Frauenfußball:Wechselspiele am Ende der Welt

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"Ich war schon ein bisschen überrascht über den Positionswechsel", sagt Anna Gerhardt (hier im Einsatz für den FC Bayern) vor dem Spiel gegen Frankreich.

(Foto: imago/foto2press)

Die U20-Frauennationalmannschaft steht in Papua-Neuguinea im Viertelfinale der Weltmeisterschaft. Anna Gerhardt hat fünf von acht Toren vorbereitet - auch, weil sie in die Offensive wechseln durfte.

Von Anna Dreher

Ein bisschen was von der Gegend hat sie schon gesehen, auch die Menschen, die dort leben. Erste Eindrücke, aber so richtig zählen die dann doch nicht. Ein fremdes Land von einem gepolsterten Sitz in einem Mannschaftsbus auf dem Weg zum Training oder zu einem Spiel kennenzulernen, ist doch eher schwer. Dabei würde Anna Gerhardt diese Kultur schon interessieren. Wahrscheinlich kommt sie ja nie wieder hier her, auf diese Insel mit Gletschern, Vulkanen, Regenwäldern, Savannen und Mangrovensümpfen. Papua-Neuguinea ist dann doch ziemlich weit weg, 14 051 Kilometer, da fliegt man nicht mal eben hin. Aber der Grund ihrer Reise ist nun mal ein anderer: Gerhardt ist zum Fußballspielen da. "Natürlich steht der Fußball im Vordergrund, aber ich fände es schön, auch das Land kennenzulernen. Die Menschen sind so freundlich, ich würde gerne erfahren, wie das Leben hier so ist", sagt sie. "Vielleicht kommt das ja noch, wenn wir weiterkommen."

Weiterkommen bedeutet in diesem Fall: Halbfinale, vielleicht sogar Finale und vielleicht, vielleicht sogar der Titelgewinn. Seit zwei Wochen ist die 18-Jährige mit der U20-Frauennationalmannschaft in Papua-Neuguinea, Deutschland ist als Weltmeister angereist. U20-Trainerin Maren Meinert hatte sich vor dem Turnier zurückhaltend geäußert, die Gruppenphase gegen Venezuela (3:1), Mexiko (3:0) und Südkorea (2:0) verlief aus deutscher Sicht jedoch problemlos. An diesem Freitag (10.30 Uhr MEZ) steht das Viertelfinale gegen Frankreich an. Auch dank Gerhardt, die in der Nationalmannschaft auf einer für sie ungewohnten, ansonsten aber bevorzugten Position spielt.

Vor dem Turnier war Gerhardt noch als Außenverteidigerin gelistet. "Kurz vor dem Spiel gegen Venezuela hat Maren Meinert mir gesagt, dass ich vorne spielen werde", sagt Gerhardt. Der Wechsel in die Offensive hat ihr gut getan und somit auch der Mannschaft. Außen spielt sie am liebsten, dort hat sie sich als Vereinsspielerin etabliert. "Ich war schon ein bisschen überrascht über den Positionswechsel", sagt Gerhardt. "Aber jetzt, wo es so gut läuft, freue ich mich natürlich noch mehr darüber." Bei der U20-WM hat Gerhardt bislang durchgespielt und fünf von acht Toren vorbereitet. "Sie ist von den Gegnern kaum zu stoppen", sagt Meinert.

Genau diese Eigenschaft dürfte mit ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass Gerhardt das Interesse des FC Bayern München geweckt hat, der die gebürtige Rheinländerin im Mai bis zum 30. Juni 2018 verpflichtet hat. "Anna ist eine junge, sehr talentierte Außenbahnspielerin, die beidfüßig, torgefährlich und dynamisch ist", sagt Münchens Trainer Thomas Wörle. "Ich sehe großes Entwicklungspotenzial." Seit ihrem elften Lebensjahr hatte Gerhardt beim 1. FC Köln gespielt, ein Verbleib war nach dessen Abstieg in die zweite Liga keine Option - ein Wechsel zum zweimaligen Champions-League-Sieger VfL Wolfsburg hingegen schon. Gerhardt ist nicht nur eine der talentiertesten Nachwuchsspielerinnen, sie ist auch Teil des einzigen Bruder-Schwester-Paares in der Bundesliga. Auch Yannick Gerhardt, von Bundestrainer Joachim Löw im Länderspiel gegen Italien nominiert, hatte seit der Jugend in Köln gespielt, bevor er im Sommer nach Wolfsburg wechselte. Die beiden haben eine enge Beziehung und viel Kontakt. Anna aber lehnte das Angebot ab: "Ich wollte meinen eigenen Weg gehen und nicht zum VfL Wolfsburg wechseln."

Gerhardt ist die jüngste Spielerin in der Nationalmannschaft und beim FC Bayern München

Sie sagte dann Sätze, die Fußballer nach Vertragsunterzeichnungen oft sagen: Dass der Wechsel eine große sportliche und persönliche Herausforderung sei, dass sie in München den nächsten Schritt machen wolle und sich freue, Teil dieser erfolgreichen Mannschaft zu sein. Aber es sind auch Sätze, die im Fall von Gerhardt bei einem Umfeld mit erfahrenen Spielerinnen wie Melanie Behringer, Simone Laudehr und Verena Faißt stimmen. "Das alles war eine große Umstellung für mich. In München wohne ich auch zum ersten Mal alleine, weit weg von daheim", sagt die 18-Jährige. "Am Anfang habe ich etwas gebraucht, um mich an das spielerische Niveau zu gewöhnen, aber genau das wollte ich ja: dass ich mich in jedem Training und in jedem Spiel beweisen muss."

Bisher konnte Gerhardt, die bei der U20-WM und im Kader des deutschen Meisters die jüngste Spielerin ist, das nicht nur in der Bundesliga, sondern auch in der Champions-League. Sie hat sich das nötige Selbstbewusstsein angespielt, das man braucht, wenn man es in der Liga und in den Nationalmannschaften nicht nur zu einer kurzen Karriere bringen will. Als die U20-Frauen 2014 in Kanada gegen Nigeria Weltmeister wurden, bekamen auch Melanie Leupolz, Leonie Maier und Sara Däbritz eine Medaille. Inzwischen sind alle drei Spielerinnen des FC Bayern und etablierte Nationalspielerinnen.

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