Süddeutsche Zeitung

Freeski-Fahrerin Sabrina Cakmakli:Dank Kreuzbandriss zu Olympia

Sabrina Cakmakli hatte ihre Teilnahme in Sotschi schon abgehakt, jetzt ist die 19-Jährige die einzige deutsche Olympia-Starterin in der Halfpipe. Ihre Geschichte erzählt einiges über die Unbeschwertheit der Freeskier, die in bei den kommenden Spielen ihre Premiere geben.

Von Johannes Knuth

Als die Skifahrerin Sabrina Cakmakli vor einem Jahr rückwärts landet, als in ihrem Knie plötzlich ein Knall ertönt, da ahnt sie, dass alles vorbei ist: die Wettkampf-Vorbereitung in Colorado, das nächste Rennen, die Saison. Also schreit Cakmakli, sie schreit so laut sie kann. Nicht wegen der Schmerzen, sie schreit, weil sie die Diagnose ahnt - Kreuzbandriss. "Mit Olympia", sagt die 19-Jährige, "hatte ich eigentlich abgeschlossen".

Januar 2014, ein Jahr später beim Weltcup der Freeskier in Calgary. Cakmakli schreit wieder, diesmal vor Glück. Die junge Deutsche ist Elfte in der Qualifikation geworden, sie hat sich für das Halfpipe-Finale qualifiziert, mehr noch: Sie hat die Olympia-Norm erfüllt, völlig überraschend. Der Deutsche Skiverband (DSV) wird sie nach Sotschi schicken, als einzige deutsche Skifahrerin in der Halfpipe. "Ich habe das noch gar nicht realisiert", wird Cakmakli später sagen, sie wird ihrem Trainer danken, dann wird sie erklären, dass das wohl alles nicht passiert wäre, ohne diesen Unfall vor rund einem Jahr.

Ohne den Kreuzbandriss.

Sabrina Cakmaklis Geschichte erzählt einiges über die Unbeschwertheit einer jungen Sportlerin. Sie erzählt auch viel über eine junge Sportart, dem Freeskiing, das in Sotschi zum ersten Mal im olympischen Programm geführt wird. Einen Monat nach ihrem Unfall wird Cakmakli operiert. Beide Bänder sind durch, der Meniskus ist beschädigt. Es ist ihr zweiter Kreuzbandriss, das gehört bei den Freeskiern zum Berufsrisiko. Sie fahren nicht unverantwortlich, aber wer über Geländer schlittert, über Schanzen springt, sekundenlang durch die Luft wirbelt und dann nur ein paar Zentimeter zu weit links oder rechts landet - den kann es eben böse erwischen.

Sechs Monate nach der Operation fährt Cakmakli wieder Ski, früher als geplant. Sie darf ihr Knie noch nicht richtig belasten. Also überlegt sie, umzuschulen, vom Slopestyle, ihrer Spezialdisziplin, zur Halfpipe, der zweiten olympischen Disziplin der Freeskier.

Beim Slopestyle rast der Skifahrer eine mit Geländern, kleinen und großen Schanzen gespickte Abfahrt hinunter, bei manchen ihrer Sprünge würden die Slopestyler ein Einfamilienhaus überspringen. In der Halfpipe fahren die Freeskier abwechselnd links und rechts zwei Steilwände hinauf, heben senkrecht ab und landen senkrecht. Das schont die Knie ein wenig, beim Aufprall. Cakmakli hat noch nie in der Halfpipe trainiert. "Probier's halt mal", sagt Cakmaklis Trainer während der Saisonvorbereitung.

Cakmakli probiert es.

Ein paar Tage später bestreitet sie ihren ersten Weltcup in Neuseeland. Sie wird 21., sie übt weiter. Die Slopestyle-Wettkämpfe muss sie auslassen, das Knie. Beim Halfpipe-Weltcup in Copper Mountain belegt sie Platz 23. Dann kommt der Wettkampf in Calgary, die Olympia-Quali. "Sabrina lernt ständig dazu", sagt Thomas Hlawitschka, ihr Trainer, man müsse ja auch bedenken, dass sie im Vergleich zur nordamerikanischen Konkurrenz erschwerte Startbedingungen hatte: "In Europa gab es im Herbst überhaupt keine Halfpipe."

Und jetzt? Drei Freeskier werden vermutlich nach Sotschi reisen: Benedikt Mayr und Lisa Zimmermann im Slopestyle, Sabrina Cakmali in der Halfpipe. Dazu kommen sechs Skicrosser, "das ist mehr als ich erwartet habe", sagt Heli Herdt, sportlicher Leiter im Freestyle-Ressort des DSV, "ich hoffe, dass die Disziplinen einen ähnlichen Schub mit Sotschi erleben, wie Skicross mit Vancouver vor vier Jahren", hofft er.

Nicht allen Freeskiern gefällt das. Seitdem das Internationale Olympische Komitee die Sportart 2011 ins Programm aufgenommen hat, diskutiert die Szene. Früher waren die Freeskier Freigeister, unabhängig von Qualifikationsnormen und Verbandsregularien. Jetzt gibt es Kadertrainer, Normen, Quotenplätze - alles, was viele Freeskier eigentlich vermeiden wollten.

Die einen sagen: "Das versaut den Sport." Die anderen finden wie Cakmakli: "Es gibt nichts, das wir nicht mehr machen dürfen wegen Olympia." Die deutschen Freeskier versuchen, sich in die DSV-Familie einzugliedern, ohne ihre Identität zu zerstören. Der Verband bezahlt Wettkämpfe, Reisen, Trainer. Die Freeskier tragen ihre eigenen Anzüge, bezahlt von ihren eigenen Sponsoren. Wenn jemand seine Sponsoren aufgibt, sagt Hlawitschka, "dann ist das der erste Schritt, seinen Sport aufzulösen."

Cakmakli ist derzeit irgendwo mittendrin, zwischen Unabhängigkeit, Weltcup-Zirkus und Profitum. Sie finanziert ihren Sport über Sponsoren und den Verband, "aber für mich selbst bleibt nichts übrig", sagt sie. Abseits der Weltcups, findet die 19-Jährige, haben es die Fahrerinnen oft schwerer als die Fahrer. Die Männer kriegen mehr Preisgeld, manche Wettkämpfe sind für Frauen überhaupt nicht ausgeschrieben.

Zunächst einmal konzentriert sich die Partenkirchenerin auf Sotschi. Die Vorfreude ist groß, bei Cakmakli, in der Mannschaft sowieso. Cakmakli sagt: "Die Sportart wird größer, wird mehr beachtet. Das ist ja das, was wir wollen."

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