Frauenfinale in Wimbledon:Boris Beckers Tipps für Kerber

Frauenfinale in Wimbledon: Geschafft: Angelique Kerber im Augenblick des Triumphs gegen Venus Williams.

Geschafft: Angelique Kerber im Augenblick des Triumphs gegen Venus Williams.

(Foto: AP)
  • Vor dem Finale von Wimbledon sprach die SZ mit Boris Becker über die Chancen von Angelique Kerber gegen die Favoritin Serena Williams.
  • Der Wimbledon-Sieger sagt, sie müssen nun vor allem im "Tunnel" bleiben und sich ein bisschen abschotten.
  • Die Ergebnisse des Turniers finden Sie hier.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

"Setzen Sie sich", sagt Boris Becker freundlich auf der Terrasse, er wird später an diesem Freitag als Experte für die BBC gebraucht, gerade hat er rasch ein Poster für einen Japaner unterschrieben, auf dem er zu sehen ist, hechtend auf dem Rasen im All England Club. Könnte 1985 oder 1986 gewesen sein, jedenfalls war's lange her, die Haare waren noch feuerrot. Aber der heute 48-Jährige, berühmt geworden als Leimener, der eine Nation mit 17 in Beschlag nahm, weiß natürlich noch gut, wie sich das damals angefühlt hat, so ein Finale in Wimbledon. Deshalb weiß auch er - dreimal siegreich in sieben Endspielen -, was jetzt auf Angelique Kerber zukommt. An diesem Samstag.

"Das Wichtigste ist, dass sie im Tunnel bleibt", sagt Becker, "dass sie nicht aufwacht. Diese Gefahr besteht, sie sollte jetzt auch nicht mehr das Telefon anmachen oder Nachrichten lesen." Wenn es Kerber gelänge, den Flow, der die 28-Jährige auch beim wichtigsten Tennisturnier bis zur letzten Partie des Einzel-Wettbewerbs trug, mitzunehmen, habe sie Chancen. In Melbourne, im Januar, bei den Australian Open, habe es schließlich genau so geklappt. "Da war sie Außenseiterin gegen Serena Williams und siegte."

Becker traut Kerber zu, dass sie mental gefestigt in ihr zweites Grand-Slam-Finale geht: "Sie kann Druck standhalten, sie hat sich selbst gefunden und kann ihre Stärken ausspielen, weil sie die Fitness dafür hat." Tatsächlich hatte Kerber zuvor, nach dem 6:4, 6:4-Halbfinalsieg gegen die sichtlich müde Venus Williams, 36, Schwester von Serena, einen Satz gesagt, der klingt, als habe sie Beckers Tunnel-Philosophie verinnerlicht: "Die Euphorie ist echt ein schönes Gefühl, aber die Euphorie kann noch zwei Tage warten."

Sich in eine eigene Welt zu denken, war eine Fähigkeit, die Becker zur Kunstform erhob, Kerber schafft es neuerdings auf ihre Art. Und das ist auch nötig, denn wenn sie sich wirklich einen Kopf darüber machen würde, dass sie erst die fünfte Deutsche im Wimbledon-Finale nach Cilly Aussem, Heide Krahwinkel, Steffi Graf und Sabine Lisicki ist, dass vor 20 Jahren Graf, ihre Mentorin im Hintergrund, als letzte Deutsche siegte, könnte ihr linker Schlagarm schwer werden. "So wie in Australien muss ich mich aufs Wesentliche fokussieren." Sie wolle "nicht zu kompliziert" denken. Sie fixiert sich auf Routinen, das Training mit Coach Torben Beltz, Physio-Sitzungen mit Cathrin Junker, essen, schlafen, Spaziergänge, die Ablenkungen hält sie in Grenzen. Was passiert, wenn zu viel im Kopf tobt, hat Becker mal schmerzhaft erlebt, als er 1991 ein spezielles Wimbledon-Finale bestritt, gegen Michael Stich: "Ich war da nicht ganz Herr meiner Sinne", bekennt er offen zu diesem Match, das er in drei Sätzen verlor.

Melbourne, Wimbledon, zwei Finals auf größtmöglicher Bühne, die selbe Spielerin, und doch ist einiges anders diesmal. Kerber hatte in Australien den Vorteil, dass Deutschland schlief, während sie auf der anderen Seite siegte, sie hatte Ruhe, konnte ihren Druck definieren. Wimbledon, sagte Kerber, fühle sich anders an, jede Fußnote an Tradition wird hier ja als Breaking News wahrgenommen, ihre Pressekonferenzen hielt sie allesamt im "Main Interview Room" ab, sie kann sich nicht mehr verstecken als offizieller Champion. "Ihr Finaleinzug hier ist fast gleich einzuordnen wie ihr Erfolg in Australien", sagt daher Barbara Rittner; die Bundestrainerin kennt Kerber so gut wie wenige.

Ihr Australian-Open-Sieg rang Serena Williams Respekt ab: "Kerber war furchtlos."

Rittner stuft sie als die "konstanteste harte Arbeiterin" der deutschen Spielerinnen ein, die sich Schwächen intern stelle und trotz Tiefen "nicht in ein Loch fällt". Als Beispiel nennt Rittner das Erstrunden-Aus Kerbers bei ihrem ersten Grand-Slam-Auftritt nach Melbourne, bei den French Open in Paris. Sachlich wurde diese Pleite analysiert, Kerber gestand, sie hatte sich aufgrund der öffentlichen Erwartungshaltung zu sehr unter Druck gesetzt; die innere Balance zu finden, war meist ihre Hauptbaustelle. "Ich versuche mir einzureden, dass ich nur im Hier und Jetzt bin", sagt sie. "Es hilft extrem, dass sie so lange mit Torben arbeitet", sagt Rittner; der Trainer aus Itzehoe breche nicht in Hektik aus, strahle Stabilität und Vertrauen aus. "Wenn Angie Anerkennung spürt, wächst sie mit den Aufgaben", weiß Rittner.

Das Erstaunliche ist, dass Kerber sogar für die Finalgegnerin, die 21 Grand Slams gewann und mit Graf gleichziehen könnte, inspirierend ist. "Sie war furchtlos", erinnerte sich Williams an ihre Melbourne-Niederlage. "Das ist etwas, das ich gelernt habe. Wenn ich dieses Finale spiele, muss ich es auch sein." Diesen Respekt, findet Becker, habe Kerber sich verdient, auch wenn er ahnt, dass sich ihr Leben mit einem Triumph nicht so ändern würde wie bei ihm einst. "Ich war der Erste", erinnert er sich. Ja, er war der, der den Boom auslöste und den man nicht jetzt nicht zu sehr erwarten sollte. "Die Zeiten waren anders."

Eines indes wäre neu für Kerber: "Sie wäre ja als Siegerin Mitglied im All England Club", sagt Becker, der im Ort Wimbledon wohnt. Er lächelt: "Sie kann mich dann gerne hier zum Kaffee treffen."

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