Freeski:Freigeist voller Schrauben

FREE SKI - FIS WC St. Georgen ob Murau SANKT GEORGEN OB MURAU,AUSTRIA,07.JAN.21 - FREE SKI - FIS World Cup, Big Air, qu

"Wenn's mich zerlegt, erzähle ich es gar nicht erst: Aliah Delia Eichinger bei der Arbeit.

(Foto: Christian Walgram/imago images/GEPA pictures)

Mit 20 ist die Slopestyle-Skifahrerin Aliah Delia Eichinger schon an Kreuzband, Schulter, Knöchel operiert worden. Unbekümmert ist sie geblieben - auch bei der Jagd nach dem Olympiaticket

Von Thomas Becker

"Jetzt hab' ich ihn!" Mit dieser frohen Botschaft war Aliah Delia Eichinger nach dem Training bei Korbinian Resenberger, dem Sportlichen Leiter Freeski, vorstellig geworden. Viereinhalb Stunden lang hatte die 20-jährige Slopestylerin aus dem Bayerischen Wald mit 90 Freeskiern aus 22 Nationen in der Schanzen- und Rail-Landschaft des "Stubai Zoo" an ihrem Lauf gebastelt. Welchen Trick an welcher Schanze? Wie in die Rail-Section reingehen? "Ich habe lange gebraucht, bis ich rausgefunden habe, was am besten funktioniert", sagt sie, "die Rails: So was habe ich noch nie gesehen! Sonst kann man sich noch eine leichtere Version aussuchen, aber hier nicht. Man kommt nicht aus." Eine Mikado-Komposition, da die gewaltigen Kicker auf 3100 Metern Höhe heuer besonders eng beieinander stehen und keine Fehler erlauben. "Das ist Stress pur", hatte Doppelweltmeister und X-Games-Sieger Fabian Bösch geklagt. Doch während der Schweizer beim Finale am Samstag dabei ist, musste sich die einzige deutsche Starterin in der Qualifikation mit Platz 19 begnügen, wie schon beim Big-Air-Saisonauftakt in Chur. Teamkollege David Zehentner vom SC Bayrischzell, in Chur starker Vierter, wurde 39., Jakob Gessner vom DAV Ulm musste nach einer Verletzung am Sprunggelenk kurzfristig absagen.

Drei Wochen lang hatte das DSV-Team im Stubai trainiert und dabei vieles auf Schnee umsetzen können, was man im Sommer auf dem Landing Bag im Banger Park Scharnitz trainiert hatte. "Das Training dort wirkt schon", sagt Teammanager Resenberger, "in den vergangenen zwei Jahren konnten wir die Lücke zur Weltspitze verkleinern." Im Frühjahr soll endlich der Bau eines solchen Sprungkissens am Berchtesgadener Christophorus-Skigymnasium beginnen, was zumindest das Sommertraining verbessern würde. Für das Training auf Schnee gibt es deutschlandweit immer noch keinen einzigen Snowpark - weil die Skigebietsbetreiber keinen Platz für einen Slopestyle-Parcours hergeben wollen, was wiederum die Nachwuchsarbeit nicht gerade einfach macht.

Ihr Vater besitzt ein Sportgeschäft und hat einen Skilift hinter dem Haus

Da braucht es fast schon eine Konstellation wie bei der für den DJK SV St. Oswald startenden Aliah Delia Eichinger. Vater Henry war Bayerwald-Meister im Rennlauf, besitzt heute ein Sportgeschäft - und einen Skilift hinterm Haus. "Dass ich im Skisport lande, war klar", sagt die Tochter. Als Rennzwerg fing sie an, "aber irgendwann hat der Papa angefangen, einen Park zu bauen - dann musste ich das natürlich auch machen." Heute gehen die beiden zusammen in den Park: "Der Papa fährt tatsächlich ganz gut. Ich weiß nicht, ob ich bei manchen Sachen mithalten könnte. Er ist ja auch erst 38." Mama Steffi schaue lieber zu und filme, wenn ihre Tochter Salti schlägt: "Die macht sich keinen Kopf. Wenn, dann der Papa. Wenn's mich zerlegt, erzähl ich's gar nicht erst." Ob die Eltern im Stubai dabei sind, weiß sie gar nicht. "Die wissen: Ich krieg' das schon hin. Die stresst das nicht. Wobei: Der Papa steht manchmal schon am Start und fragt: 'Willst du da jetzt wirklich drüber springen?'"

Eine berechtigte Frage, zumal, wenn man die Krankenakte seiner Tochter kennt. 2017 war sie schon mal Sechste im Weltcup, "danach ging's los", sagt Eichinger und zählt auf: Kreuzbandriss, Meniskus kaputt, Schulter-OP, Knöchel-OP. "Ich hab einen Haufen Schrauben in mir. Man spürt's, wenn man hin fasst. Aber jetzt ist wieder alles gut, besser als je zuvor." Seit dem Kreuzbandriss fährt sie mit Knieschiene, hat sich dran gewöhnt: "Ich merke es gar nicht mehr. Mir geht's gut." Der Optimismus dringt ihr aus allen Poren. Resenberger beschreibt seinen Schützling so: "Sehr interessant, wie unbekümmert sie an viele Sachen rangeht. Wo andere sich verkopfen und zu viel darüber nachdenken, macht sie das ganz locker. Hoffen wir mal, dass es so bleibt. Ihr tut es gut, wenn sie frei auffährt. Passend zum Freeski ist sie schon ein Freigeist." Dennoch fahren die alten Verletzungen im Hinterkopf immer mit, meint er: "Mal zwickt es mehr, mal weniger. Aber sie hat sich gut verbessert, auch weil sie weniger Verletzungssorgen hat. Im Moment ist sie mental sehr stabil."

Das schlägt sich auch in der Musik nieder, die sie vor den Sprüngen hört: "Mega ruhig, manchmal sogar Piano. Ich steh' voll auf so ruhige Musik, hab eine richtige Soft-Playlist, eine Mädels-Playlist, auch mal was zum Mitsingen wie Alicia Keys und Rihanna. Das funktioniert immer ganz gut. Ich brauch' keinen Hype." Auch das Rennen um die Olympia-Startplätze geht sie entspannt an. Einmal Top 8 oder zweimal Top 15 müsste sie schaffen, dazu international Top 30 stehen. "Ich dachte, die letzte Saison zählt auch dazu, denn da hatte ich zweimal Top 15. Aber das krieg' ich schon hin. Ich bin optimistisch." Mit Rang 19 befand sie sich im Stubai in bester Gesellschaft: Die Doppelweltmeisterin und zweifache X-Games-Siegerin Tess Ledeux, die im Vorjahr hier gewann, landete auf Platz 27. Und die chinesische Doppelweltmeisterin Ailing Eileen Gu, die vor ein paar Tagen hier als erste Frau einen Double Cork 1440 gestanden hatte, ging nach einem Trainingssturz gar nicht erst an den Start. Bloß nichts riskieren vor Olympia.

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