Frauenfußball:Dieser Trainer war 45 Jahre beim selben Verein

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Trainer Bernd Schröder von Turbine Potsdam verabschiedet sich nach fast fünf Jahrzehnten. (Foto: dpa)
  • Eine Ära geht zu Ende: Bernd Schröder hat nach 45 Jahren im Verein letztmals die Fußballerinnen von Turbine Potsdam trainiert.
  • In dieser Zeit gewann der Verein zwölf Meisterschaften, dreimal den Pokal und zweimal den Europacup.
  • Schröder ist oft angeeckt. Besonders Bundestrainerin Silvia Neid forderte er heraus.

Von Frank Hellmann

War es das wirklich wert? Diese Frage hat sich Bernd Schröder in den vergangenen Tagen oft gestellt. Und die Antwort kommt ihm nicht so leicht über die Lippen. "Wissen Sie, ich habe drei Tage nach dem Tod meiner Tochter wieder meine Mannschaft trainiert. Ich war nicht bei der Einschulung meiner beiden Kinder."

Die Ereignisse liegen mittlerweile lange zurück, aber irgendwie erweckt der Mann mit dem breiten Kreuz, dem kräftigen Händedruck und dem kantigen Gesicht den Eindruck, als arbeite da noch etwas in ihm. War das immer richtig? Die Familie zu vernachlässigen, um bei Turbine Potsdam dem Frauenfußball zu dienen. Ehrenamtlich. Nicht für Wochen oder Monate oder Jahre. Sondern fast ein halbes Jahrhundert.

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Schröders Sohn Thoralf kam im Jahre 1971 auf die Welt, "so lange bin ich dabei". 45 Jahre also, vier Jahrzehnte davon als Trainer. Am Pfingstmontag ist für die prägendste Figur der Frauen-Bundesliga auf einer bescheidenen Bühne der Vorhang gefallen: Auf Platz Nummer elf, in Sichtweite des Weserstadions, endete mit dem 4:1 beim Absteiger Werder Bremen die Karriere für den 73-Jährigen, der ankündigt: "Ich werde es so machen wie Alex Ferguson. Ich räume bis zum 30. Juni mein Büro auf und dann gehe ich. Ich will dann nicht mehr in Erscheinung treten."

Viele im deutschen Frauenfußball, der trotz aller Professionalisierungsbestrebungen immer noch ein eher amateurhafter Betrieb geblieben ist, können sich das einfach nicht vorstellen. Rund 600 Spielerinnen, davon 20 deutsche Nationalspielerinnen, hat der ehemalige Reservetorwart von Lok Leipzig gefördert und gefordert, dabei wurde er eher zufällig auserkoren, als die Sektion Frauenfußball der BSG Turbine Potsdam entstand.

Er hat die Verantwortung immer nur per Handschlag geregelt, aber nach seinen Vorstellungen gestaltet: "Die Stimme des Erfolgs ist rau", lautet ein Lieblingssatz. Doch wer die knorrige Kultfigur nur als harten Hund bezeichnet, der wird dem Überzeugungstäter nicht gerecht.

Schröder wurde im Zweiten Weltkrieg in Travemünde geboren, wuchs unter einfachsten Bedingungen auf dem Land auf, arbeitete als Betriebsschlosser und kämpfte sich nach dem Abitur durch das Hochschulstudium der Montanwissenschaften. Hier rührt auch der Impuls her, die Hälfte der Trainerzeit zweigleisig zu fahren, denn seinen Lebensunterhalt verdiente er weiter im Potsdamer Energiekombinat, wo er zum Abteilungsleiter aufstieg. Die Beförderung, das ist ihm aus der DDR-Zeit wichtig, ging ohne Parteibuch vonstatten.

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Auch als sich nach der Wende die Rahmenbedingungen veränderten und Freunde wie der verstorbene Jörg Berger oder Hans Meyer auf dem Trainermarkt ein ordentliches Auskommen fanden, wollte Schröder nicht in den Männerbereich wechseln. "Ich habe nicht acht Jahre Ingenieurswesen studiert, um nur ein Fußballtrainer zu sein", sagt er. Außerdem hätte es der 1,95-Meter-Hüne nicht ertragen, einem Verein zu dienen, "in dem über mir Leute sitzen, die keine Ahnung haben." Dann lieber unentgeltlich bei den Frauen bleiben - und die Richtung vorgeben.

Mit seinen Prämissen ("Pflichtbewusstsein, Seriosität, Disziplin, Verlässlichkeit") stieg Potsdam zu einer der erfolgreichsten Marken auf. Der Ost-Verein sammelte Titel für Titel ein - die Turbinen sollten auch Maßstäbe für den Westen setzen. Zwölf Meisterschaften, drei Pokalsiege, zwei Europapokaltriumphe stehen in der Vita. Doch auf die Schultern muss ihm dafür heute niemand mehr klopfen.

Dem Träger des Bundesverdienstkreuzes, der bis vor zwei Jahren mit Ehefrau Ulrike noch in einer kleinen Plattenbauwohnung lebte, macht es Sorge, dass aus seiner Sicht die physische und psychische Belastungsgrenze der Sportlerinnen gesunken ist; ihn alarmieren die Zahlen von übergewichtigen Kindern oder motorisch unbegabten Jugendlichen, "daran kranken wir in vielen olympischen Sportarten". Außerdem findet er, dass in der Politik und Gesellschaft die Vorbilder verloren gegangen sind. Auch im Fußball. "Messi und Ronaldo sind Vorbilder als Fußballer, aber nicht als Menschen."

Schröder ist ein Unikum. Und ein kritischer Geist. Der überzeugte Christ ist häufig angeeckt. Bewusst, wie er verrät. "Ich habe den Prellblock der Liga gegeben." Nicht nur einmal forderte er Bundestrainerin Silvia Neid heraus, wobei ihm rückblickend wichtig ist, dass es nie um persönliche Animositäten ging, "sondern um die Sache". Tatsächlich neigt der Deutsche Fußball-Bund dazu, um seine Frauen-Nationalmannschaft bei kleinsten Krisensymptomen eine übergroße Schutzglocke zu stülpen. "Es wäre gut, den Wert des Widerspruchs und der Kritik zu erkennen", hat Schröder in Richtung Neid oft gesagt.

Besonders stolz ist Schröder auf eine Mail

Mit der 52-Jährigen, die nach dem Olympischen Fußballturnier abtritt, hat der "Hasser des Konjunktivs" (Schröder über Schröder) seinen Frieden gemacht. Und auch mit der Nachfolgelösung Steffi Jones mag er nicht mehr zu viel herumkritteln, schließlich hat der Verband eine seiner Forderungen erhört: Markus Högner von der SGS Essen wird an entscheidender Stelle im Trainerstab installiert.

Schröder, den die taz einst ein "fürsorgliches Fossil" genannt hat, wird nicht ganz ruhen. Für ein Unternehmen führt er eine Interviewserie ("Schröder fragt mal nach") und hält Vorträge. Seine Anekdoten schreibt er auf. An seinen letzten Tagen als Turbine-Trainer hatte er oft eine Mappe bei sich, in der einige Erinnerungen in Klarsichtfolien abgelegt waren. Ein DFB-Dankesschreiben, eine Sonderausgabe der lokalen Tageszeitung.

Besonders stolz aber ist Schröder auf die Mail, die ihm ein 19-Jähriger schickte, der immer ins "Karli" kam, wie das Karl-Liebknecht-Stadion genannt wird, wo Turbine seine Heimspiele austrägt. In dem langen Text wird Schröder als persönliches Vorbild gelobt. Den vermeintlich so harten Kerl ergreift bei der Lektüre Rührung. In solchen Momenten ist sich Bernd Schröder sicher: Das war es wert.

© SZ vom 18.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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