Frauenfinale in Wimbledon:Die List des Wirbelwindes

Wie im Vorjahr Angelique Kerber überrumpelt diesmal Simona Halep die favorisierte Serena Williams. Die kleine Rumänin kontert die aufschlaggewaltige Amerikanerin gnadenlos aus.

Von Barbara Klimke, London

Noch Stunden nach ihrem Sieg trug Simona Halep ihr Tenniskleid samt weißem Jäckchen, nur heftete nun eine lilafarbene Anstecknadel am Revers. Den Präsentierteller, die Rosenwasser-Schale, hatten dienstbare Geister ihr irgendwo auf dem Weg vom Centre Court ins Clubhaus abgenommen. Nur einmal noch, beim Champions Ball am Abend, hat sie anschließend die Trophäe in den Raum tragen dürfen; danach wurde das Silber wieder hinter Panzerglas im Tennismuseum verstaut. Die unscheinbare Plakette dagegen darf sie behalten, sie hat für Halep unschätzbaren Wert. Sie beweist, dass sie nun Club-Mitglied der feinen Tennisgesellschaft in der Süd-Londoner Villengegend ist.

Schon vor Turnierbeginn hatte Halep, 27 Jahre alt, aus Constanta am Schwarzen Meer, von diesem Traum erzählt. Am Samstag erledigte sie die Aufnahmebedingungen dann im Blitztempo. Noch ehe eine volle Stunde auf dem Centre Court vorbei war, nahm das Protokoll seinen Lauf: Die Ballkinder standen Spalier, der Herzog von Kent schritt mit dem Klubpräsidenten und dem Verbandsvertreter durch die Reihen, und dann hatte Halep alles, was sie je wollte: den Sieg, die Schale und die damit verbundene Ehrennadel. Es war mit 56 Minuten nicht das kürzeste Endspiel von Wimbledon. Diesen Rekord hält noch immer Suzanne Lenglen aus Frankreich, die 1922 in nur 23 Minuten über die Amerikanerin Molla Mallory (6:2, 6:0) hinweggefegt war. Aber Halep ähnelte am Samstag ebenfalls einem Wirbelwind, als sie zum 6:2, 6:2 über die dominierende Spielerin dieses Jahrhunderts stürmte: "Sie hat wie von Sinnen gespielt", stellte Serena Williams fest.

Noch am Morgen vor dem Match hatte sie Magenschmerzen, gab Halep zu. Zu nervenaufreibend empfand sie die Aussicht, gegen Williams, siebenmalige Wimbledonsiegerin und 23-malige Grand-Slam-Gewinnerin, anzutreten. Eine Kontrahentin, die sie als "Inspiration" sieht, aber auch als "einschüchternd" erlebte, wie sie sagte, und gegen die sie bis dahin neun ihrer zehn Duelle verloren hatte. Sie beschloss, auf den Platz nur an ihre eigenen Stärken, nicht an die Rivalin als Person zu denken, und legte los. Sie nahm Williams gleich das erste Aufschlagspiel ab, dann das zweite und scheuchte ihre Gegnerin mit harten, langen Schlägen unentwegt die Grundlinie entlang. Nach zwölf Minuten lag sie 4:0 in Führung, nach 20 Minuten bereits 5:1. Sie habe zu diesem Zeitpunkt gar nicht auf das Scoreboard geschaut, sagte sie: "Nur auf den Ball."

Was Williams über die Dauer des zweiwöchigen Turniers ausgezeichnet hatte, waren ihre Kanonenaufschläge: 45 Asse hatte sie bis zum Finale mit Power und Präzision ins Feld gefeuert. Auch der Speed, 196 km/h, blieb unerreicht. Halep war die Erste, die die Geschosse im Flug entschärfte: Sie hatte noch am Tag zuvor 30 Minuten lang nur Returns geübt, brachte jeden Ball zurück und konterte dann die übermächtig erscheinende 37 Jahre alte Amerikanerin aus. "Ich habe ja einen Plan, wie ich gegen Spielerinnen agiere, die alles zurückbringen", sagte Williams später, als sie etwas ratlos vor den Journalisten erschien: "Nur habe ich mich zu spät daran erinnert." Als es ihr einfiel und sie erstmals Asse in Serie in Feld schlug, stand der erste Matchball bevor.

Wie im Vorjahr Angelique Kerber, so hat nun Halep aus den Schwächen Williams' Kapital geschlagen. Aber anders als Kerber, hatte sie jahrelang heftig gefremdelt auf dem kurzgeschorenen Rasen im noblen All England Club. Zwar war sie eine Zeitlang die Nummer eins der Rangliste, auch konnte sie 2018 endlich die French Open gewinnen. Aber das Gras, dachte sie, dieser Tummelplatz für "all die Riesenspielerinnen mit den Poweraufschlägen", das sei sie nichts für sie bei nur 1,68 Meter Größe. Zudem ist sie auf Hart- und Sandplätzen großgeworden: "Wir haben in Rumänien ja nicht mal einen Rasenplatz."

In diesem Sommer hat ihr Trainer Darren Dobre ihr zugeredet, es einfach noch einmal zu versuchen, nur zum Spaß, ohne konkretes Ziel. Sie fasste Zutrauen zu dem Untergrund, fand Halt auf den Halmen, erkannte, dass man mit Tennisschuhen auch über eine Art Wiese laufen kann, und wusste auf einmal, "was ich machen muss, wenn der Ball zu mir kommt". Mitten im Turnier verkündete sie zu ihrer eigenen Überraschung: "Ich liebe das Rasenspiel." Am Morgen des Finals kam Ion Tiriac, einst Manager von Boris Becker, heute Haleps Förderer und Berater, zu ihr und habe gesagt: "Ganz egal, wie es ausgeht, es ist dein Tag, genieß das Match."

Nach dem Matchball erklärte das neue Mitglied im All England Club befreit und gelöst den 15 000 Zuschauern auf den Tribünen, darunter Herzogin Kate von Cambridge, wie ihre Mutter ihr einst als Kind in Constanta am Meer in Rumänien gesagt hatte: "Wenn du etwas werden willst im Tennis, musst du ins Wimbledon-Finale." Die Mutter war am Samstag so gerührt, dass sie in Tränen ausbrach, als sie ihre Tochter endlich auf der Spielerterrasse umarmen konnte. Tiriac stand daneben und gab ihr einen Kuss auf die Wange. "Das muss was heißen!", sagte Halep grinsend, "das macht Mister Tiriac sonst nie." Und dann sagte sie dem Club-Präsidenten, dass sie bald schon wiederkomme auf die Anlage: Vielleicht nur für ein Dinner. "Einfach so, ohne Druck. Und ohne ein Match am nächsten Tag."

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