Frauenfußball:Lady Liberty

Megan Rapinoe führt die Fußballerinnen der USA zum WM-Titel. Aber ihre Strahlkraft reicht weit über den Sport hinaus.

Von Anna Dreher

Megan Rapinoe ist als Letzte auf die Bühne gekommen. Der ganz große Auftritt, er gebührte ihr. Sie stand erst noch etwas im Hintergrund, dicht vor dem Rathaus von New York, um sie herum viele, viele Menschen. Und wie sie dann nach vorne zum Rednerpult tanzte, als ihr Name aus den Lautsprechern schallte, die goldene, geschwungene Trophäe mit dem silbernen Ball in der rechten Hand, als ihr Tausende zujubelten, zeigte sich wieder mal: Die Rolle derjenigen, die vorausgeht, selbst wenn sie als Letzte kommt, hat Rapinoe fest eingenommen.

New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio hatte die US-amerikanische Fußballnationalmannschaft der Frauen zu seinem Amtssitz eingeladen. Nach vier Wochen, in denen sich dieses Team bei der Weltmeisterschaft in Frankreich mit einem außergewöhnlichen Selbstbewusstsein zum vierten Titelgewinn nach 1991, 1999 und 2015 gespielt hatte, schrieb er auf Twitter: "Ihr habt das ganze Land inspiriert - und New York City weiß, wie man Champions feiert."

Am 7. Juli gewannen die USA das Finale in Lyon vor 57 900 Zuschauern 2:0 gegen die Niederlande. Die später als beste Spielerin und mit sechs Treffern als beste Torschützin ausgezeichnete Rapinoe erzielte in der 61. Minute per Elfmeter die Führung, Rose Lavelle acht Minuten später den Siegtreffer. Drei Tage danach fuhr die Mannschaft mit ihrem Trainerteam um Jill Ellis zwischen Wolkenkratzern auf offenen Wagen im Konfettiregen den Broadway entlang zum Rathaus. Tausende Fans begleiteten die traditionelle "Ticker Tape Parade", sie klatschten und winkten, hielten Fahnen und Plakate hoch.

Und spätestens da dürften wirklich alle Spielerinnen begriffen haben, dass sie etwas geschafft hatten, das über den Sport hinausragt. Sie hatten auf globaler Bühne eine gesellschaftspolitische Botschaft verbreitet. Rapinoe, 34, tat das besonders mutig und eloquent, auch bei ihrer Rede in New York. "Wir müssen besser sein. Wir müssen mehr lieben, weniger hassen. Wir müssen mehr zuhören und weniger reden", sagte die Kalifornierin mit den pink-lilagefärbten Haaren. "Es ist unsere Verantwortung, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ich denke, dieses Team macht dabei einen unglaublichen Job." In der Menge wurden Schilder hochgehalten: "Megan for President".

Mit dem aktuellen Amtsinhaber hatte sich Rapinoe vor und während der WM legt. Sie lehnt eine rechtskonservative Politik wie von Donald Trump entschieden ab. Bereits vor den Olympischen Spielen 2012 hatte sie sich als lesbisch geoutet, sie setzt sich für Minderheitenrechte ein. Als der Footballer Colin Kaepernick 2016 bei der Hymne kniete, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu protestieren, war Rapinoe eine der ersten weißen Athletinnen, die sich ihm anschlossen. In Frankreich kritisierte sie den Fußballweltverband dafür, am Tag des WM-Finals auch die Männer-Endspiele von Copa América und Gold Cup angesetzt zu haben. Auch die große Diskrepanz zwischen den Prämien im Frauen- und Männerfußball rügte sie. "In diesem unglaublichen Moment, den ich habe, möchte ich Menschen vereinen", sagte Rapinoe dem New York Times Magazine: "Ich möchte jeden in dieses Gespräch einbeziehen, und die Basis dafür sind gleiche Rechte."

Am Weltfrauentag verklagten die US-Nationalspielerinnen ihren Verband wegen Diskriminierung. Sie sind weitaus erfolgreicher als die Männer, erhalten aber nur 38 Prozent von deren Lohn. Sie fordern Gleichbehandlung und sehen sich dabei als Pionierinnen, um weltweit für Veränderung zu sorgen. Im November schließlich entschied ein Bundesgericht, dass der Fall als Sammelklage verhandelt wird, der sich auch ehemalige Spielerinnen anschließen können. Ein Prozess ist für Mai 2020 geplant. Der Gewinn des vierten WM-Titels hat den Klägerinnen um die Co-Kapitäninnen Rapinoe, Alex Morgan und Carli Lloyd ein zusätzliches Argument geliefert. Vor der Siegerehrung wurde das ganze Stade de Lyon von Sprechchören erfüllt: "Equal Pay! Equal Pay!" Favoriten hatte es vorher außer den USA mehrere gegeben, wie Europameister Niederlande, England, Frankreich und auch Deutschland. Aber vielleicht entstand die Dominanz dieser Mannschaft eben genau daraus: dass es ihr nie nur um den sportlichen Erfolg ging.

Als die US-Amerikanerinnen die goldene Trophäe überreicht bekamen, saß Martina Voss-Tecklenburg zu Hause auf dem Sofa. Die Bundestrainerin war mit dem großen Traum vom dritten WM-Gewinn nach 2003 und 2007 mit ihrer Mannschaft angereist. Was wäre das für eine Geschichte gewesen? Die frühere Nationalspielerin, einst im Streit vom DFB geschieden, übernimmt Ende 2018 ein Team im Umbruch und triumphiert dennoch? Zu schön, um wahr zu sein. Erst im Viertelfinale gegen Schweden kassierten die Deutschen ihr erstes Tor, da verlor das junge Team die Nerven und das Spiel mit 1:2. Das frühe Aus: eine große Enttäuschung. Verpasst wurde die Chance, die Popularität des Frauenfußballs zu steigern. Verpasst war die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Stattdessen muss das deutsche Team nun Wettkampfhärte sammeln in der Qualifikation für die Europameisterschaft 2021 - gegen deutlich schwächere Mannschaften wie Montenegro, Irland, Griechenland und die Ukraine. Nicht wirklich das, was sich Verband, Trainerin und Spielerinnen vorgestellt hatten. Oder, wie Sara Däbritz noch in Frankreich sagte: "Das ist einfach scheiße jetzt!"

Die Bilder, die zum Abschluss dieses Jahres von der deutschen Auswahl in Erinnerung bleiben, sind dennoch erfreulich. Am 9. November ging das letzte Länderspiel im Londoner Wembley-Stadion über die Bühne, gegen den WM-Halbfinalisten England. 90 000 Tickets waren verkauft worden, fast Weltrekord, bei Dauerregen kamen dann mehr als 77 700 Zuschauer ins Stadion, eine außergewöhnliche Kulisse. Und die Deutschen? Spielten so selbstbewusst offensiv, dass die Engländerinnen kaum dagegenhalten konnten und 1:2 verloren. Nicht nur die Bundestrainerin dürfte sich da gefragt haben: Warum nicht schon vor fünf Monaten so? Vielleicht hätte dann sogar Megan Rapinoe im WM-Finale der Titel streitig gemacht werden können.

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