Süddeutsche Zeitung

Frauenfußball:Zur Ausbildung ins Ruhrgebiet

Die SGS Essen, einer der letzten Kleinen der Frauen-Bundesliga, steht dank bewährter Talentförderung im Pokalfinale.

Von Anna Dreher

Seine Spielerinnen waren mit der Situation überfordert. Markus Högner hat das damals schon gemerkt, und jetzt, sechs Jahre später, ist ihm das noch klarer. Die SGS Essen im DFB-Pokalfinale gegen den großen 1. FFC Frankfurt, das war eine Sensation. Ein Kamerateam nach dem anderen, so erzählt es Högner, fuhr auf dem Vereinsgelände vor. Und dann dieses Endspiel in Köln vor 16 621 Zuschauern. "Das war schon ein Wahnsinnserlebnis für uns alle", sagt er: "Es hat so viel auf uns eingewirkt, und wir waren bedeutend unerfahrener als heute." Die Hoffnung auf eine Überraschung hielt nicht lange an. Dritte Minute: Kozue Ando; 28. Minute: Peggy Kuznik; 36. Minute: Simone Laudehr - das Finale war zur Halbzeit entschieden, 0:3.

Aber diese Niederlage ist eines der wichtigsten Spiele für die SGS Essen gewesen, wahrscheinlich sogar das wichtigste. "Wir haben das erste Mal für Furore gesorgt", sagt Trainer Högner: "Das war der Startpunkt für die Phase, in der wir jetzt angekommen sind: richtig interessant für Spielerinnen zu sein. Das Pokalfinale von 2014 war da für uns die entscheidende Partie."

Die SGS Essen ist einer der wenigen Klubs ohne bekannten Männerverein im Namen, die neben dem 1. FFC Turbine Potsdam und dem SC Sand noch in der Fußball-Bundesliga der Frauen verbleiben, seit auch der 1. FFC Frankfurt am Mittwoch zur Eintracht gewechselt ist. Und doch schafft es die SGS immer wieder, sich gegen finanzstärkere Vereine zu behaupten: Am Samstag (16.45 Uhr, ARD) steht das Team von Högner erneut im Pokalfinale in Köln.

Die Pokalfinals der vergangenen zehn Jahre

2010 FCR 2001 Duisburg - FF USV Jena 1:0

2011 1. FFC Frankfurt - Turbine Potsdam 2:1

2012 FC Bayern - 1. FFC Frankfurt 2:0

2013 VfL Wolfsburg - Turbine Potsdam 3:2

2014 1. FFC Frankfurt - SGS Essen 3:0

2015 VfL Wolfsburg - Turbine Potsdam 3:0

2016 VfL Wolfsburg - SC Sand 2:1

2017 VfL Wolfsburg - SC Sand 2:1

2018 VfL Wolfsburg - FC Bayern i.E 3:2 (0:0)

2019 VfL Wolfsburg - SC Freiburg 1:0

2020 VfL Wolfsburg - SGS Essen Sa. 16.4

Die Konstellation ist dann eine ähnliche. Der Gegner VfL Wolfsburg, aktueller Meister sowie Pokalsieger der vergangenen fünf Jahre, ist der klare Favorit. In der Bundesliga gewann der VfL in dieser Saison gegen Essen 5:1 und 3:0, aber der Pokal hat bekanntlich seine eigenen Gesetze, darauf hoffen sie in Essen. "Wer ist dieser kleine Verein, warum ist der so erfolgreich? Das werden sich wieder einige fragen", sagt Högner und lacht. Das Erstaunen über die Endspielteilnahme der SGS aber fällt nicht mehr ganz so groß aus wie damals.

Seit 2004 spielt die SGS Essen in der Bundesliga. 2011 sei das letzte Jahr gewesen, in dem man mit einer eher älteren Mannschaft gespielt habe, erzählt Högner. Er habe mit dem langjährigen Geschäftsführer Willi Wißing damals überlegt: "Wie können wir uns für die Bundesliga mit unseren Mitteln am besten aufstellen? Wir haben dann entschieden, auf die Jugend aus der Region zu setzen und den Weg konsequent zu verfolgen." Das Erreichen des Pokalfinales 2014 war der Beleg, dass dieses Konzept aufgehen kann - und ein wichtiges Zeichen nach außen, eine gute Adresse für die Entwicklung von Fußballerinnen zu sein. Inzwischen, erzählt Trainer Högner, bewerben sich Spielerinnen auch von sich aus. Viele der Talente, die von der SGS entdeckt werden, kommen nach Essen, obwohl es dort kein Nachwuchsleistungszentrum mit modernen Fitnessräumen gibt. "Wir haben ein gutes Auge für Talente", sagt SGS-Geschäftsführer Florian Zeutschler: "Und wir verbinden ein familiäres Umfeld mit Professionalität, ganz bodenständig.

Das ist die Kunst." Sich weiter erfolgreich zu behaupten, dürfte jedoch schwieriger werden. Andere europäische Ligen sind durch ihre Professionalisierung attraktiver geworden. Bundesliga-Spitzenklubs wie Wolfsburg und München schauen wieder stärker auf den deutschen Markt - und profitieren von der guten Nachwuchsarbeit, die vor allem in Essen und vom SC Freiburg geleistet wird. "Wir verstehen uns klar als Ausbildungsverein und wollen unsere Idee nicht aufgeben. Wir leisten wichtige, nachhaltige Arbeit", sagt Zeutschler: "Wir haben einen der geringsten Etats. Aber man muss sich vom Eindruck entfernen, dass alles nur übers Geld geht - es geht ums Konzept."

Dank seines Konzepts hatte Essen zuletzt vier Nationalspielerinnen im Kader. Mit der neuen Saison wird diese Zahl jedoch auf Null springen: Lea Schüller und Marina Hegering wechseln - wie 2019 Linda Dallmann - nach München, Lena Oberdorf - wie 2018 Sara Doorsoun - nach Wolfsburg. Turid Knaak verlässt die SGS ebenfalls. Lisa Weiß, die Torhüterin im Pokalfinale von 2014, ging vor zwei Jahren zum Champions-League-Sieger Olympique Lyon. Und auch Högner verließ den Verein für drei Jahre, als er 2016 erst als Co-Trainer der DFB-Frauen und dann beim VfL Wolfsburg arbeitete. Insgesamt gehen in diesem Sommer zehn Spielerinnen. "Uns haben immer wieder gute Fußballerinnen verlassen, und wir haben es immer wieder geschafft, das aufzufangen", sagt Zeutschler: "Wir entwickeln uns stetig weiter, nur eben nicht so schnell, wie Klubs mit mehr finanziellen Möglichkeiten."

Am Samstag wieder im Pokalfinale zu stehen, könnte nach dem vermeintlichen Rückschlag also unabhängig vom Ergebnis wieder für Aufschwung sorgen. Und auch das passt ja ganz gut ins Konzept der SGS Essen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4955002
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.07.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.