Viertelfinale der Frauen-WM:Deutschland raus - Schock-Tor in Minute 108

Sensationelle Niederlage der Nationalelf: Gegen Japans wuselige und aggressive Verteidigung sind die deutschen Frauen im Viertelfinale der Fußball-WM gescheitert. In der Verlängerung reichte den Gegnerinnen ein einziger genialer Moment, um zu schaffen, was kaum einer zu denken wagte - ein Außenseiter schießt die amtierenden Weltmeister aus dem Turnier.

Jürgen Schmieder

107 Minuten waren gespielt in diesem Viertelfinale zwischen Deutschland und Japan. Es war eine harte Partie gewesen, intensiv und aggressiv geführt von beiden Mannschaften. Die Akteurinnen tapsten und taumelten eher über das Spielfeld, als dass sie liefen. Es war klar, dass nur ein grotesker Fehler oder eine genialische Aktion dieses Spiel entscheiden würde.

Fussball-WM: Deutschland - Japan

Nach 107 Minuten fällt der Treffer für Japan, der die deutsche Elf aus dem Turnier befördert.

(Foto: dapd)

Die Japanerinnen kamen durch einen Fehlpass an den Ball, sie passten sich das Spielgerät ruhig zu, als wollten sie nun 13 Minuten lang in Ballbesitz bleiben, um sich ins Elfmeterschießen zu retten. Dann jedoch gab es drei schnelle Zuspiele - und plötzlich schob Homare Sawa den Ball wunderbar auf Karina Maruyama. Die erlief das Zuspiel im Strafraum und schob überlegt ins lange Eck. Es war der Siegtreffer in dieser Partie, Japan gewann gegen Deutschland mit 1:0 nach Verlängerung und zog damit ins Halbfinale der Frauen-WM ein.

Die drei Gruppenspiele gegen Kanada, Nigeria und Frankreich haben der deutschen Mannschaft wichtige Erkenntnisse geliefert, wie es zugeht bei dieser Weltmeisterschaft: Die deutsche Elf dominiert die meisten Gegnerinnen nicht mehr, das zeigte die Partie gegen Kanada. Sie wird vom Publikum, das deuteten die Pfiffe während der Halbzeitpause gegen Nigeria an, sehr ernst genommen. Und sie kann sich in entscheidenden Momenten, das war die Lehre aus dem Frankreich-Spiel, auf ihre prägenden Spielerinnen verlassen.

Nun gibt es eine weitere Erkenntnis, die vor der WM kaum jemand für möglich gehalten hätte: Ja, es konnte tatsächlich passieren, dass die deutsche Elf diese Weltmeisterschaft nach zuletzt zwei Erfolgen in Serie nicht gewinnt. Ja, es konnte tatsächlich passieren, dass sie im Viertelfinale scheitert. Ja, es kann passieren, dass sie gegen Japan verliert. "Ich mache der Mannschaft keinen Vorwurf", sagte Trainerin Silvia Neid nach dem Spiel, "wie müssen akzeptieren, dass Japan nun im Halbfinale steht.

Freilich hatte es auch kleinere Dramen gegeben: In den ersten beiden Spielen hatte Neid das vermeintliche Gesicht dieser Weltmeisterschaft, Fatmire Bajramaj, zunächst auf die Bank beordert. Bei der letzten Partie hatte sie komplett auf Birgit Prinz verzichtet, was zunächst wie eine Ausbootung ausgesehen, sich durch eine bemerkenswerte Pressekonferenz von Prinz allerdings in Wohlgefallen aufgelöst hatte.

Neid verzichtete gegen Japan zunächst auf Prinz und Bajramaj, Kim Kulig (drohende Gelbsperre) kehrte wie Melanie Behringer (Außenbanddehnung) und Linda Bresonik (Magen-Darm-Virus) in die Startelf zurück. "Ich hoffe, dass sich die Spielerinnen anders präsentieren als noch am Donnerstag im Training, als sie ein bisschen müde wirkten", hatte Neid vor der Partie gesagt und vor den laufstarken Japanerinnen gewarnt: "Wenn man ihnen Raum lässt, dann spielen sie jeden Gegner der Welt aus."

Bereits nach acht Minuten musste Neid ihre Aufstellung schon wieder ändern, nach einem Kopfball humpelte Kim Kulig mit einer Knieverletzung vom Feld und wurde sogleich von Bianca Schmidt ersetzt. Kulig setzte sich enttäuscht auf die Ersatzbank und sah ihren Kolleginnen dabei zu, wie die sich gegen die Japanerinnen mühten. Deren Trainer Norio Sasaki hatte die deutsche Elf zum klaren Favoriten ausgerufen ("Wir sind nur der Herausforderer, wir haben keinerlei Druck.") und seiner Elf geraten: "Für uns ist es ein Spiel, das wir genießen können."

Zu diesem Genuss gehörte eine Taktik, die man zuletzt beim Boxkampf zwischen Wladimir Klitschko und David Haye gesehen hatte. Wie Haye am vergangenen Samstag zogen sich die Japanerinnen weit zurück, sie wuselten um ihre Gegnerinnen herum und verteidigten aufmerksam und fehlerfrei. Freilich vertrauten sie auch hoffnungsfroh darauf, dass der deutschen Elf kein wuchtiger Wirkungstreffer gelingen möge. "Sauber verteidigen und warten, dass sich vorne eine Chance bietet, das war unsere Strategie", sagte Sasaki nach dem Spiel.

Genialer Moment entscheidet die Partie

Japans aggressive Defensivstrategie funktionierte zunächst, die deutsche Elf kontrollierte die Partie, kombinierte sich immer wieder mit wenigen Ballkontakten durchs Mittelfeld und erspielte sich einige Gelegenheiten. Ein Treffer wollte in der ersten Halbzeit nicht gelingen, weil die Zuspiele auf die Angreiferinnen Celia Okoyino de Mbabi und Inka Grings arg ungenau waren und weil vor allem Kerstin Garefrekes (10./21.) und da Mbabi (18./31.) unkonzentriert beim Abschluss agierten.

Nach etwa 25 Minuten dann zeigten die Japanerinnen, dass zu ihrem fußballerischen Repertoire auch eigene Spielzüge gehören, vor allem mit schnellen und direkten Flachpässen in den Angriff wollten sie die deutsche Elf verblüffen. Diesen Zuspielen allerdings mangelte es allerdings an Präzision, immer wieder konnten die deutschen Verteidigerinnen dazwischen gehen. Nur ein Mal schafften es die Japanerinnen in den deutschen Strafraum, doch der Schuss von Yuki Nagasato (30.) geriet ebenso ungenau wie die meisten Zuspiele ihrer Kolleginnen.

Gegen Ende der ersten Halbzeit war beiden Mannschaften der Respekt voreinander deutlich anzumerken: Japan fürchtete die Wucht und Kombinationsstärke der deutschen Elf. Der indes fehlte der Mut, konsequent nachzurücken und Spielzüge auch einmal forsch abzuschließen - wohl aus Angst vor flinken Gegenangriffen.

Der Beginn der zweiten Halbzeit ähnelte den ersten Minuten des Spiels, nur dass beide Mannschaften ihre Bemühungen intensivierten. Das bedeutete, dass die Angriffe der deutschen Elf auf das Tor der Japanerinnen wütender wurden - genauso wie die Angriffe der japanischen Verteidigerinnen auf die Beine der deutschen Akteurinnen. Es gab zahlreiche Freistöße, die deutschen Spielerinnen glichen ihren physischen Vorteil durch mangelnde Sprungkraft aus.

Hin und wieder überschritten auch die Japanerinnen die Mittellinie, es wäre jedoch eine Lüge, diesen Aktionen den Begriff Angriffe zuzuweisen. Die Bemühungen dienten zunächst allein dazu, den Defensivspielerinnen eine kurze Ruhepause zu gönnen und die Uhr weiter in Richtung Verlängerung ticken zu lassen. Es gab bis zur 65. Spielminute nur einen Schuss in Richtung Tor, der zweifelsfrei als überambitioniert bezeichnet werden darf.

Gegen Ende der regulären Spielzeit jedoch verfestigte sich der Eindruck, den Silvia Neid zuvor im Training gewonnen hatte: Die deutschen Spielerinnen wirkten müde wie ein Boxer, der rundenlang auf seinen Gegner einprügelt in der Hoffnung auf einen schnellen Niederschlag und der dann feststellt, dass das Duell bis zum Ende spannend bleiben würde.

Es war klar, dass nur ein grotesker Fehler oder eine genialische Aktion eine Verlängerung würde verhindern können. Es gab gute Angriffe der Deutschen, aber eben keinen Fehler und keine Genialität - also wurde das Spiel um 30 Minuten verlängert.

In dieser Verlängerung gab es zunächst kleinere Fehler der Japanerinnen, welche von Grings (100.) und Mbabi (107.) nicht genutzt wurden. Dann gab es diesen genialischen Moment, der diese Partie entscheiden sollte - allerdings nicht von den Deutschen, sondern von den Spielerinnen Japans. "Natürlich habe ich das Tor geschossen", sagte Karina Maruyama nach der Partie, "aber es ist der Erfolg von allen. Ich möchte mich bei allen Mitspielerinnen bedanken."

Die deutschen Spielerinnen reagierten wütend auf diesen Wirkungstreffer, hektisch stürmten sie nach vorne, immer wieder bolzten sie den Ball in den Strafraum. Nur ein Treffer, der wollte an diesem Abend nicht gelingen.

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