Jubel bei der Frauen-WM:Huch, so schön kann Jubel sein

Besonders viele Tore fallen bei dieser WM nicht - doch wenn sie treffen, bestechen die Frauen mit ungewohnt kreativem Torjubel. Verändert die größere Fernsehpräsenz etwa die Freude über Erfolge?

Boris Herrmann

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Cheney the U.S. celebrates her goal with team mates during their Women's World Cup Group C soccer match against Nortk Korea in Dresden

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Besonders viele Tore fallen bei dieser WM nicht - doch wenn sie treffen, bestechen die Frauen mit ungewohnt kreativem Torjubel. Mit steigender Fernsehpräsenz verändert sich offenbar auch die Freude über Erfolge.

Von Boris Herrmann

Lauren Cheney hat vor einigen Tagen ein nicht ganz unwesentliches Tor für die USA erzielt. Von den Amerikanerinnen hieß es bis dahin, sie patzten traditionell im ersten WM-Spiel. Nun kam also Cheney, die von sich selber sagt, sie sei eine lausige Kopfballspielerin, und traf zum erlösenden 1:0 gegen Nordkorea - per Kopf. Sie hätte gute Gründe gehabt, ein wenig auszurasten, sich im Gras zu räkeln, die Werbebande zu überfliegen oder wenigstens eine Eckfahne umzunieten. Cheney tat nichts dergleichen. Ihre Sturmkollegin Abby Wambach beorderte stattdessen das gesamte Team mit einer strengen Handbewegung in Richtung Trainerbank, wo sich die Ersatzspielerinnen bereits zu einem Jubelrudel formierten. Dort haben sie sich alle kurz abgeklatscht - und dann ging es auch schon weiter. Es war ein Torjubel, bei dem die Torschützin keine Rolle spielte.

FC Bayern München - Luca Toni

Quelle: dpa

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In diesen Tagen, in denen wieder ausgiebig über die Unterschiede zwischen Männer- und Frauenfußball sinniert wird, bleibt man unweigerlich an solchen Szenen hängen. Es hat ja doch fast jeder die Bilder im Kopf abgespeichert, wie Roger Milla nach seinen Toren an der Eckfahne tanzte, wie Wayne Rooney neue Weltrekorde im Knierutschen aufstellt, wie Luca Toni (im Bild) an seinen Ohren schraubt, die Mainzer Bruchweg-Boys ein Rockkonzert geben, wie imaginäre Säuglinge geschaukelt, Fische geangelt und Kampfstiere ausgetanzt werden. Der Frauenfußball besticht dagegen mit einer durchaus erfrischenden Kreativlosigkeit. Die meisten Tore werden eher zur Kenntnis genommen, als bejubelt.

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Quelle: AFP

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Selbstverständlich gibt es Ausnahmen. Englands Kelly Smith (im Bild) hat bei der WM 2007 nach einem Tor sponsorengerecht ihren Schuh geküsst. Die deutsche Nationalspielerin Simone Laudehr hob damals im Finale sogar ihr Trikot an, was einen freien Blick auf ihre Bauchmuskeln ermöglichte. Dass die beiden dafür bis heute berühmt sind, beweist allerdings erst, wie selten so etwas vorkommt.

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Quelle: AP

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Man kann nun allerlei anthropologische Theorien bemühen, um die weibliche Besonnenheit nach dem Torerfolg zu erklären. Die Sportpsychologin Jeannine Ohlert vermutete in der taz, Frauen jubelten deshalb unspektakulärer und kollektiver, weil sie traditionell für Beeren sammeln und Kinder hüten zuständig gewesen seien, während es bei den Männern seit jeher darum gehe, wer der beste Jäger sei und das gefährlichste Tier erlege. Dahinter steckt die Idee einer genetisch bedingten Selbstdarstellungs-Freude, die eben auch - oder gerade - im Fußballstadion ihren Ausdruck findet.

New Zealand v England: Group B - FIFA Women's World Cup 2011

Quelle: Getty Images

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Deutlich naheliegender erscheinen die Thesen des Sportwissenschaftlers Martin Lames von der TU München zu sein. Lames hat die Unterbrechungen von 56 Spielen im Männer- und Frauenfußball analysiert. Er konnte nachweisen, dass der durchschnittliche Torjubel bei den Männern (55 Sekunden) tatsächlich etwa doppelt so lange dauert wie bei den Frauen (30 Sekunden). Er schiebt das allerdings nicht auf die Biologie, sondern auf einen Lernprozess. "Der Grund könnte sein, dass Männer generell vor mehr Zuschauern und mit höherer medialer Aufmerksamkeit spielen", sagt Lames. Ein ausgelassener Torjubel sei dabei inzwischen fester Bestandteil der Publikumserwartung. Anders ausgedrückt: Männer jubeln für's Fernsehen mit, Frauen jubeln für sich selbst. Noch.

HELMUT HALLER

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Bevor der Männerfußball im Fernsehzeitalter ankam, wurde sich dort keineswegs wilder gefreut als bei den Frauen heute. Die deutschen WM-Helden von 1954 haben nach ihren drei Toren im Berner Wankdorfstadion eine Traube gebildet und sich brüderlich auf die Schulter geklapst, das war's. Helmut Haller (im Bild) führte nach seinem Führungstor im WM-Finale 1966 dann immerhin schon einen dreifachen Strecksprung auf. Das waren die zarten und noch etwas unbeholfenen Anfänge zeitgenössischer Jubelkunst - es muss kein Zufall sein, dass das Turnier in England erstmals im großen Stil in die Wohnzimmer übertragen wurde.

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Die mediale Inszenierung des Frauenfußballs mag heute etwa so flächendeckend sein, wie es der Männerfußball 1966 war, es geht gerade erst so richtig los. Und ganz vereinzelt sind bei dieser WM in Deutschland auch die ersten Pionierleistungen in Sachen TV-gerechter Torfreude zu beobachten. Die Mexikanerin Monica Ocampo (im Bild) zertrümmerte nach ihrem Tor gegen England tatsächlich fachgerecht eine Eckfahne.

Fussball-WM: Deutschland - Nigeria

Quelle: dapd

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Die jubelerprobte Laudehr (im Bild) führte nach ihrem Siegtreffer gegen Nigeria immerhin eine abgespeckte Version von Rooneys Knierutscher auf. Bis das zur allgemeinen Gewohnheit wird, dürfte die 24-Jährige aber vermutlich graue Haare haben. Von Hallers Strecksprung-Serie in Wembley bis zu den stilbildenden Hüftschwüngen des Kameruners Roger Milla verging fast ein Vierteljahrhundert.

© sueddeutsche.de/jüsc/sonn
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