Süddeutsche Zeitung

Fußball-WM der Frauen:Großer Favorit in der Gruppe der Vize-Meister

Die deutschen Fußballerinnen haben bei der WM in Australien und Neuseeland im kommenden Jahr leichte Gegner erwischt - die Quartiersuche gestaltet sich dagegen schwierig.

Von Frank Hellmann

Martina Voss-Tecklenburg hat sich erst gar keine Mühe gemacht, die Gegner stark zu reden. Die Bundestrainerin wusste im Aotea-Zentrum im neuseeländischen Auckland nur zu gut, dass die deutschen Fußballerinnen für die Endrunde der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August 2023) Glückslose gezogen haben. Marokko, Kolumbien und Südkorea sind die Gruppengegner der DFB-Frauen. Drei Teams, die in ihren Konföderationen aus Afrika, Südamerika und Asien zwar jeweils Vizemeister geworden sind - was vortrefflich zum EM-Zweiten Deutschland passt -, doch das oberste Level verkörpert keines dieser Teams. Entsprechend eloquent formulierte Voss-Tecklenburg, 54, ihr Urteil: "Gruppe H ist eine Gruppe mit drei unbekannten Mannschaften. Es eine große Herausforderung für uns, im Vorfeld die Gegner gut zu analysieren."

Sollte im Umkehrschluss heißen: Die Kontrahenten zu schlagen, sollte gemessen am eigenen Anspruch fast eine Selbstverständlichkeit sein. Eine viel leichtere Konstellation hätte der zweimalige Weltmeister nicht erwischen können, um sich mitten im australischen Winter für die nächste Titelmission warmzuspielen. Erst im Achtelfinale wird es richtig anspruchsvoll: Deutschland dürfte dann vermutlich auf Frankreich oder Brasilien treffen, Weltmeister USA könnte frühestens im Finale lauern.

Kühles, regnerisches Wetter wird ein ständiger Begleiter dieses Turniers sein: Nicht umsonst wurde eine Pinguindame namens Tazuni zum offiziellen Maskottchen ernannt. Schal und Regenjacke einpacken, lautet die Botschaft an die Besucher in den neun ozeanischen WM-Städten. Weil die deutschen Spiele wegen der Zeitverschiebung wohl am frühen Morgen europäischer Zeit laufen (die genauen Anstoßzeiten stehen noch nicht fest), scheint es schwierig, dass die deutschen EM-Heldinnen erneut ein Millionenpublikum am Fernseher in der Heimat mitnehmen.

Für die Männer-WM in Katar sieht die Fifa die kurzen Wege als Argument, bei der Frauen-WM wird diese Nachhaltigkeit konterkariert

Vordringliche Aufgabe ist indes das Finden eines gut gelegenen Quartiers, denn die drei Gruppenspiele finden in Melbourne, Sydney und Brisbane statt. Definitiv ausbleiben wird ein Abstecher nach Neuseeland, bei dieser Großveranstaltung der weiten Wege, die in Sachen Nachhaltigkeit suboptimal ausgestaltet ist. Für die Männer-WM in Katar apostrophiert der Weltverband Fifa gerne die Kompaktheit, bei der Frauen-WM wird dieser Anspruch konterkariert.

Voss-Tecklenburg wird sich jetzt bei einer einwöchigen Inspektionsreise selbst von Unterbringungsmöglichkeiten und Trainingsplätzen überzeugen. Gegen Melbourne, wo auch das Achtelfinale des Gruppensiegers stattfindet, spricht das wechselhafte Wetter. Für Sydney spricht, dass dort Halbfinale und Finale ausgetragen werden - Sehnsuchtsort ist ja das Stadium Australia, wo im besten Falle jener finale Schritt gelingt, der in Wembley beim EM-Endspiel gegen England (1:2 n.V.) verpasst wurde.

Den Auftakt bestreitet Voss-Tecklenburg mit ihrem Ensemble am 24. Juli gegen Marokko, zweiter Gegner am 30. Juli ist Kolumbien. Am 3. August schließlich wartet Südkorea, das seit 2019 der im Westerwald beheimatete Colin Bell coacht.

Der gebürtige Engländer und frühere Profi des FSV Mainz 05 hat sich im deutschen Frauenfußball vor allem als Trainer beim 1. FFC Frankfurt einen Namen gemacht, den er 2015 zum Gewinn der Champions League führte. Bell, 61, ist seit Amtsantritt vom Fleiß, Lernwillen und Einsatz seiner Nationalspielerinnen angetan, hat das Finale um die Asienmeisterschaft gegen China Anfang des Jahres nur unglücklich verloren.

"Südkorea ist eine sehr, sehr spielstarke Mannschaft, die einen feinen technischen Fußball spielt, mit einem deutschen Trainer", warnt Voss-Tecklenburg. Kolumbien habe dagegen einen "völlig anderen Spielstil", Marokko als großer Unbekannter profitierte vom auf 32 Teams vergrößerten Teilnehmerfeld.

Es werde die beste, bunteste und spektakulärste WM, verspricht die Fifa - alles andere hätte überrascht

Drei Teilnehmer stehen noch gar nicht fest, diese werden erst im Februar 2023 bei interkontinentalen Playoff-Turnieren ermittelt. Länder wie Chinese Taipeh, Haiti, Panama, Paraguay oder Papua-Neuguinea dürfen sich Hoffnungen machen, was der Qualität des aufgeblähten Teilnehmerfeldes eher nicht förderlich ist. Zu den Favoriten zählen der viermalige Weltmeister USA, deren Nationaltrainerin Jill Ellis indes angesichts der gewachsenen Qualität der Topnationen die "anspruchsvollste WM aller Zeiten erwartet". Die europäischen Vertreter England, Deutschland, Schweden, Frankreich, Spanien und die Niederlande sind ebenfalls hoch einzuschätzen, wie auch Olympiasieger Kanada und Japan, Weltmeister 2011 und Vizeweltmeister 2015.

Fatma Samoura, Fifa-Generalsekretärin aus dem Senegal, hat bei der pompösen Auslosungszeremonie in Auckland nicht nur die beste, sondern auch noch "die bunteste, spektakulärste und am meisten besuchte WM aller Zeiten" versprochen. Alles andere hätte überrascht.

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