Frauenfußball:Entdeckungs-Ball

Frauenfußball: Nationalmannschaft nennen sich die Spielerinnen in Berlin nicht, zu groß wäre sonst der politische Druck für die iranische Frauenfußball-Auswahl.

Nationalmannschaft nennen sich die Spielerinnen in Berlin nicht, zu groß wäre sonst der politische Druck für die iranische Frauenfußball-Auswahl.

(Foto: OH)

In Berlin können Frauen aus dem Sudan, Afghanistan, Saudi-Arabien oder Iran bei einem Festival das tun, was in ihrer Heimat nur unter Bewachung oder gar nicht geht: Fußball spielen.

Von Ronny Blaschke, Berlin

Als Tanin Naraghi den Ball mit einem kraftvollen Sprint in den Strafraum führt, vorbei an zwei Verteidigerinnen, wird es laut um sie herum. Dutzende Zuschauer springen auf Höhe der Mittellinie auf, viele von ihnen tragen weiße Trikots mit grünen und roten Streifen, sie singen, klatschen, schwenken die iranische Nationalflagge. Naraghi und ihre Mitspielerinnen wirken überrascht, überfordert oder schlicht: überwältigt. "Von so vielen Männern wurden wir noch nie unterstützt", sagt Naraghi aus Teheran. Das ist untertrieben, Frauen und Männer werden im iranischen Fußball strikt voneinander getrennt - in Stadien und Hallen, in Vereinen und im Schulsport.

Ganz anders am Mittwochabend im Willy-Kressmann-Stadion in Kreuzberg. "Home Game", Heimspiel, so heißt das Kulturfestival von Discover Football, Entdecke den Fußball. Seit 2009 schafft die NGO aus Berlin sichere Orte der Begegnung, vor allem für Mädchen und Frauen aus autoritär regierten Ländern. 104 Fußballerinnen nehmen nun am Festival teil, sie kommen aus dem Sudan, Afghanistan oder Saudi-Arabien. Durch die erzkonservative Auslegung des Islam ist ihnen Sport in der heimischen Öffentlichkeit oft untersagt. "Wir möchten uns für einen Wandel einsetzen", sagt Tanin Naraghi. "Durch Fußball können wir uns ausdrücken." Die iranische Auswahl verliert den Auftakt gegen die Gastgeberinnen 2:4, aber das Ergebnis interessiert das Publikum kaum. Nach dem Spiel laufen viele Zuschauer auf den Rasen, darunter etliche geflüchtete Männer aus dem Nahen Osten. Sie stellen Fragen, machen Fotos, schildern ihre Eindrücke.

Es ist ein Abend der großen Erwartungen. Schon eine Stunde vor der Premiere steht Tanin Naraghi, 22, an der Seitenlinie. Sie wird für kurze Interviews von einem Kamerateam zum nächsten geleitet. Die Fragen sind die gleichen: Wie steht es um Gleichberechtigung im Iran? Was halten Sie von der Kopftuchdebatte in Europa? Ist Angela Merkel ein Vorbild? Die Stürmerin Naraghi ist eine zierliche und redegewandte Frau, sie hat Sportwissenschaften studiert und arbeitet als Fitnesstrainerin. Auf politische Debatten aber lässt sie sich nicht ein, das könnte ihr zu Hause Probleme bereiten. Sie möchte ihren Lebensweg sprechen lassen und nicht auf Schutzbedürftigkeit reduziert werden.

Gegründet wurde die iranische Auswahl von Atoosa Hejazi, der Tochter des ehemaligen iranischen Nationaltorwarts Nasser Hejazi. Mit dabei sind in Berlin etliche Nationalspielerinnen, und doch legen sie Wert darauf, hier nicht als iranisches Nationalteam präsentiert zu werden - wie auch Spielerinnen aus anderen Ländern. "Wir können uns nicht als libysches Nationalteam bezeichnen", sagt zum Beispiel Fadwa El Bahi aus Tripolis. "Sonst wäre der politische Druck von oben noch größer. Wir sind hier als Stadtauswahl unterwegs." Die Libyerinnen werden immer wieder von Islamisten bedroht. Sie kicken daheim in schummrigen Hallen, unter Bewachung.

Oft erhielt Discover Football verärgerte E-Mails von Fußballverbänden, die ihre Frauenteams kleinhalten wollen. "Wir möchten den Repräsentationsdruck der Frauen niedrig halten", sagt Marlene Assmann, eine der Gründerinnen von Discover. "Die Spielerinnen entwickeln hier Selbstvertrauen und übertragen das hoffentlich auf ihren Lebensalltag." Bis Sonntag gleicht das Willy-Kressmann-Stadion einem Kulturcampus, mit Konzertbühne, Filmleinwand, Ausstellungstafeln. Nationalspielerinnen besuchen Flüchtlingsunterkünfte und kommen mit Mädchen ins Gespräch, deren Alltag sonst ziemlich eintönig ist. Am Donnerstag posierten die Spielerinnen im Kanzleramt für ein Gruppenfoto mit Angela Merkel. "Es ist ein Zeichen der Anerkennung, das die Frauen hoffentlich zu Hause weiterverbreiten", sagt Marlene Assmann. In ihren Heimatländern ist es undenkbar, dass eine Frau die Regierung anführt.

Die Anfänge von Discover Football liegen zehn Jahre zurück. Aus dem Gründungsteam sind noch drei Spielerinnen übrig geblieben, darunter Marlene Assmann. Mit ihrem damaligen Team Al Dersimspor aus Kreuzberg spielte sie 2006 in Teheran gegen die iranische Auswahl, es war dort das erste öffentliche Frauenspiel seit der Islamischen Revolution 1979. Auf den Tribünen sangen 1000 Zuschauerinnen, auch gegen die Unterdrückung von Frauen. Iranische Medien berichteten: Eine Situation, die derartig außer Kontrolle geraten sei, hätte es seit der Revolution nicht gegeben.

Über diese Reise entstand ein Film: "Football Under Cover" lief auf der Berlinale. Das Rückspiel gegen Iran sollte 2007 in Berlin stattfinden. 4000 Tickets waren verkauft, doch kurz vor der Partie kam die Nachricht aus Teheran, das Team dürfe nicht ausreisen. Aus der Enttäuschung heraus entstand Discover. Denn, so dachten die Gründerinnen, ein ganzes Festival könne nicht durch eine einzige Absage ausfallen. Seitdem hat Discover mehrfach versucht, das Rückspiel zu organisieren. Nun, nach einem Jahrzehnt, hat es geklappt.

Der US-amerikanische Politologe Joseph Nye hatte Begegnungen wie diese einmal als "Soft Power" bezeichnet. Eine Außenpolitik, die auf Kultur und Wissenschaft setzt, nicht auf wirtschaftliche Argumente oder militärische Drohungen. Das Auswärtige Amt hat jetzt etwa drei Viertel der Festivalkosten von 200 000 Euro übernommen. Im Ministerium gilt Discover als günstiges und wirkungsvolles Projekt.

Vor jedem Festival schreibt Discover die Botschaften der Teams an. Einige Diplomaten kommen vorbei, andere schicken nicht mal eine Antwort. Aber vielleicht hat es das Thema in ihre Vorstellungswelten geschafft. Im vergangenen Jahr kamen sich auf dem Festival Spielerinnen aus China und Tibet näher, davor Hutu und Tutsi aus Ruanda. Bei den Frauen scheint die Annäherung direkter zu verlaufen als dies im Männerfußball der Fall wäre, weil sie nicht so symbolisch aufgeladen ist. "Wir wissen nun, was alles möglich ist", sagt die Iranerin Tanin Naraghi. Auf dem Spielfeld - und vor allem daneben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: