Frauen-WM 2011:Spritzen, Druck und Schönheitsfehler

Ellyse Perry hat sich in der Sportart verirrt, Marta muss endlich einen großen Titel gewinnen, zwei Frauen aus Äquatorialguinea und Japan haben ganz andere Sorgen. Vier Spielerinnen, auf die Sie bei der WM achten müssen.

H. Gertz, B. Herrmann und A. Perkuhn

Ellyse Perry hat sich in der Sportart verirrt, Marta muss unbedingt einen großen Titel gewinnen, zwei Frauen aus Äquatorialguinea und Japan haben ganz andere Sorgen. Vier Spielerinnen, auf die Sie bei dieser WM achten müssen.

Ellyse Perry

Gut im Fußball, gut im Kricket: die Australierin Ellyse Perry.

(Foto: AP)

Es gibt die Theorie, dass ein Spitzenfußballer auch in jeder anderen Disziplin ein Ass geworden wäre, wer einen Ball beherrscht, beherrscht alle Bälle. Beckenbauer ist ein beachtlicher Golfer, Berti Vogts wäre als Turnierkegler gut vorstellbar, aber in der Regel bleiben Fußballer beim Fußball, denn sie sind bequem. Fußballerinnen sind auch da vollkommen anders, die Australierin Ellyse Perry, 20 Jahre alt, spielt Kricket und Fußball.

Die Spiele sind nicht besonders nah miteinander verwandt, Ellyse Perry muss also Bälle von unterschiedlicher Größe sowohl werfen, fangen, schlagen als auch schießen, stoppen, köpfeln. Lucien Favre, jener Trainer, der den Begriff Polyvalenz nach Deutschland getragen hat, wäre begeistert von Ellyse Perry, einen polyvalenteren Spieler findet man nirgendwo.

Mit 16 spielte sie zum ersten Mal für Australien Kricket, einen Monat danach spielte sie auch Fußball für ihr Land. Sie hat in Vietnam gespielt, beim Women's Asia Cup, einem Fußball-Turnier. In den West Indies spielte sie beim World-Twenty-Turnier, da ging es um Kricket. Die Australierinnen gewannen das Finale gegen Neuseeland, Ellyse Perry wurde zur Spielerin des Spiels gewählt.

Vielleicht muss sie sich irgendwann entscheiden, was ihr wichtiger ist, Kricket oder Fußball, vielleicht geht auch beides. In Australien funktioniert, was Sport angeht, oft alles zusammen. In den Bars hängen zahlreiche Bildschirme, auf einem läuft Kricket, auf einem anderen Rugby, auf dem dritten Australian Football und irgendwo bei den Toiletten sogar Fußball, Soccer. Im Kricket sind die australischen Frauen immer Favorit, im Fußball immer Außenseiter.

"Wird spannend, mal ein Turnier aus dieser Perspektive zu sehen und nicht zu den Teams zu gehören, auf die alle achten", sagt Ellyse Perry. Sie hat sich mit ihrer Mannschaft in Göttingen vorbereitet und konnte sich schon mal davon überzeugen, dass Göttingen nicht St. Kitts ist: In der Karibik sind alle verrückt nach Kricket, und Ellyse Perry ist ein Star, die Kricketspielerin Ellyse Perry.

Die Fußballerin Perry ist wichtig für ihr Team. Australien, Kampfname Matildas, tritt mit lauter Teenagern an, die Stimmung in den Stadien wird sie beeindrucken, aber Ellyse Perry kann ihnen sagen, dass das noch gar nichts ist. Sie kennt ja die Spiele der Welt. (Holger Gertz)

Marta: Kleiner Schönheitsfehler

Klein ist sie, sehr klein, diese Marta. Knapp 1,62 Meter sollen es sein, aber das macht natürlich nichts, sondern ist sogar sehr praktisch. Viel besser als an glatten Personen erzählen sich Heldengeschichten ja an Menschen entlang, die aussehen, als würden sie in der Welt verloren gehen.

Frauen-WM 2011: Fünf Mal die weltbeste Spielerin des Jahres - jedoch ohne WM-Titel: die Brasilianerin Marta.

Fünf Mal die weltbeste Spielerin des Jahres - jedoch ohne WM-Titel: die Brasilianerin Marta.

(Foto: AP)

Die technisch versierte, torgefährliche Brasilianerin Marta Vieira da Silva, 25, ist seit 2006 in jedem Jahr zur Weltfußballerin gewählt worden und steht für alles, was das romantische Bild des Sports ausmacht: die Hoffnung, dass die Herkunft keine Rolle spielt; dass einen Begabung ganz nach oben bringen kann. Das schöne Bild wird nur von der Kleinigkeit gestört, dass Marta bisher der WM-Titel fehlt.

Im Nordosten Brasiliens ist sie geboren, in Dois Riachos, einem Ort mit etwa 11000 Einwohnern. Im Alter von 14 Jahren setzte sie sich in einen Bus nach Rio de Janeiro, weil ihr Dois Riachos nicht den Platz bieten konnte, um Fußballerin zu sein. Drei Tage soll die 2000-Kilometer-Reise gedauert haben, dann begann bei Vasco da Gama ihre Karriere. Zwei Jahre später nahm die Stürmerin mit der U19-Nationalmannschaft an der WM in Kanada teil und erzielte sechs Tore - Brasilien wurde Vierter.

Ein Jahr später spielte sie bereits in der A-Nationalmannschaft. In 69 Länderspielen hat sie 76 Tore erzielt und nach dem Sieg bei den Panamerikanischen Spielen 2007 durfte Marta als erste - und bisher einzige - Frau ihre Fußabdrücke im Beton der Hall of Fame des Maracanã-Stadions hinterlassen. In Brasilien, wurde diese Woche gemeldet, nenne man sie jetzt "Pelé im Rock" - sie mit normalsterblichen Fußballerinnen zu vergleichen, traut sich niemand mehr.

Fußball war und ist in Brasilien aber eine Männerdomäne, bis 1981 war Frauenfußball noch verboten. Es fehlt an Strukturen, Sponsoren, Aufmerksamkeit. Eine landesweite Frauen-Profiliga gibt es nicht, deshalb ging Marta 2004 nach Schweden zum Erstligisten Umea IK, gewann in ihren fünf Jahren dort Meisterschaft, Ligapokal und den Uefa-Cup und wechselte 2009 schließlich in die gut bezahlte US-Profiliga der Frauen.

Einen Dreijahresvertrag schloss sie mit der Liga ab, mit einem Jahresgehalt von 180.000 Euro. Hinzu kommen noch Sponsorenverträge über 200.000 Euro, und wenn Marta in der Winterpause der US-Liga zu Gastspielen beim brasilianischen Traditionsklub FC Santos antritt, gibt es auch dafür noch einmal Geld.

Dass Marta bei Santos einen Vertrag bekam, war für andere Vereine in ihrem Land ein Signal, sich nun ebenfalls mit Frauenfußball zu beschäftigen. Marta ist damit nicht nur das bekannteste Gesicht der Nationalelf, sondern auch eine der Personen, an die die Entwicklung des Frauenfußballs in Brasilien geknüpft ist. Entsprechend dringend will Marta endlich einen Titel erspielen.

Die brasilianische Auswahl zählt zu den stärksten der Welt, sie gewann 2010 die Südamerika-Meisterschaft. Bei den ganz großen Turnieren ist sie allerdings bisher immer gescheitert: Bei den olympischen Spielen 2004 an den USA, 2007 im WM-Finale an der deutschen Elf um Birgit Prinz und Nadine Angerer, bei Olympia 2008 wiederum an den USA.

"Der Titel ist mein großes Ziel mit der Nationalmannschaft", sagte Marta kürzlich in einem Interview. Marta-Interviews mit ähnlichem Wortlaut gibt es auch aus anderen Jahren, aber diesmal muss es klappen. Der Weg von der Heldin zur tragischen Figur ist nicht weit, das weiß auch sie. (Anja Perkuhn)

Yuki Nagasato: Bitte nicht spritzen!

Empfang für japanische Nationalmannschaft

Die Hoffnung der japanischen Elf: Yuki Nagasato.

(Foto: dpa)

Es ist nie so richtig aufgeklärt worden, weshalb Yuki Nagasato das Champions-League-Finale verpasst hat. Laut der offiziellen Sprachregelung ihres Vereins Turbine Potsdam handelte es sich um eine "Knieverletzung", aber das ist womöglich nur die halbe Geschichte. Alle, auch Trainer Bernd Schröder, waren noch am Morgen des Spiels fest davon ausgegangen, dass Nagasato im Londoner Craven Cottage gegen Olympique Lyon auflaufen würde.

Angeblich ist so manche Träne geflossen, als die Japanerin am Nachmittag ihre Mitspielerinnen mit ihrer Abmeldung schockierte. Man hat dann offenbar noch vereinbart, die genauen Gründe besser für sich zu behalten. Japanischen Journalisten hat Nagasato an diesem Abend allerdings erzählt, sie habe am Vorabend des Spiels eine Spritze gegen "leichte Knieschmerzen" bekommen. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, habe sie ihr Bein nicht mehr gespürt. Alles sei taub gewesen, vom Knie bis zur Ferse. Der Mediziner habe ihr - offenbar aus Versehen - eine Überdosis Schmerzmittel verabreicht.

Wenn diese Version stimmen sollte, dann hatte der betreffende Arzt auch einen nicht ganz unwesentlichen Anteil am Ausgang des Finales. Lyon siegte gegen die Titelverteidiger aus Potsdam 2:0. Und wer sich später in den Reihen von Turbine nach Gründen für die deutliche Niederlage erkundigte, der hörte fast immer denselben Satz: "Yuki hat gefehlt." Das sollte vermutlich keine Entschuldigung sein. Es klang aber so.

Man muss dazu wissen, dass auf Seiten von Turbine immerhin drei deutsche Nationalspielerinnen auf dem Rasen standen, die in den kommenden Tagen mit Bundestrainerin Silvia Neid die WM gewinnen sollen. Dazu zwei weitere, die erst im letzten Moment aus dem DFB-Kader gestrichen wurden. Ein Großteil der Potsdamer Mannschaft war schon mehrmals deutscher Meister, einige Spielerinnen haben bereits einen EM- und einen WM-Pokal in die Luft gehalten. Und jetzt fühlten sie sich plötzlich unterlegen und unsicher - weil eine 23-jährige Stürmerin aus Japan nicht auf dem Feld war.

Zugegeben, Yuki Nagasato ist nicht irgendeine Japanerin. Sie spielt bereits in der Nationalelf, seit sie 15 ist. Bevor sie volljährig wurde, war sie mit ihrem Heimatklub NTV Beleza bereits zwei Mal japanische Meisterin. Inzwischen hat sie mit ihrer Dynamik und ihrer Torgefährlichkeit auch Turbine Potsdam zweimal hintereinander zum Ligatitel verholfen. In der zurückliegenden Champions-League-Saison erzielte sie zudem in acht Einsätzen neun Treffer. Trainer Bernd Schröder nennt sie ganz offen "meine beste Spielerin".

Schröder, dem man nach über 40 Jahren als Frauenfußball-Trainer durchaus ein gewisses Expertenwissen unterstellen darf, zählt Japan zu den Geheimfavoriten dieser WM - nicht alleine wegen Nagasato, aber auch nicht zuletzt wegen ihr. In der Fifa-Weltrangliste steht das Land inzwischen auf dem vierten Platz.

Yuki Nagasato ist allerdings nicht nur auf dem Rasen ein Phänomen. Sie gäbe auch ein Werbe-Ikone für die hiesigen Volkshochschulen ab. Im Januar 2010 kam sie aus Japan nach Potsdam. In dieser Zeit hat sie besser Deutsch gelernt, als so mancher Eingeborene im Lauf eines ganzen Lebens. Ihr bescheidenes Turnierziel lautet: Allen verdächtigen Spritzen aus dem Weg gehen und Weltmeister werden. Etwas grundsätzlicher formuliert: "In Japan gibt es nur schlechte Nachrichten. Ich muss Japan jetzt gute Nachrichten geben." (Boris Hermann)

Genoveva Añonma: Die Frau aus Afrika

Genoveva Anonma

Im Mittelfeld der Elf aus Äquatorialguinea: Genoveva Añonma.

(Foto: dapd)

Vor ein paar Tagen hat der Weltverband Fifa die offiziellen Listen der Mannschaftskader veröffentlicht. Die Nummer 10 trägt bei Äquatorialguinea demnach eine Spielerin namens "Anonman". Man muss der kriselnden Fifa jetzt nicht auch noch jeden Tippfehler vorhalten - unbestätigten Gerüchten zufolge verschreiben sich Journalisten auch ab und an. In diesem Fall scheint allerdings ein besonders gemeiner Spaßvogel an der Tastatur gesessen zu haben, der die Spielmacherin Genoveva Añonma ausgerechnet in "Anon-man" umtaufte.

Anfang des Jahres war ja der Verdacht kursiert, dass sie in Wahrheit ein Mann sei. Wer ihr einmal gegenüber gesessen hat, der weiß, dass diese Gerüchte haltlos waren. Und jetzt kann man natürlich argumentieren, die Fifa habe in ihrer Kaderliste genau das zum Ausdruck bringen wollen, in dem sie Añonma einen Nicht-Mann - "a-non-man" - nannte. Viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass der Weltverband damit unfreiwillig eine Debatte wiederbelebte, die er am liebsten schon längst diskret begraben hätte.

Añonma, die zur kommenden Saison innerhalb der Bundesliga vom USV Jena zu Turbine Potsdam wechselt, ist unbestritten eine der begabtesten Fußballerinnen Afrikas. Manch einer hatte ihrem Nationalteam, das 2008 Afrikameister wurde, sogar 2011 in Deutschland eine Überraschung zugetraut, weil neben Añonma auch die Geschwister Salimata und Bilguisa Simpore überdurchschnittlich schnell und dynamisch sind. Die Simpores tauchen nun aber nicht in der Kaderliste auf. Es hieß, Bilguisa sei am Knie verletzt und Salimata habe alleine auch keine Lust mehr auf die WM.

In Wahrheit ist es wohl eher so, dass die beiden im Gegensatz zu Añonma den Geschlechtstest nicht bestanden haben. Die Fifa hat sich um eine transparente Darlegung des Sachverhalts gedrückt, sie erklärte den Fall offiziell für abgeschlossen. Es hieß, wer in Deutschland ist, sei spielberechtigt, basta. Die Frage, die zu klären wäre, lautet jedoch, ob Äquatorialguinea überhaupt in Deutschland sein dürfte, schließlich kamen die Simpores in der WM-Qualifikation zum Einsatz.

Genoveva Añonma, 22, steht nun in jedem Fall vor der Doppelaufgabe, mit einer dezimierten Elf gegen ihren ruinierten Ruf anzukämpfen. Sie erklärt tapfer, sie wolle ihr Bestes geben - und noch ein bisschen mehr. (Boris Hermann)

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: