Süddeutsche Zeitung

Handball-WM der Frauen:Per Abkürzung in die Weltspitze

Hochleistungssport treiben und nebenbei einen Beruf ausüben - das ist im deutschen Frauen-Handball normal. Bei der WM in Spanien sollen nun die Spielerinnen voran gehen, die im Ausland aktiv sind.

Von Ulrich Hartmann

Dinah Eckerle war lange genug die treue Schwäbin in der Handball-Bundesliga. Sieben Jahre hat sie im Tor des Thüringer HC in Erfurt gestanden und zwei Jahre bei der SG Bietigheim in ihrer Heimatregion. Sieben Mal ist die 26-Jährige deutsche Meisterin geworden, ehe sie zu der Erkenntnis kam, dass das nicht alles gewesen sein kann.

In den vergangenen eineinhalb Jahren spielte Eckerle bei gleich drei Vereinen im Ausland: erst im ungarischen Siofok, dann im französischen Metz und jetzt im dänischen Esbjerg. Die treue Schwäbin ist plötzlich kreuz und quer auf Europa-Tournee und hat dabei interessante Entdeckungen gemacht. "In allen drei Vereinen ist der Unterschied zu den Bedingungen in der Bundesliga groß", sagt sie: "Die Strukturen sind professioneller als in Deutschland, außerdem hat dort keine Spielerin neben dem Handball noch einen anderen Beruf."

In der Bundesliga ist genau das üblich. "Duale Karriere", heißt das im Fachjargon und soll anerkennend bewerten, was der Qualität des Handballs aber eigentlich abträglich ist. Dass der Großteil der Frauen-Nationalmannschaft immer noch in der Bundesliga spielt, macht der Bundestrainer Henk Groener mit dafür verantwortlich, dass Deutschland seit 14 Jahren keine Medaille mehr gewonnen hat. "Halbprofis gewinnen keine Medaillen", lautet sein Motto, mit dem der Niederländer 2018 seinen Job angetreten hat.

Vom Abschneiden bei der WM hängt das Schicksal des Bundestrainers ab

Am Donnerstag starten die deutschen Handballerinnen gegen Tschechien (18 Uhr, www.sportdeutschland.tv) in die Weltmeisterschaft in Spanien. So hoffnungsvoll war die Nationalmannschaft lange nicht. Das liegt auch daran, dass sechs der 16 Nationalspielerinnen in der Champions League mitmischen: Eckerle in Esbjerg, Emily Bölk und Alicia Stolle bei Ferencvaros Budapest sowie Alina Grijseels, Mia Zschocke und Amelie Berger bei Borussia Dortmund. Mit Meike Schmelzer im rumänischen Bistrita spielt noch eine vierte Nationalspielerin im Ausland.

Früher hat man deutsche Handballerinnen in der K.-o.-Runde der Champions League mit der Lupe gesucht. "Jetzt sind deutsche Spielerinnen nicht nur involviert", sagt Amelie Berger, "sie haben sogar Erfolg." Alle drei Klubs haben die K.-o.-Spiele fest im Blick. "International haben wir einen großen Schritt gemacht", freut sich die Dortmunder Rechtsaußen und hofft, dass sich das auch auf die deutsche Leistung bei der WM überträgt.

Dinah Eckerle ist da zuversichtlich: "Unsere Champions-League-erfahrenen Spielerinnen haben im letzten Jahr einen Riesenschritt gemacht, und dieses große Potenzial müssen wir jetzt nutzen. Es reicht nicht, das immer nur zu sagen, am Ende müssen wir es auch mal auf die Platte bringen."

Daran ist sogar das Schicksal des Bundestrainers gekoppelt. Groeners Vertrag, der am Jahresende ausgelaufen wäre, wurde zunächst nur bis Ende April verlängert. Ob er danach im Amt bleibt, hängt auch davon ab, ob die Mannschaft bei der WM überzeugt. Der Sportvorstand Axel Kromer nennt keine Platzierung, an der er festmachen will, ob die WM ein Erfolg ist oder nicht. Aber er will "eine Spielidee" erkennen und im Laufe des Turniers eine gewisse "Stabilität" sowie eine "Weiterentwicklung" relevanter Spielerinnen sehen.

Was den Alltag als Profi-Handballerin in einem internationalen Topklub so anders macht als in Deutschland, das kann sehr anschaulich Nationalmannschaftskapitänin Emily Bölk schildern, die bis 2018 in Buxtehude und bis 2020 in Erfurt gespielt hat, dann aber nach Budapest gewechselt ist. "Die Halle, in der wir spielen und trainieren, steht uns uneingeschränkt zur Verfügung", erzählt sie, "da sind keine Schulen drin, wir könnten auch morgens um acht trainieren." So seltsam das klingen mag, Hallenkapazitäten sind in der Frauen-Bundesliga tatsächlich ein Thema.

"Neben der Halle ist ein Gym, da können wir rund um die Uhr rein", erzählt Bölk weiter, "der Staff ist viel größer, wir haben eine Physio und einen Masseur, die immer für uns da sind, einen Torwarttrainer und einen Athletik-Coach. Wir spielen und trainieren mit Pulsmessern, damit der Trainer auf seinem iPad direkt sieht, wer gerade einbricht." Während der Corona-Saison sei man "zu Auswärtsspielen gechartert", berichtet Bölk und findet, dies sei "ein krasser Luxus". Jedes Champions-League-Spiel werde live im ungarischen Fernsehen übertragen, ebenso an jedem Spieltag ein Ligaspiel. "Mit Vor- und Nachlauf, das ist ein bisschen so, wie man das in Deutschland beim Fußball kennt", sagt Bölk.

Strukturell habe der Frauen-Handball in Deutschland "noch einen längeren Weg vor sich", glaubt Eckerle

Ungarn und Rumänien sind im Frauen-Handball also Länder, in denen Milch und Honig fließen. Bei der WM werden sie trotzdem kaum um die Medaillen mitspielen. Das teils sogar staatliche Geld fließt in die Klubs, und die leisten sich internationale Topstars. Mit diesen zusammen spielen sich einige der deutschen Handballerinnen auf ein Niveau, das sie jetzt bei der WM wiederum gegen ihre Klubkameradinnen einsetzen wollen. So der Plan.

"Jedes Jahr, das wir in den Klubs auf hohem Niveau spielen, ist ein Jahr, in dem wir auch als Nationalmannschaft qualitativ wachsen", sagt Emily Bölk. Bleibt bloß die Frage, ob die deutsche Mannschaft diesmal und im Gegensatz zu den vergangenen Jahren ihre Nerven unter Kontrolle halten kann. Je weiter ein Turnier voranging und je entscheidender die Spiele wurden, desto fahriger agierte das Team. "Ich hoffe, dass die erfahreneren Spielerinnen diesmal eine gewisse Routine reinbringen, weil so ein Turnier eben mit Nervositäten verbunden ist", sagt Bölk: "Das ist eine Frage der Erfahrung und des Selbstverständnisses, und da hilft es außerdem, wenn der Kader eine gewisse Breite hat."

Die deutsche Mannschaft ist auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel. "Strukturell ist der Frauen-Handball in Deutschland noch nicht so weit wie in anderen Nationen", sagt Dinah Eckerle, "da hat Deutschland noch einen längeren Weg vor sich." Ein Erfolg bei der WM könnte helfen, eine Abkürzung zu finden. Denn Eckerle glaubt: "Damit könnten wir viele Mädchen in die Vereine locken."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5476953
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/ebc/sjo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.