Frauenfußball-WM: Finale:Die schüchternen Japanerinnen feiern stürmisch

"Heute werden wir uns ein Glas deutsches Bier genehmigen": Weil die hochüberlegenen Amerikanerinnen Chance um Chance auslassen, gewinnt Japan das dramatische Finale der Frauenfußball-WM. Die Spielerinnen senden ein paar Botschaften in die geschundene Heimat und liefern in den Katakomben des Stadions ein seltenes Naturwunder.

Carsten Eberts, Frankfurt

Am Ende, als die Japanerinnen im Goldregen ihre WM-Medaillen bestaunten, blitzte ihnen immer wieder die Ungläubigkeit aus den Augen. Natürlich bei Homare Sawa, der famosen Torschützin, auch bei Torhüterin Ayumi Kaihori, die das Elfmeterschießen mit entschieden hatte und Sawa nun in den Armen lag. Die Japanerinnen blickten fassungslos umher, stießen spitze Schreie aus - und schlugen sich immer wieder die Hände vors Gesicht.

BESTPIX  Japan v USA: FIFA Women's World Cup 2011 Final

Japans Party beginnt: die Weltmeisterinnen mit dem WM-Pokal.

(Foto: Getty Images)

Die japanische Ungläubigkeit hatte ihre Gründe: Was war das für ein Endspiel dieser Fußball-WM in Deutschland? Wer hätte mit diesem Weltmeister gerechnet? Und wie überhaupt hatten es die Japanerinnen geschafft, die hochüberlegenen USA zu besiegen?

Es war eine dramatische Partie mit noch dramatischeren Wendungen: sehenswerte Tore, schlimme Abwehrfehler, eine rote Karte für Japans Azusa Iwashimizu und ein denkwürdiges Elfmeterschießen. Am Ende siegten die Japanerinnen trotz zweifachen Rückstands 5:3 (2:2, 1:1, 0:0). Mittelfeldfrau Sawa, die nach dem Spiel verdient als beste Spielerin des Turniers ausgezeichnet wurde, jubilierte: "Wir haben bis zuletzt an uns geglaubt und sind total glücklich. Jetzt sind wir die Nummer eins in der Welt."

Nur wenige Monate nach dem Atomunfall von Fukushima-1 und der schlimmsten Katastrophe des Landes in seiner jüngeren Geschichte sind Japans Fußballerinnen tatsächlich Weltmeister. Sie holten sich jenen Titel, der vor dem Turnier eigentlich den gastgebenden Deutschen versprochen war; und wenn nicht denen, dann bestimmt den USA oder Brasilien.

Diesen Titelgewinn nun direkt in den überhöhten Zusammenhang der Katastrophe zu stellen, ist sicher übertrieben. Zumindest ein Lächeln hat den Japanern dieser Erfolg dennoch beschert. So vermittelte es Trainer Norio Sasaki: "Wir haben aus Japan viel Mut bekommen, viele Menschen haben auf uns geschaut" erklärte der Coach: "Vor dem Hintergrund der Lage in Japan konnten wir sogar den Titel holen. Auch die Menschen in Deutschland haben uns sehr unterstützt. Danke für die schöne WM."

Dabei fand Japan, das im Viertelfinale überraschend Deutschland ausgeschaltet hatte, diesmal auffallend schwerlich ins Spiel. Nichts schien zu funktionieren, nicht das Kurzpasspiel, nicht die vielen rasanten Kreisel, die den Gegnerinnen den eigenen Spielaufbau so erschwert hatten. Die USA waren schlichtweg stärker - und erspielten sich Chance um Chance um Chance. "Wir konnten unser Spiel nicht zu 100 Prozent entfalten", erklärte Sasaki kritisch: "Wir waren manchmal etwas steif, die Amerikanerinnen haben starke Angriffe gebracht."

"Ein Glas deutsches Bier"

Lange sah es deshalb so aus, als würde der Weltranglistenerste aus den USA seinen dritten Titel nach 1991 und 1999 holen. Die USA führten zweimal, erst durch die eingewechselte Alex Morgan (69.), in der Verlängerung dann durch einen Kopfball von Abby Wambach (104.). Das reichte nicht: Durch schwere Abwehrpannen der USA kamen die Japanerinnen durch Aya Miyama (81.) und kurz vor Ende der Verlängerung durch Homare Sawa (117.) wieder zurück.

Im Elfmeterschießen dann, als viele die USA mit Torfrau Hope Solo im Vorteil sahen, verließen die US-Spielerinnen endgültig Glück und Nerven: Shannon Boxx, Carli Lloyd und Tobin Heath scheiterten an Japans Keeperin Kaihori oder schossen weit über das Tor, nur Abby Wambach traf. Die Japanerinnen agierten mit eindeutig besseren Nerven, den entscheidenden Elfmeter knallte Saki Kumagai hoch in den Winkel.

Noch auf dem Platz umarmten die sonst schüchternen Japanerinnen einander stürmisch. Später dann, in der Interviewzone im Stadion, konnten die Journalisten gar ein seltenes Naturwunder bewundern: eine japanische Polonaise. "Am liebsten würden wir die Nacht durchmachen", erklärte Sasaki: "Heute werden wir uns ein Glas deutsches Bier genehmigen, morgen fahren wir zurück nach Japan."

Bei den USA, dem großen Favoriten, war die Enttäuschung hingegen riesig. Selten hatte eine Mannschaft ein Finale so leichtfertig aus der Hand gegeben, selten selbst so viel richtig gemacht und doch alles verloren. Schon in der ersten Halbzeit ließen Lauren Cheney (1., 8., 34.), Abby Wambach (9., 29.), Carli Lloyd (11.) und Megan Rapinoe (12., 18.) allerbeste Gelegenheiten aus. "Wir hatten so viele Chancen heute Nacht", klagte Wambach später, "aber wir haben Japan immer wieder Kredit gegeben."

Auch der späte Ausgleich in der 117. Spielminute machte den US-Spielerinnen zu schaffen. "Es ist verdammt hart, weil wir nur wenige Minuten vom Titel entfernt waren", klagte Wambach weiter. Pia Sundhage, die schwedische Trainerin, formulierte es versöhnlicher: "Wir haben eine Silbermedaille gewonnen. Ich hoffe, ich kann das in ein paar Wochen auch so bewerten."

Der neue Weltmeister heißt nicht Deutschland, USA oder Brasilien - sondern Japan. Es ist die wunderbare Geschichte eines unterschätzten Teams aus einem sehr gebeutelten Land.

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