Fußballerinnen des VfL Wolfsburg:Systemausfall zur Unzeit

Fußballerinnen des VfL Wolfsburg: Unerwarteter Systemausfall: Marina Hegering (Mitte) und Svenja Huth (rechts) verlassen konsterniert und etwas ratlos den Frankfurter Rasen.

Unerwarteter Systemausfall: Marina Hegering (Mitte) und Svenja Huth (rechts) verlassen konsterniert und etwas ratlos den Frankfurter Rasen.

(Foto: Christian Kaspar-Bartke/Getty)

Meisterschaft verspielt, Titel in Pokal und Champions League in Gefahr: Just am Saisonhöhepunkt schwächeln die Fußballerinnen von Deutschlands Vorzeigeklub. Trainer Stroot befürchtet "langfristige Folgen", auch das Nationalteam ist betroffen.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Auch zarte Hohngesänge können weh tun. In der Nordwestkurve der Frankfurter Arena standen zwar nicht die Ultras, die bei Heimspielen der Eintracht-Männer gerne die Gäste verunglimpfen, doch für Sarkasmus waren die SGE-Fans auf den Stehrängen auch in der Bundesliga der Frauen zu haben. Einmal fragte der Block im Stakkato: "Und ihr wollt deutscher Meister sein?" Um dann nachzulegen: "Einer geht noch, einer geht noch rein!" Wenn die Fußballerinnen des VfL Wolfsburg derart verspottet werden, dann ist etwas Auergewöhnliches passiert.

17 800 Augenzeugen verfolgten die Demontage des deutschen Meisters und Pokalsiegers bei Eintracht Frankfurt, deren Ausmaß (Endstand 0:4) im Duell der Verfolger kaum einer für möglich gehalten hatte. Außer vielleicht die beschwingte Frankfurter Nationalstürmerin Laura Freigang, die am Sonntagmorgen ein Mädchen im Trikot mit ihrem Namen gesehen hatte und danach fest daran glaubte, dass an diesem Tage "alles passen" könnte, wie sie sagte. Ihr Trainer Niko Arnautis lobte "die beste Leistung der letzten sechs Jahre".

Im Gegenzug ging bei den Wolfsburgerinnen wenig zusammen, so dass sich insbesondere für Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg auf der Heimfahrt einige Fragen stellten. Eine entkräftete Lena Oberdorf, eine überspielte Svenja Huth oder die im Mittelfeld falsch postierte Alexandra Popp - manche Akteurinnen müssen für die WM in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) unbedingt in eine bessere Verfassung kommen. VfL-Trainer Tommy Stroot formulierte in aller Deutlichkeit: "Wir haben nicht die Bereitschaft und Gier an den Tag gelegt, die für ein Spitzenspiel nötig ist. Das ist nicht akzeptabel bei dem Anspruch, den wir haben."

Der Traum vom Triple wie vor zehn Jahren bleibt unerfüllt, erklärte der konsternierte Coach: "Mein Realismus sagt mir, dass Bayern die Meisterschaft einfahren wird." Die im Pokal von seinem Team geschlagenen und in der Champions League am FC Arsenal gescheiterten Münchnerinnen können mit einem Sieg bei Bayer Leverkusen am Samstag um 13 Uhr die Feierlichkeiten starten.

Es lag nicht nur an taktischen Fehlern, wie der VfL gegen die Eintracht unter die Räder kam

Der Systemausfall von Popp und Co, die ihrem Arbeitgeber seit Jahren Titel am Fließband bescheren, kommt zur Unzeit. Mitten in der ersten "DFB-Women's Week" rund um das DFB-Pokalfinale gegen den SC Freiburg am Donnerstag (16.45 Uhr, ARD) schwächelt das Aushängeschild des deutschen Frauenfußballs, für das Stroot sogar "langfristige Folgen" aus dieser Niederlage befürchtet. Sechsmal in den vergangenen sieben Jahren war der Meistertitel an das Team vom Mittellandkanal gegangen, achtmal hintereinander sogar der Pokal. Nun wirkt es, als sei der neunte Pokalsieg plötzlich keine Formsache mehr, wenn vor einer Rekordkulisse in Köln mit mehr als 35 000 verkauften Tickets das Endspiel gegen den SC Freiburg angepfiffen wird.

Fußballerinnen des VfL Wolfsburg: "Jede Spielerin will jetzt zeigen, dass wir deutlich besseren und schöneren Fußball spielen können", sagt Wolfsburgs Torhüterin Merle Frohms (rechts), die in Frankfurt ungewohnt oft den Ball vorbei ließ.

"Jede Spielerin will jetzt zeigen, dass wir deutlich besseren und schöneren Fußball spielen können", sagt Wolfsburgs Torhüterin Merle Frohms (rechts), die in Frankfurt ungewohnt oft den Ball vorbei ließ.

(Foto: Peter Hartenfelser/Imago)

"Die Art und Weise ist sehr schmerzhaft. Das braucht man nicht schönzureden", kritisierte die von ihren Vorderleuten sträflich im Stich gelassene Nationalkeeperin Merle Frohms, die wie Trainer Stroot aus der Lektion ein "wichtiges Learning" erkannt haben wollte: "Jede Spielerin will jetzt zeigen, dass wir deutlich besseren und schöneren Fußball spielen können." Dass die lange Saison einschließlich einer kurzen Sommerpause wegen der EM in England Spuren hinterlassen hat, wollte die Spitzentorhüterin nicht als Ausrede anführen: "Es kann an der einen oder anderen Stelle mal die Kraft fehlen, aber wir sollten als Mannschaft in der Lage sein, dies zu kompensieren."

Schließlich leistet sich der Werksverein einen auch in der Tiefe hochwertigen Kader. Entsprechend bedient und nachdenklich wirkte Ralf Kellermann, der in Wolfsburg als Direktor Frauenfußball die Gesamtstrategie verantwortet. Kellermann dürfte mitbekommen haben, dass es nicht nur an taktischen Fehlern lag, wie der VfL gegen die konternde Eintracht unter die Räder kam. Eintracht-Kapitänin Tanja Pawollek bemerkte beim Verlierer eine "negative Stimmung auf dem Platz". Meister beim Meckern und Motzen möchten die Wölfinnen eigentlich nicht werden.

Ob möglicherweise etwas Grundsätzliches in der langen Sommerpause auf den Prüfstand muss, wird letztlich vor allem das Champions-League-Finale gegen den FC Barcelona am 3. Juni in Eindhoven zeigen. Gegen das nominell stärkste Vereinsteam der Welt hatten Wolfsburgerinnen im Halbfinal-Hinspiel im Camp Nou 2022 eine ähnliche Schlappe (1:5) erlitten, aus der damals schnell die richtige Reaktion folgte: Das Rückspiel gewannen sie 2:0. Stroot ist überzeugt, dass diesmal die Trotzreaktion bereits an Christi Himmelfahrt gegen den SC Freiburg folgt: "Wir verfallen jetzt nicht in Hektik. Für ein Pokalfinale brauche ich meine Truppe nicht zu motivieren."

Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungFrauen-WM 2023
:Infantino zerstört das Momentum

Im Streit um die Vergabe der Fernsehrechte vor der WM geriert sich der Fifa-Präsident als Freund und Förderer des Frauenfußballs. Ausgerechnet er. Dabei würde vor allem sein angekündigter TV-Blackout den Spielerinnen schaden.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: