So fühlt sich also Erlösung an. Gut zu wissen. Die 54. Minute im zweiten WM-Gruppenspiel der deutschen Fußballerinnen gegen Nigeria, Freistoß durch Célia Okoyino da Mbabi von der linken Seite, Inka Grings verlängert, Alexandra Popp schießt in einen Pulk Abwehrspielerinnen. Simone Laudehr trifft. 1:0. So lautete am Ende das Ergebnis, nach einem Abend, der den Deutschen alle Chancen offenhält auf den Sieg in der Gruppe A.
Der aber teilweise auch einem Gewaltakt glich, wie man ihn auf dem Fußballrasen nicht so häufig gesehen hat, auch im Männerfußball nicht. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass diese WM kein Spaziergang wird für die deutsche Elf, dann war es dieser Abend.
An der Feinabstimmung wollten sie eigentlich arbeiten in diesem Spiel, mit der Gelassenheit des Turnierfavoriten. Abwehr- und Mittelfeldreihe besser verzahnen, Ballverluste reduzieren, kontrollierter ihr Kombinationsspiel entfalten. Sie wollten an den kleinen Stellschrauben drehen, die großen Hebel aber nicht anfassen, weil der Kurs ja zu stimmten schien nach dem 2:1-Auftakt gegen Kanada am Sonntag. Und vielleicht wäre dieser Plan sogar durchzuhalten gewesen, wenn sie die Deutschen nur auf sich und ihr Spiel hätten konzentrieren können.
Aber dann hatten am frühen Abend in Bochum die Französinnen die Kanadierinnen 4:0 vom Platz gefegt. Die Französinnen sind der nächste Gruppengegner der Deutschen, kommenden Dienstag trifft man sich in Mönchengladbach. Silvia Neid wird das ihren Spielerinnen zwar nicht so gesagt haben vor dem Anpfiff, aber die aktualisierte Dienstanweisung ergab sich nun von ganz alleine. Wollte die DFB-Elf auch nach dieser Partie ganz oben stehen in ihrer Gruppe, würde sie jetzt, neben ein paar Toren, vor allem ein paar Tore benötigen, und dazu am besten noch ein paar Tore.
Tore also, und vor dem Anpfiff sah es in dieser Hinsicht auch noch ganz gut aus. Die Bundestrainerin Silvia Neid hatte ihre Spielerinnen im Strafraum versammelt, Ball um Ball wurde Richtung Tor geballert, während der Stadionsprecher gerade mit der Leidenschaft eines Studienrates die Mannschaftsaufstellung verlas, die von "Deutschland" und die von "Nigerien".
Das Problem war, dass dies nicht der einzige Fehler blieb. Nach dem Anpfiff reihte sich vielmehr eine gruselige Szene an die nächste, und schon bald hatte das Frankfurter Publikum ein Gespür dafür entwickelt, dass diese Partie eine Bewährungsprobe werden würde für Silvia Neids Mannschaft. Eine Prüfung. Die Leute schwankten zwischen ratloser Stille und bemühter Aufmunterung, das würde nicht der sorglose Partyabend werden, auf den sie sich eingerichtet hatten.
Frauen-WM 2011: Einzelkritik Deutschland:Bauchplatscher vom Rumpelstilzchen
Alexandra Popp gelingt eine formschöne Bauchlandung, Birgit Prinz reagiert extrem genervt auf ihre Auswechslung, Babett Peter läuft nicht grün an. Trainerin Silvia Neid tobt und schreit und hüpft an der Seitenlinie. Die deutsche Elf beim 1:0 gegen Nigeria in der Einzelkritik.
Angerer, Krahn, Bartusiak, Angerer, so rollte der Ball gleich zu Beginn an der eigenen Strafraumgrenze entlang, und dann in umgekehrter Reihenfolge wieder zurück, während die Spielgestalterinnen weiter vorne, vor allem Kim Kulig und Simone Laudehr, einen so unbeteiligten Eindruck vermittelten, als hätten sie sich am liebsten eine Tarnkappe übergestreift. In der 3. Minute näherten sich die Deutschen erstmals dem nigerianischen Tor, Laudehr, Okoyino da Mbabi, Melanie Behringer, in dieser Reihenfolge setzten sie ihre Schüsse ab. Abgeblockt, abgeblockt, abgeblockt.
Kurz darauf zeigte Simone Laudehr einen feinen Übersteiger - allerdings in der Nähe der eigenen Eckfahne, wo mit Zauberei traditionell wenig auszurichten ist. Die Gelassenheit des Turnierfavoriten, die das Leitmotiv hätte sein sollen? Verschwunden, komplett. Man wusste nur nicht so recht, warum eigentlich, da die Nigerianerinnen bisher noch nicht so viel beizutragen wussten zu dieser Partie.
In der 13. Minute schoss Kim Kulig das erste Mal den Ball Richtung Tor, Precious Dede, die Torfrau der Afrikanerinnen, konnte den Ball festhalten. Kurz darauf lag dann schon nach einem harten Foul Melanie Behringer am Boden, Verdacht auf Außenbandanriss im Sprunggelenk. Die Deutschen standen in Grüppchen beisammen und diskutierten.
Alexandra Popp kam für Behringer, die Nachwuchsstürmerin, die eine Menge Unbekümmertheit nachgewiesen hatte in den letzte Wochen, Okoyino da Mbabi wechselte für Behringer auf die Außenbahn. Besser wurde dadurch nichts, und wenn es dann noch eines Belegs dafür bedurft hätte, dass hier einem gesamten Team die Düse geht wie seit Jahren nicht, dann war es ein harmloser Weitschuss, den Nadine Angerer, in ihrem 100. Länderspiel, erst vor auftropfen ließ, ehe sie ihn zu packen bekam.
Hinzu kam eine Schiedsrichterin, die Südkoreanerin Cha Sung Mi, die recht bald zu verstehen gab, dass sie lieber noch ein paar Verletzte in Kauf nehmen würde, ehe sie sich herablassen würde, in ihre Pfeife zu blasen. "Sie hat das Spiel schon ein bisschen verpfiffen", meinte Silvia Neid hinterher. Man konnte nicht mehr zählen, wie oft die Nigerianerinnen gegen Schienbeine und Kniekehlen traten; allerdings mischten auch die DFB-Frauen mitunter ein bisschen mit. Zwischenzeitlich erschien es wahrscheinlicher, dass am Ende dieses Spiels die gesamte deutsche Elf ins Krankenhaus fahren würde, als dass ihnen noch ein Tor gelingen würde. Zur Halbzeit pfiff das Frankfurter Publikum. Als hätte dort unten ihre Eintracht ein Spiel vergeigt.
In der 52. Minute kam Inka Grings für Birgit Prinz. Kurz darauf kam die Erlösung. Wie wenig sich aber zum Positiven änderte nach diesem Tor - das wird die Deutschen noch beschäftigen. Die Franzosen dürften besser gelaunt ins letzte Gruppenspiel gehen.