte mitnehmen.“ Der 23-Jährige vom WSV Bischofswiesen ist wie Teamkollegin Annika Morgan (SC Miesbach) in Chur am Start, Leon Gütl (Bischofswiesen) und Leon Vockensperger (SC Rosenheim) schafften es nicht unter die 50 Punktbesten. Mit Platz neun vor sechs Wochen in Cardrona (Neuseeland) hat sich Vicktor bereits die halbe WM-Norm gesichert; er könnte in Chur, wo er mal Vierter war, mit einem Top-16-Platz sogar schon das Ticket für die WM im März in St. Moritz lösen.

Die Saisonvorbereitung bestritt er in Neuseeland und am Hintertuxer Gletscher, erwischte viele Schneetage, aber selten brauchbares Wetter: „Die Tage, an denen wir große Kicker springen konnten, kann ich an einer Hand abzählen“, erzählt Vicktor. Freeski-Kollege Vincent Viele ging es ähnlich: keine Chance, die geplanten Umfänge zu absolvieren. Doch die teuren Trainingslager am anderen Ende der Welt gehören dank des Landings Bags der Vergangenheit an. „Hier kann ich die Tricks ordentlich in den Kopf bekommen und unter Laborbedingungen trainieren“, sagt Sportsoldat Veile, der neuerdings für den TSV 1860 München startet. Das Finale der besten Zehn verpasste er in Chur als 16. zwar, ließ in der Qualifikation aber Weltmeister und mehrfache X-Games-Sieger wie Andri Ragettli und Fabian Bösch hinter sich. Korbinian Resenberger, Referent Leistungssport Freeski, jubelt: „Ein super Start in die Olympia-Quali-Saison.“

Muriel Mohr mit der Bronzemedaille bei den Olympischen Jugendspielen in Gangwon-do. (Foto: Thomas Lovelock/USA Today/Imago)

Teamkollegin Muriel Mohr vom Kirchheimer SC qualifizierte sich derweil als Vierte souverän für das Finale der besten Acht, in dem sie starke Dritte wurde. Die 18-Jährige hatte sich in der Saisonvorbereitung den Trip nach Übersee schon gespart. Nach dem Abitur studiert sie nun Gesundheitswissenschaften und hat nach zwei Mal Junioren-WM-Gold und Jugend-Olympia-Bronze durchaus Ambitionen im Hinblick auf die Weltspitze. Dank Landing Bag ist das keine Utopie mehr.

Andreas Scheid, Sportdirektor von Snowboard Germany und über sieben Jahre einer der maßgeblichen Antreiber des Projekts, sagt: „Die Athletinnen und Athleten haben jetzt die Möglichkeit, neben Athletik- und Trampolin-Training nahezu das ganze Jahr über an ihren Tricks zu schrauben – ohne dafür ins Auto zu steigen.“ Das sei „ein Quantensprung“. Verbandspräsident Michael Hölz fügt an: „Wir können besser und sicherer trainieren. Das war es wert, jeden Stein umzudrehen, um die Finanzierung zu stemmen. Davon profitieren wir auch in Zukunft.“ Finanziert wurden die 2,5 Millionen Euro Baukosten zu 80 Prozent aus Bundes- und Landesmitteln, den Rest stemmten Stiftungen, Sparkassen, die Gemeinde und weitere Unterstützer aus der Region. Was lange währte, könnte ziemlich gut werden.

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