Süddeutsche Zeitung

Frauenfußball-EM:Österreich in Ekstase

  • Österreichs Spielerinnen sind erstmals bei einer Frauenfußball-EM dabei. Doch an diesem Donnerstag könnten sie sogar ins Finale einziehen.
  • Das ganze Land fiebert und träumt mit.
  • Marcel Hirscher gratuliert, der Kanzler schaut zu - und das Wiener Stadtderby wird womöglich verlegt.

Von David Ryborz

Österreich fiebert diesem Tag immer besonders entgegen. Am Sonntagnachmittag ist es wieder soweit: Derby in Wien. Rapid gegen Austria. Ein wahres Schmankerl. Doch plötzlich muss sich das österreichische Fußball-Establishments an neue Gegebenheiten anpassen. Denn das Wiener Derby könnte verschoben werden, weil es womöglich an diesem Tag ein wichtigeres Fußballereignis gibt.

Sollten Österreichs Spielerinnen, die völlig überraschend ins Halbfinale der Frauenfußball-EM in den Niederlanden gestürmt sind, auch noch an diesem Donnerstag (18 Uhr, Liveticker auf SZ.de) gegen Dänemark gewinnen, wird das 322. Duell der beiden Traditionsklubs vom Nachmittags- ins Abendprogramm verlegt. Damit sich ganz Österreich ab 17 Uhr auf Frauenfußball konzentrieren kann.

Österreich und die Nationalmannschaft - das ist bisher selten eine Liebesbeziehung gewesen. Doch das hat sich gewandelt: Spielerinnen, die vor der EM nur wenigen Fans ein Begriff waren, jubeln nun von allen Titelseiten und sorgen für Rekordeinschaltquoten. Das Team um Laura Feiersinger, Sarah Zadrazil oder Nina Burger sorgt für den größten Erfolg seit dem Halbfinale der Männer bei der WM 1954. Der Frauenfußball versetzt eine ganze Sportnation in Ekstase.

Erste EM, erstes Halbfinale

Schon vor der Europameisterschaft 2016 der Männer war eine ähnliche Stimmung zu spüren gewesen, doch sie verpuffte schnell. Nach neun Siegen und einem Unentschieden in der Qualifikation war die Mannschaft um David Alaba als ungeschlagener Gruppensieger nach Frankreich gereist. Endlich sollten auch mal die Österreicher wieder etwas reißen - der Einzug ins Viertelfinale war das Ziel. Ein magerer Punkt aus drei Gruppenspielen war am Ende die Ausbeute. Mehr als 30 000 Fans reisten nach der 1:2-Niederlage gegen Island in Paris enttäuscht nach Hause.

Ein Jahr später treten nun die ÖFB-Frauen ohne Ankündigung auf die Bühne und zeigen, wie man erfolgreich Fußball spielt. Sie sind zum ersten Mal bei einem Großereignis dabei, sie haben ungeschlagen die Gruppe gewonnen - und stehen nun im Halbfinale. Als Torfrau Manuela Zinsberger im Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen Spanien den entscheidenden Schuss abwehrte, sahen 1,2 Millionen Zuschauer im ORF zu, ein Marktanteil von 44 Prozent. Den Top-Wert stellte besagte Männer-Auswahl ein Jahr zuvor mit 1,7 Millionen Zuschauern im Spiel gegen Island auf.

Nach dem Sieg fassten sich die Spielerinnen an den Schultern, sie hüpften in einer Polonäse durch die Mixed-Zone. In Ihren Gesichtern ein breites Grinsen, an ihren linken Armgelenken rot-weiße Armbänder. "Es ist schon cool, dass ganz Österreich hinter uns steht", freute sich Katharina Schiechtl, die bei Werder Bremen spielt.

Für das Halbfinale baut Wien nun auf dem Rathausplatz eine 80 Quadratmeter große LED-Leinwand auf, viele Barbesitzer zeigen das Spiel in ihren Lokalen. Kanzler Christian Kern will das Spiel nach einer Sitzung gemeinsam mit anderen SPÖ-Politikern ansehen. Und Marcel Hirscher, der derzeit erfolgreichste Skifahrer des Landes, schickte Glückwünsche und sagte in einer Videobotschaft: "Ich glaube, ganz Österreich ist stolz auf diese Mädels."

"Unschlagbar ist auch Dänemark nicht"

Kapitänin Viktoria Schnaderbeck hatte für den Halbfinal-Einzug eine Prämie für das Team ausgehandelt. Über die Höhe wollten die Spielerinnen zwar keine Angaben machen, aber "von der einen oder anderen habe ich gehört, dass sie sich gerne eine Vespa zulegen würde", verriet Carina Wenninger, die wie Zinsberger und Schnaderbeck beim FC Bayern spielt. Nach einem Finaleinzug wäre dann vielleicht sogar eine Harley Davidson drin.

Ob der Traum weiter geht? Das neue Lieblingsteam der Österreicher müsste dafür Deutschland-Bezwinger Dänemark besiegen. Keine einfache Aufgabe für die mit 23,17 Jahren im Schnitt jüngste Mannschaft der EM. Vor vier Wochen gab es in einem Testspiel aber einen 4:2-Sieg für die Österreicherinnen. Und: Dänemark hat alle seine bisherigen fünf EM-Halbfinal-Partien verloren. Ein gutes Omen? "Unschlagbar ist auch Dänemark nicht", sagt Teamchef Dominik Thalhammer und gibt das Ziel vor: "Wir wollen das Märchen zu Ende schreiben."

Eines ist jetzt schon sicher: Ganz Österreich wird wieder vor den TV-Bildschirmen sitzen, in Rot-Weiß-Rot gekleidet, und für den nächsten Quotenerfolg sorgen.

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