Freeski:Um fünf ist Nachhilfe unten im Tal

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"Zu wenig Training": Muriel Mohr übt gerade den Spagat zwischen Spitzensport und Abiturvorbereitung. (Foto: Matic Klansek/Gepa Pictures/Imago)

Muriel Mohr, 17, reist zu den Olympischen Jugend-Winterspielen in Südkorea. Sie ist die Jüngste, aber auch die Erfolgreichste des deutschen Teams - dennoch will sie auch nach dem Abitur nicht nur auf ihren Sport setzen.

Von Thomas Becker

Die Chefs haben sich als Beobachtungsposten ein feines Plätzchen ausgesucht: einen Hügel am Gaiskarferner neben der Piste, unterhalb der Schaufelspitze, mit 3333 Metern "Top of Tyrol". Hier haben Heli Herdt und Korbinian Resenberger nicht nur schön die Sonne im Gesicht, sondern auch freie Sicht auf das Südtiroler Gipfelmeer in der Ferne und die spektakuläre Hügellandschaft namens Stubai Zoo, den berühmten Snowpark des Stubaier Gletschers. Jedes Jahr zaubern die Allgäuer Spezialisten der Firma Schneestern hier einen olympiareifen Slopestyle-Parcours in den Hang. Was mal eine müde blaue Piste war, ist seit zehn Jahren im Spätherbst Treffpunkt der weltbesten Freestyle-Skifahrer und -Snowboarder, die hier neue Tricks üben und Ende November in die Weltcupsaison starten.

Da schauen Herdt und Resenberger natürlich genau hin, der eine als Sportdirektor Skicross und Freeski, der andere als Teammanager der Schraubendreher und Saltoschläger. Vier Schützlinge sollten an den Start gehen, doch Aliah Eichinger (TSV Schönberg) zog kurzfristig zurück. Und das übrige Trio enttäuschte: Der schon mal mit einem vierten Platz auffällig gewordene David Zehentner (SC Bayrischzell) freute sich immerhin, nach seinem Kreuzbandriss überhaupt wieder dabei zu sein, Vincent Veile (TSV 1860 München) konnte mit Rang 47 nicht begeistern - und auch Muriel Mohr, die mit 17 zwar die Jüngste, aber auch schon die Erfolgreichste des Teams ist, landete bloß auf Platz 18.

Warum? "Zu wenig Training", meint Mohr nach zwei missratenen Durchgängen. Das ist kein Wunder, sie versucht sich ja auch gerade an der Quadratur des Kreises: mit der praktisch nonstop trainierenden Weltspitze mithalten und zugleich Abitur bauen. Apropos: Sie müsse jetzt los, sagt sie, um fünf ist Nachhilfe, unten im Tal.

Olympia- und X-Games-Siegerin Sarah Höfflin muss mit dem Helikopter ins Krankenhaus geflogen werden

Statt ständig hin und her zu reisen, hatte das deutsche Freeski-Team für den letzten Teil der Saisonvorbereitung Station in einem Appartement in Telfes gemacht, einem Örtchen am Beginn des Stubaitals, nur 30 Autominuten vom Gletscher entfernt. Als Langzeitmieter konnte Resenberger einen guten Preis aushandeln, und wäre das Wetter im November nicht so durchwachsen gewesen, wäre auch richtig viel Training drin gewesen. Doch da Freeskier bei ihrem extrem gefährlichen Sport ohne gute Sicht auf Absprung und Landung gar nicht erst in die Luft gehen, wurden es doch nicht so viele Schneetage.

Der internationalen Konkurrenz ging es nicht anders, und so sahen Herdt und Resenberger beim Weltcup-Auftakt von ihrem Hügel aus jede Menge Stürze. Olympia- und X-Games-Siegerin Sarah Höfflin musste gar mit dem Helikopter ins Krankenhaus geflogen werden.

"Erst mal viel reisen, und dann wahrscheinlich Geografie studieren, in Innsbruck": Muriel Mohr blickt über ihren Sport hinaus. (Foto: Angelika Warmuth/Gepa Pictures/Imago)

Das blieb Muriel Mohr gottlob erspart. Trotz ihres so erfolgreichen Sommers - Ende August ist die für den Kirchheimer SC startende Schülerin in Neuseeland Junioren-Weltmeisterin im Slopestyle geworden - konzentrierte sie sich in der Folge auf ihren Abschluss am Ismaninger Gymnasium.

Und auch wenn sie diesen in den kommenden Monaten erfolgreich absolviert haben wird, woran wenig Zweifel besteht, wird sie danach nicht alles auf die Freeski-Karte setzen. Auch wenn Sportdirektor Herdt das am liebsten sähe: zwei Jahre lang auf Olympia vorbereiten und womöglich mit einer Medaille um den Hals zurückkehren. Aber Mohr hat nicht vor, der nächsten großen Medaillenjagd alles unterzuordnen. Ihr Plan für die Zeit nach dem Abi sieht vielmehr so aus: "Erst mal viel reisen, und dann wahrscheinlich Geografie studieren, in Innsbruck."

Immerhin Innsbruck, wird man beim DSV denken: nur 40 Kilometer bis zur Talstation im Stubai. Und dass da eine junge Athletin selbstbestimmt ihren Weg geht, ist doch ein schönes Signal. Kein Wunder, bei dem Vorbild: Früher habe sie Henrik Harlaut bewundert, sagt sie, den achtmaligen X-Games-Sieger aus Schweden: "Der hat immer nur das gemacht, worauf er Lust hatte, hat sich nichts abgeschaut, sondern einen eigenen Style gehabt."

Doch bevor es um Olympia geht, stehen vom 19. Januar bis 1. Februar die 4. Olympischen Jugend-Winterspiele im südkoreanischen Gangwon an. Nach Innsbruck, Lillehammer und Lausanne finden die Wettkämpfe somit erstmals außerhalb Europas statt. Die meisten Wettkampfstätten kamen schon bei den Olympischen Winterspielen im benachbarten Pyeongchang zum Einsatz. Der Alpensia Sportspark wird wie 2018 das Zentrum bilden. In Jeongseon finden die Wettbewerbe im Ski Alpin und Ski Freestyle statt, Snowboard und Buckelpiste werden in Hoengsong ausgetragen.

Neben Mohr geht der ebenfalls erst 17-jährige Hannes Baumhöfener vom FC Aschheim ins Rennen

54 Athletinnen und 36 Athleten hat der Deutsche Olympische Sportbund nominiert. Teammanager Resenberger geht mit Mohr und Hannes Baumhöfener vom FC Aschheim ins Rennen. Der ebenfalls erst 17-Jährige war im Sommer bei der Junioren-WM in Neuseeland Vierter im Big Air geworden und hätte im Stubai seinen dritten Weltcup fahren sollen, musste aber verletzt passen.

Beide dürften auch Ende März bei der Junioren-WM in Livigno am Start sein, Mohr durchaus mit Medaillenchancen, wie Resenberger unterstreicht: "Beim Weltcup im November hat sie zwar gepatzt, seitdem aber zwei neue Tricks gelernt. Damit ist sie absolut konkurrenzfähig." Den zeitgleich stattfindenden Weltcup in Laax, bei dem für den DSV nur Veile und Eichinger antreten werden, lässt das Duo zugunsten der Youth Olympics sausen. Schließlich kann sich so eine Olympia-Generalprobe als vielsagendes Karriere-Orakel entpuppen: Skispringer Andreas Wellinger, Bobfahrerin Laura Nolte und Langläuferin Victoria Carl holten zunächst bei den Youth Olympics den Titel und wurden Jahre später Olympiasieger. Na dann.

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