SZ: Kann man das Strengsein üben?
Neid: Weiß ich nicht. Was ist denn streng? Ich werde immer gefragt: Sind Sie eine strenge Trainerin? Bin ich streng, nur weil ich sage: Ich will den Pass so nicht haben, sondern anders? Oder wenn ich sage: Ich will ein Zweikampfverhalten, bei dem der Gegner eben nicht dran vorbei kommt? Ist das streng? Oder ist es umgekehrt zielführend, wenn ich sage: Ach, schade, hast du den Zweikampf nicht gewonnen und deshalb haben wir 0:1 verloren, nicht so schlimm?
SZ: Strenge ist also nur eine Facette von Professionalität?
Neid: Ich empfinde mich nicht als streng. Ich habe klare Vorstellungen von dem, was ich möchte. Ich habe einen Plan gemacht, auch für diese WM, ich baue alles aufeinander auf und habe am Ende die Verantwortung. Ist doch logisch, dass ich es dann auch umgesetzt haben will.
SZ: Nach langen Wochen der Vorbereitung: Was ändert sich in Ihrer Ansprache, wenn das Turnier losgegangen ist?
Neid: Man muss einfach spüren, was dann wichtig ist. Eigentlich bin ich ein sehr positiver Mensch und lobe auch ganz viel. Wenn mir etwas gefällt, lobe ich. Oder wenn ich merke: Die sind alle mit vollem Ernst dabei, aber eine hat eben Angst, dann werde ich auch nie sagen: Hallo, das musst du jetzt aber mal abstellen mit deinem komischen Stellungsspiel! Dann werde ich sagen: Du hast gut trainiert! Es gibt nicht das Trainerhandbuch. Seine Menschen um sich herum kennen und spüren, was jetzt das Richtige ist, darauf wird es ankommen.
SZ: Die junge Stürmerin Alexandra Popp, die in den Vorbereitungsspielen ja schon auf sich aufmerksam gemacht hat, sagt: Ihr tut es ganz gut, dass die Bundestrainerin so ist wie sie ist - und ihr ab und zu kräftig in den Hintern tritt.
Neid: Ich habe sie in der Vorbereitung mehrfach deutlich auf gewisse Dinge aufmerksam gemacht. In der Hoffnung, dass es bis zum ersten Spiel gefruchtet hat.
SZ: Kalkulierte Strenge?
Neid: Meistens, ja. Manchmal bin ich aber auch so sauer, dann ist es nicht mehr kalkuliert.
SZ: Sauer worüber?
Neid: Flapsigkeit. Unkonzentriertheit. Gerade junge Spielerinnen vergessen manchmal, wie ernsthaft es in so einem Spiel zuzugehen hat. Wie wichtig ein einzelner Pass sein kann. Wenn der Pass richtig kommt, gibt es nämlich ein Tor, und wenn er nicht kommt, dann gibt es vielleicht ein Gegentor. Also: Nicht schlampig sein mit den Pässen! In der Liga braucht man bei den Frauen oft gar nicht diese Pass-Schärfe. Aber wer bei uns im Nationalteam neu dabei ist, der muss einiges an seinem Spiel ändern: nicht so oft quer übers Feld dribbeln, schneller abspielen.
SZ: Wird die WM, wie von manchen erhofft, ein entscheidender Schritt sein zur Professionalisierung im Frauenfußball? Zum Profitum, auch in den Vereinen?
Neid: Wie soll das gehen? Wie soll in den Vereinen plötzlich so viel Geld da sein? Es geht im Frauenfußball immer nur peu à peu. Was in den vergangenen Jahren passiert ist, ist schon Wahnsinn. Aber wir können nicht erwarten, dass wir jetzt mit einer WM die Entwicklung von 20 oder 50 Jahren überspringen. Ich weiß auch gar nicht, ob es überhaupt jemals Vollprofitum geben wird in der Bundesliga. Weil die Frauen vielleicht sagen: Es ist uns eigentlich ganz recht so, wir wollen nicht nur Fußball spielen. Uns sind auch andere Dinge wichtig.
SZ: Die Ansprüche vieler Fußballerinnen sind allerdings deutlich gestiegen.
Neid: Das stimmt. Deshalb finde ich es immer auch gut, wenn wir im Rahmen der Vorbereitung ein paar Tage in den Sportschulen sind. Meine Mutter rief mich kürzlich an und fragte: "Sag' mal, wart ihr in der Kaserne?" Das hat sie im Fernsehen gesehen und fand es schrecklich. Wieso schrecklich? Ist doch schön! Das Essen war gut, die Zimmer waren sauber, der Rasen war grün. Alles super.