Man könnte fast meinen, der Erfolg sei ihr unangenehm, so verlegen wirkt Nicola Eisenschmid, 24, am Telefon. Wenn man sie auf ihre starke Ausbeute anspricht, muss die Stürmerin tief ausatmen, ehe sie zu einer Erklärung ansetzen kann: "Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Ich hatte einfach ein gutes Jahr." In der abgelaufenen Saison war sie mit 42 Scorerpunkten (19 Tore, 23 Assists) die effektivste Spielerin in der Frauen-Bundesliga. Ihre Leistung möchte Eisenschmid jedoch nicht nur auf sich reduziert wissen: "Ich stehe nie allein auf dem Eis", betont die deutsche Nationalspielerin: "Es sind auch meine Mitspielerinnen, die mir dazu verholfen haben."
Trotz des verpassten Meistertitels war die vergangene Saison für Eisenschmid eine der besten ihrer Karriere, nur im ersten Jahr beim ERC Ingolstadt kam sie auf mehr Scorerpunkte (21 Tore, 31 Assists). Kein Wunder, dass ihr Trainer Christian Sohlmann sie mittlerweile als "die beste Stürmerin in Deutschland" bezeichnet. Seit ihrer militärischen Grundausbildung gehört Eisenschmid zur Fördergruppe der Bundeswehr und kann sich - im Gegensatz zu anderen Spielerinnen der Frauen-Bundesliga (DFEL) - nur auf das Eishockey konzentrieren. Dadurch könne sie das Training mit einer anderen Intensität angehen, betont Sohlmann: "Dementsprechend sieht man auch die Ergebnisse."
Nach Justine Reyes (25 Treffer) und Kerstin Spielberger (20) erzielte Eisenschmid in der abgelaufenen DFEL-Saison die meisten Tore. Dass die Qualität im Abschluss zu ihrer größten Stärke werden würde, sei im Nachwuchs allerdings noch nicht zu erahnen gewesen: "Dort war ich eher die Spielerin, die die Pässe gespielt hat", erinnert sich Eisenschmid, die nach Meinung von Sohlmann viele Situationen schneller erkennt als die meisten Spielerinnen. Zudem sei Eisenschmid "sehr stark an der Scheibe" und könne sich deshalb in direkten Duellen gut durchsetzen: "Ihre Selbsteinschätzung, was sie auf dem Eis stark macht, ist besser geworden."
In Deutschland spielen die Mädchen bis zur U16 mit den Jungs - eigene Teams gibt es nicht
Dass sie sich im Nachwuchs gegen die Jungs behaupten musste, erklärt Eisenschmid, sei in dieser Hinsicht sehr hilfreich gewesen. Mangels eigener Teams spielen Mädchen in Deutschland bis zur U16 mit den Jungs und wechseln danach in den Frauenbereich. Beim ESV Kaufbeuren durchlief Eisenschmid die männlichen Nachwuchsmannschaften und spielte zwischen 2011 und 2014 in der Schüler-Bundesliga für den Verein. Parallel kam sie ab der Saison 2012/13 auch für den ECDC Memmingen in der Frauen-Bundesliga zum Einsatz, mit dem sie zwei Mal Deutsche Meisterin und drei Mal Pokalsiegerin wurde. Nach sechs Jahren wechselte die Angreifern im Herbst 2018 schließlich zum ERC Ingolstadt.
Dort sollte Eisenschmid ab der folgenden Saison gemeinsam mit ihrer Schwester auf dem Eis stehen: Tanja hatte nach dem Abitur ein Stipendium an einer US-amerikanischen Universität erhalten, sich nach sieben Jahren allerdings zu einer Rückkehr nach Deutschland entschlossen. 2018 war bereits ihr Bruder Markus, der bei den Adler Mannheim unter Vertrag steht, diesen Schritt gegangen. "Wir haben uns immer alles gegönnt", sagt Eisenschmid über die Beziehung zu ihren Geschwistern. Mit Tanja teilt sie sich in Ingolstadt inzwischen sogar eine Wohnung: "Wir sind nicht nur Schwestern, sondern auch Freundinnen", so die jüngste der Eisenschmids, "deshalb ist auch die Chemie auf dem Eis sehr gut."
Eisenschmid hatte ihre Tasche schon gepackt, als sie die Nachricht der WM-Absage erreichte
Vor zwei Wochen sollten die beiden Schwestern zu ihrer vierten gemeinsamen WM reisen, die vom 6. bis 16. Mai in Halifax und Truro in der kanadischen Provinz Nova Scotia geplant war. Mit großer Vorfreude waren sie an den Stützpunkt nach Füssen gefahren, um dort in die letzte Phase der WM-Vorbereitung zu starten. "Bei einer WM kann man das, was man sich über die Saison angeeignet hat, auf der großen Bühne zeigen", erklärte Eisenschmid. Am Mittwoch vor der geplanten Abreise erreichte den Deutschen Eishockey-Bund (DEB) allerdings die Nachricht, dass das Turnier wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie abgesagt wurde.
Erst am frühen Abend seien die Spielerinnen über die Entscheidung informiert worden. Statt im Flugzeug nach Kanada saß Eisenschmid wieder in ihrer Wohnung. "Ich bin schon sehr enttäuscht", sagte sie nach der kurzfristigen WM-Absage: "Ich hatte meine Tasche schon fertig gepackt." Bereits vor einem Jahr war das Turnier an selber Stelle wegen der Ausbreitung von Covid-19 abgesagt worden. Bei der diesjährigen WM hätte sich das deutsche Aufgebot erstmals seit den Länderspielen gegen die Schweiz im Februar auf internationaler Ebene messen können. "Die Stimmung war sehr bedrückt", so Eisenschmid.
In den sozialen Medien äußerten viele Spielerinnen ihr Unverständnis über die Entscheidung. "Das Frauen-Eishockey verdient Besseres! Wir verdienen es, bei einer WM zu spielen", kritisierte DEB-Kapitänin Julia Zorn. Nach lauten Protesten verkündete die Internationale Eishockey-Föderation (IIHF) am Freitag schließlich: Die WM soll vom 20. bis 31. August in Kanada nachgeholt werden, über den genauen Spielort werde demnächst entschieden. "Wir sind froh, dass wir die WM in diesem Jahr noch spielen können", sagt Eisenschmid. Damit der von Bundestrainerin Franziska Busch ausgegebene Einzug ins Viertelfinale gelingt, wird es auch darauf ankommen, dass Eisenschmid ihre starke Form bis dahin halten kann.