Frauen-Bundesliga:Fast ein halbes Leben

Carina Wenninger FC Bayern München FCB 19 Freisteller Ganzkörper Einzelbild Aktion Action F; Carina Wenninger FC Bayern

214 Pflichtspiele für die erste Mannschaft: Bayerns österreichische Verteidigerin Carina Wenninger.

(Foto: Sven Leifer/imago)

Seit über elf Jahren spielt Carina Wenninger beim FC Bayern. Ihre Qualitäten als mitreißende Abwehrchefin sind auch am Sonntag im Spitzenspiel gefragt.

Von Anna Dreher

Als Carina Wenninger beschloss, sich von Graz auf die Reise nach München zu machen, war das der Anfang einer Beziehung, die heute im Sport selten ist. Diese Beziehung begann sich ernsthaft zu entwickeln bei einem Spiel im Oktober 2008, Wenninger war seit einem Jahr in der Stadt. Der FC Bayern spielte in der Fußball-Bundesliga der Frauen gegen den SC Freiburg. Die Mannschaft hatte sich ein gewisses Selbstvertrauen aufgebaut in den Wochen zuvor und schoss viele Tore. Freiburg nur blöderweise auch. In der 84. Minute stand es 5:4 für die Bayern. Und der Trainer vertraute Wenninger, einem österreichischen Talent aus der zweiten Mannschaft: Er gab ihr zum ersten Mal die Chance, sich in der ersten Liga zu beweisen. Das Spiel endete 5:5.

Eingewechselt oder ausgewechselt wird Wenninger inzwischen kaum noch. Eine Formation, die nicht mit ihr beginnt und endet, gibt es beim FC Bayern eigentlich nicht mehr.

In einer auch bei den Frauen von, wenn auch nicht im wahnwitzigen Millionen-Euro-Bereich liegenden, Wechseln geprägten Fußballwelt, ist Wenninger eine Ausnahmeerscheinung. Jennifer Zietz spielte 16 Jahre beim 1. FFC Turbine Potsdam, die Nationalspielerinnen Saskia Bartusiak und Kerstin Garefrekes zwölf Jahre beim 1. FFC Frankfurt. Sonst? Gibt es in der Bundesliga heute kaum eine Spielerin, die so lange beim gleichen Verein geblieben ist wie Wenninger. Die Österreicherin ist die dienstälteste Fußballerin in der bald 50-jährigen Geschichte der Bayern-Frauen. Ende Januar verlängerte sie ihren Vertrag bis 2021, dann wird sie 30 Jahre alt sein und wäre seit 14 Jahren beim selben Verein. Fast ihr halbes Leben.

Am Sonntag endet mit dem Spitzenspiel gegen den Tabellenführer VfL Wolfsburg (15 Uhr, FC Bayern Campus) die Winterpause. Ob es eine erfolgreiche, eine sehr erfolgreiche oder gar eine außergewöhnlich erfolgreiche Saison wird, lässt sich bislang nicht so richtig absehen. Noch hat der FC Bayern in allen Wettbewerben die Chance, seinen Namen in Trophäen eingravieren zu lassen. Die Mannschaft ist Zweiter in der Meisterschaft und steht im DFB-Pokal und in der Champions League im Viertelfinale. Unabhängig davon ist die zweite Saisonhälfte für den Verein und auch für Wenninger schon jetzt eine ganz eigene. Weil sie das Ende einer gemeinsamen Geschichte markiert.

214 Pflichtspiele hat Wenninger bisher für die erste Mannschaft der Bayern-Frauen absolviert. Nur 23 Mal hieß ihr Trainer nicht Thomas, sondern Günther Wörle. Einen anderen Trainer-Nachnamen auf dem Spielberichtsbogen gab es während ihrer Zeit nicht. Der Vater führte Wenninger an den Profifußball heran, mit dem Sohn wurde sie unangefochtene Stammspielerin in der Abwehr: In dieser Saison hat Wenninger keine einzige Minute auf dem Platz gefehlt. Und während in ihr eine der großen Konstanten bleibt, verlässt den Verein in Wörle eine andere. Jens Scheuer vom SC Freiburg wird am 1. Juli übernehmen. Damit endet die Ära von Wörle nach neun Jahren - und eines der am längsten bestehenden Trainer-Spielerinnen-Gespanne der Liga. "Mich hat das am Anfang schon sehr getroffen, ich finde es extrem schade", sagt Wenninger. "Jetzt noch eine zweite überragende Saisonhälfte, Titel zum Abschied - das wäre schön. Und verdient."

Für sie ist der neue Trainer aber auch ein neuer Impuls in ihrer Arbeit bei dem Verein, den sie inzwischen so gut kennt und dessen Erfolge im Frauenfußball sie prägend mitgestaltet hat. Wenninger ist nicht besonders laut auf dem Platz, aber beißt sich in ein Spiel rein und reißt andere dadurch mit. 2012 ist Wenninger mit dem FC Bayern Pokalsieger geworden, 2015 sowie 2016 Deutscher Meister. Das waren entscheidende, wichtige Jahre für die Bayern. Nicht zuletzt in dieser Zeit veränderte sich die so lange bestehende Rangordnung in der Frauen-Bundesliga. Frankfurt und Potsdam verloren ihre unangefochtene Stellung an der Spitze. Seit 2013 sind nur Wolfsburg und München Meister geworden. Im Pokal liest sich die Liste der Sieger ähnlich. Der FC Bayern aber muss sich jedes Jahr anstrengen - auch wenn er inzwischen viele gestandene Nationalspielerinnen im Kader hat. Wenninger liegt das. "Ich bin ein extremer Kämpfertyp", sagt sie selbst. "Ich war nie das Übertalent. Aber ich arbeite so lange an mir, bis ich besser bin. Und ich glaube, auf lange Sicht schlägt Mentalität auch Talent."

Wenninger, sagt Thomas Wörle, ist nie stehen geblieben, es ging immer weiter. Manchmal nur in kleinen Schritten, aber immer professionell in Richtung Verbesserung. Selbst nach ihrer schwersten Phase, als sie sich im Dezember 2013 das Kreuzband gerissen hatte. "Carina ist die erste Spielerin, die ich erlebt habe, die nach einem Kreuzbandriss stärker zurückkam, als sie davor war", sagt der 37-Jährige. "Weil sie so einen Biss hat. Ihre Entwicklung ist erstaunlich." Die große Zeit der Veränderung bei den Bayern-Frauen, eingeleitet vom Pokalsieg, erlebte Wenninger aus der Zuschauerperspektive. In dieser Zeit wurde mehr investiert, der Kader veränderte sich stark. Aber Wenninger blieb. Und setzte sich durch.

Jetzt sitzt sie in einem Besprechungsraum auf dem Campus, am Vormittag hat sie Fußball gespielt, am Nachmittag noch einen Termin in der Physiotherapie. "Natürlich habe ich auch mal überlegt, woanders hinzugehen. Die Frage nach Veränderung taucht ja in jeder Karriere immer mal wieder auf", sagt Wenninger und schaut nach draußen. Im Moment sieht sie nur keinen Grund, woanders hinzugehen, um das Gleiche zu suchen. Wenninger hat nie jemanden gebraucht, der sie antreibt. Abwechslung hat sie im vermeintlichen Stillstand am gleichen Ort gefunden, weil sie diesen mitgestaltet hat. Das will sie auch in Zukunft tun.

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