Süddeutsche Zeitung

Freeski:Den Rennzwergen entwachsen

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Die Freeskier sind in eine schwierige Weltcup-Saison gestartet. David Zehentner verpasst das Slopestyle-Finale knapp, gibt aber Hoffnung für den Winter.

Von Thomas Becker

Ein paar entspannte Schwünge, dann einfach laufen lassen: So sah die Feierabend-Sause vom Schaufeljoch zur Mittelstation bei den Freeski-Profis auf dem Stubaier Gletscher oft aus. Seit der Corona-Pandemie ist alles anders. Wer heute bis zur Mittelstation abfährt, muss die restlichen 600 Höhenmeter ins Tal zu Fuß laufen: Einsteigen verboten! "Fühlt sich alles sehr anders an", sagt Korbinian Resenberger, der Teammanager der DSV-Freeski-Mannschaft. Es dauert etwas, bis er das gesamte Prozedere im für die Öffentlichkeit gesperrten Skigebiet erklärt hat: "Nur Akkreditierte dürfen auf den Gletscher. Zur Akkreditierung muss man einen negativen PCR-Test vorlegen, zudem vor Ort einen Anti-Gen-Test machen. Für die Rückreise braucht es wieder einen negativen PCR-Test, damit man als Profisportler nicht in Quarantäne muss." Bis allerdings das Ergebnis vorliegt, müsse ein Athlet doch erst einmal in Quarantäne. Auf dem Gletscher, so berichtet er, laufe nur der Lift oben am Park und die Bahn vom Tal aus morgens und nachmittags für eine Stunde. "Alles andere da oben ist tot. Da bewegt sich gar nix. Es ist echt wild." Willkommen zum Auftakt der Freeski-Weltcup-Saison 2020/21.

Auch den Ski-Zirkus hat das Virus natürlich fest im Griff. Wie viele andere Wettkampfserien gleicht auch der Weltcup der Freeskier einer weltumspannenden Sternfahrt: Auftakt in Tirol, im Januar nach Frankreich, Anfang Februar in die USA, bevor es nach Zhangjiakuo/China zur Snowboard-, Freestyle- und Freeski-WM geht. Danach zwei Wochen Kanada und Ende März in die Schweiz. Soweit der Plan. Teammanager Resenberger sagt: "Wir planen so, als würde alles normal stattfinden - und zehn Tage vor Anreise entscheiden wir, ob oder ob nicht." Die Kernfrage: Wie sicher ist es vor Ort? In Österreich habe man sich keine Sorgen gemacht. "Von unserem zweiwöchigen Training zuvor wussten wir, dass die Hygienemaßnahmen ordentlich umgesetzt werden. Der nächste Halfpipe-Weltcup ist in Copper Mountain, Colorado: Da sind wir noch unsicher, ob wir da hinfahren." Vom Papierkram hat er da noch gar nicht geredet: Es braucht eine sogenannte National Interest Exeption für Profisportler, dazu die Einladung vom US-Skiteam zum Weltcup, damit zur Botschaft, und irgendwann erhält man die Ausnahmegenehmigung.

Zum Team zählen Aliah Eichinger, 19, vom SV St. Oswald, die bei ihrer Slopestyle-Weltcup-Premiere nach einer Schulter-Operation Platz 15 belegte, Vincent Veile, 22, vom DAV Ulm, der in der Qualifikation deutlich scheiterte, sowie der Bayrischzeller David Zehentner, der das Finale am Samstag um einen Wertungspunkt verpasste. Dennoch: "Ein superordentliches Ergebnis für ihn", lobte Resenberger. Für Zehentner war es der erste Weltcup in seiner Lieblingsdisziplin, nach drei Big-Air-Weltcups. "Irgendwie hatte sich das nie ergeben", erzählt der 17-Jährige. Früher war ihm die Schule in die Quere gekommen, doch nun hat er den Realschulabschluss gemacht. Seit August ist er Sportpolizist.

Aufgewachsen ist Zehentner nahe dem Einsersessel-Lift am Sudelfeld: "Da konnte ich von zuhause aus hinlaufen", erzählt er, "und die Eltern haben mich ziemlich früh allein hochfahren lassen." Die Eltern betreiben ein Sportgeschäft und waren früher Rennläufer: Mutter Andrea fuhr Slalom, Vater Hannes Abfahrt. 21 Weltcups hat er in den 1980er und 1990er Jahren bestritten, stand in Garmisch gar auf dem Stockerl und wurde 1988 bei Olympia 13. Fast logisch, dass Zehentner junior zwischen den Stangen landete. Für die SG Hausham fuhr er Rennen, was ihm mit zwölf zu fad wurde. "Meine Eltern meinten: Wenn's dir keinen Spaß macht, hat's keinen Sinn. Wenn einem etwas Spaß macht, wird man automatisch gut." David machte dagegen Spaß, was allen Rennzwergen Spaß macht: über Schanzen springen. "Früher gab's nix, da haben wir uns die Kicker selbst geschaufelt", erzählt er, "wenn ich gescheit springen wollte, musste ich rüber zum Spitzing." Mittlerweile gebe es am Sudelfeld einen Park, "aber eher für Anfänger. Der Hang gibt nicht mehr her". Das Anfängerstadium hatte Zehentner bald hinter sich gelassen: Aufnahme ins Landesteam, Europacups und jetzt eben Weltcup. Wenn er über eine Big-Air-Schanze schießt, springt er Sachen wie einen Double Cork 1600 Tail - sehr viele Salti, Schrauben und Drehungen.

Trainiert hat er den Sommer über am Stützpunkt im Olympiapark. Dort gibt es ein Trampolin und Rail-Features - also Hindernisse, um Tricks auszuführen - aus Holz mit Plastikmatten in der Anfahrt. Außerdem zahlt der Deutsche Skiverband Tickets für den "Banger Park" in Scharnitz - 100 Euro pro Tag. Auch das zweiwöchige Trainingslager im Stubai habe einen knapp fünfstelligen Betrag verschlungen. Schließlich gilt es jetzt, sich für Olympia 2022 zu qualifizieren. Dafür nehmen die Athleten einiges in Kauf: "Wir haben uns darauf eingestellt, dass wir Ski fahren, im Apartment sind, niemanden treffen - und mehr nicht", sagt Zehentner. "In der aktuellen Lage sind wir ziemlich privilegiert. Es gibt Menschen, denen es nicht so gut geht."

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Quelle:
SZ vom 22.11.2020
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