Süddeutsche Zeitung

Frauen unter Fußball-Fans:Die Bastion aufbrechen

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Die Ausstellung "Fan.Tastic Females" erklärt, warum alltägliche sexistische Strukturen im Fußball besonders zugespitzt zum Ausdruck kommen.

Von Ronny Blaschke, Berlin

Im Februar 2018 wurde eine 17 Jahre alte Frau in einem Zug von Magdeburger Fußballfans belästigt. Zwei Monate später wurde eine 19-Jährige in einem Sonderzug der Gladbacher Fanszene auf einer Toilette vergewaltigt. Im November 2018 wurde eine 22 Jahre alte Frau im Stadion des FC Schalke 04 bedrängt und genötigt. Ihr Hilfsgesuch wurde von einem Ordner nicht ernst genommen.

Alle Fälle lösten Empörung aus. Häufig war die Rede von einem "tragischen Einzelfall", einem "Sittenverfall". Viele Fans und Klubmitarbeiter sicherten den Opfern Unterstützung zu, doch etliche Anhänger spekulierten: Hatten die Frauen wegen ihres Verhaltens oder freizügiger Kleidung die Taten "provoziert"? Die Aktivistin Helen Breit von der Fanvereinigung "Unsere Kurve" kennt solche Reflexe: "Oft werden Opfer zu Schuldigen gemacht", sagt sie, "das kann dazu führen, dass Frauen sich nach ähnlichen Übergriffen nicht an die Polizei wenden - aus Sorge vor Stigmatisierung."

Jede dritte Frau in der Europäischen Union hat mindestens einmal körperliche oder sexualisierte Gewalt erlebt. Und das häufig in einem vertrauten Umfeld: in den eigenen vier Wänden, am Arbeitsplatz, im Freundeskreis. Die "MeToo"-Bewegung hat das gesellschaftliche Bewusstsein für dieses Thema verstärkt. Doch es gibt Bastionen der Männlichkeit, die davon weitgehend unberührt geblieben sind: zum Beispiel Fußball. Doch Forschungen legen nahe: Sexismus und sexualisierte Gewalt gehören für viele Anhänger zur Fankultur.

"Ehre, Loyalität, Härte, die Verteidigung des eigenen Territoriums: Viele Fans pflegen soldatische Begriffe", sagt die Genderforscherin Antje Grabenhorst: "Diese Hierarchien produzieren Ausschlüsse, Weiblichkeit gilt als Schwäche." Grabenhorst gehört zu den Kuratorinnen von "Fan.Tastic Females". Die Wanderausstellung porträtiert mehr als 80 Frauen aus 21 Ländern. Die Tafeln, Fotos und Kurzfilme würdigen das Engagement von Ultras, Aktivistinnen und Führungskräften. Und sie erklären, warum alltägliche sexistische Strukturen im Fußball zugespitzt zum Ausdruck kommen. Auf Einladung der Kurt-Landauer-Stiftung ist "Fan.Tastic Females" bis zum 19. März in München zu Gast (Zielstattstraße 37, www.fan-tastic-females.org), danach in Freiburg und Stuttgart.

Bei einem Männer-Länderspiel liegt der weibliche Anteil des TV-Publikums bei 40 Prozent, in der Männer-Bundesliga sind bis zu 30 Prozent Frauen in den Stadien - bei den Ultras übersteigt der Frauenanteil selten fünf Prozent. In zahlreichen Beispielen nutzten Fans frauenfeindliche Transparente, um Gegner abzuwerten. Erst im Dezember im Stadion des FC St. Pauli, als Dresdner Fans eine Botschaft entrollten: "Ihr müsst heute Abend hungern, weil eure Fotzen mit euch im Block rumlungern." Jenseits der Stadien existiert unterschwellige Ausgrenzung, dafür hat die Kofas - die "Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit" - Dutzende Belege zusammengetragen: So mussten Frauen bei Märschen in den hinteren Reihen bleiben. In Videoclips und Blog-Einträgen sollten ihre helleren Stimmen und längeren Haaren nicht erkennbar sein. Fans verweigerten die Reisepause an Raststätten, wo Frauen auf die Toilette gehen wollten. Noch immer lehnen einige Gruppen Frauen als Mitglieder grundsätzlich ab.

Selbst in fortschrittlicheren Fanszenen bestehe mitunter eine klare Rollenverteilung, sagt Kofas-Forscherin Cristin Gießler: "Frauen übernehmen vielfach Aufgaben, die sich im Hintergrund abspielen und als klassisch weiblich gelten." Sie besorgen Lebensmittel, verkaufen Fanartikel, kümmern sich um soziale Medien. So gut wie nie dürfen sie am Stadionzaun die Gesänge anstimmen. Manchmal wird ihre vermeintliche Schutzbedürftigkeit strategisch genutzt: Auf Reisen übergaben Ultras ihre Zaunfahne mitunter einer Frau. Sie glaubten, dass ihr Heiligtum dort sicherer ist vor dem Diebstahl gegnerischer Fans. In anderen Fällen kundschafteten Frauen die Treffpunkte von rivalisierenden Anhängern aus.

Dieses Machtgefälle gegenüber Männern führt dazu, dass die wenigen Frauen den Druck untereinander weitergeben. "Es gibt ein Buhlen um Anerkennung", sagt Grabenhorst: "Häufig sind Frauen nicht solidarisch miteinander. Sie möchten ihren hart erkämpften Platz in der Hierarchie nicht verlieren." In den vergangenen Jahren formierten sich in mehreren Städten weibliche Ultra-Gruppen. Einige gaben entmutigt auf, andere vernetzen sich nun auch überregional.

Das Netzwerk "F_in", Frauen im Fußball, hat gerade eine Umfrage in Fanszenen, Fanprojekten und Klubs durchgeführt. Die Hälfte der mehr als 130 Befragten gab an, dass sie in der vergangenen Saison mindestens einmal von Sexismus oder sexualisierter Gewalt erfahren haben. Anders als bei Ausschreitungen oder Rassismus gibt es bei der Polizei und beim DFB dafür keine systematische Erfassung. Bündnisse wie "F_in" und "Unsere Kurve" arbeiten an einem Präventionskonzept. Dazu zählen Schutzräume für Opfer, die Schulung von Ordnern, die Vernetzung mit kommunalen Beratungen. Noch ist das Grundwissen gering, auch bei den 60 Fanprojekten. Allgemein liegt der Anteil von männlichen Fachkräften in der Sozialpädagogik bei 30 Prozent - bei den bundesweit 180 Fanprojektmitarbeitern dagegen bei etwa 70 Prozent. Mehrere Tagungen wollen in diesem Jahr zentrale Fragen aufwerfen: Wie bilden Sponsoren-Werbung, Stadiondurchsagen und soziale Medien die Geschlechtervielfalt zeitgemäß ab?

Daniela Wurbs hat als langjährige Geschäftsführerin der "Football Supporters Europe" mehrmals Sexismus erlebt. Sie sagt: "Es kostet viel Energie, wenn man ständig auf Übergriffe gefasst sein muss." Wurbs hat darauf geachtet, dass viele Frauen im Entscheidungsgremium der "Football Supporters Europe" sitzen. Oft mussten diese überzeugt werden, während Männer sich selbstbewusst anboten. Wurbs gehört zu den Initiatorinnen von "Fan.Tastic Females". Die Recherchen dafür dauerten drei Jahre. Mit Verspätung hat "MeToo" nun den Fußball erreicht. Bis Anfang 2021 ist die Ausstellung ausgebucht.

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Quelle:
SZ vom 13.03.2019
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