Süddeutsche Zeitung

Frankreichs Paul Pogba:Genial, aber schwierig

Der Franzose Paul Pogba ist ein umstrittenes Talent: Mit seinen langen Beinen kann der "Krake" Überragendes anstellen - nicht nur der FC Bayern beobachtet ihn. Doch der 21-Jährige hat viele Gesichter. Auch problematische.

Von Claudio Catuogno, Ribeirão Preto

Wenn er so in den Raum schlendert, fester Blick, schlackernde Gliedmaßen, dann sieht man ihm seinen Spitznamen sofort an. Und seine Jugend: Im März ist Paul Pogba 21 geworden. Aber für einen, der in manchen Ländern jetzt das erste Mal wählen und in anderen an seinem ersten legalen Bier nippen dürfte, hat Paul Pogba schon eine Menge erlebt.

Einen internationalen Transferstreit vom Zaun brechen; einen WM-Pokal in den Himmel stemmen; von Sir Alex Ferguson zum Teufel gewünscht werden; zwei gelbe Karten innerhalb von drei Minuten einstreichen; als einer der heißesten Nachwuchskicker des Planeten gelten - bei anderen reicht dafür ein ganzes Fußballerleben nicht. Paul Pogba hat das alles längst hinter sich.

In Italien, wo er bei Juventus Turin unter Vertrag steht, aber vermutlich nicht mehr lange, nennen sie ihn "Polpo Paul". Paul, den Kraken. Wegen seiner langen Beine, auf Charaktereigenschaften sollte man da besser nicht schließen. Aber die Frage ist trotzdem, was Krake Paul jetzt noch alles an sich reißt.

Pressekonferenz nach dem 2:0 der Franzosen im Achtelfinale gegen Nigeria: "Paul, haben Sie Angst vor der deutschen Mannschaft?" Pogba sitzt vor dem Plakat eines Bierbrauers, der bei der WM den "Man of the Match"-Award vergibt, die Auszeichnung für den besten Spieler jeder Partie.

Gegen Nigeria hat Pogba das vorentscheidende 1:0 erzielt mit einem wuchtigen Kopfball in der 79. Minute. Er könnte jetzt mit einigem Recht von sich reden. Aber man lernt ja dazu. Deshalb gibt Pogba auf Ich-Fragen neuerdings konsequent Wir-Antworten. "Angst? Nein. Warum sollten wir Angst haben? Wir sind die französische Nationalmannschaft."

Unter Beobachtung des FC Bayern

Die Frage ist ja sowieso eher, ob die Deutschen jetzt Angst vor diesen Franzosen haben müssen, gegen die sie am Freitag im Maracanã von Rio um den Einzug ins Halbfinale spielen. Vor einer Mannschaft also, in der reihenweise junge Leute gerade ein eindrucksvolles Turnierdebüt geben: die Innenverteidiger Raphaël Varane, 21, und Mamadou Sakho, 24, zum Beispiel, die sich als das zweit-unerfahrenste Abwehr-Duo der WM-Geschichte (bemessen an der Zahl der Länderspiele) bisher achtbar schlagen. Und eben der Mittelfeldspieler Pogba, 15 Länderspiele. Physisch und technisch auf beachtlichem Niveau. Ein Bälle-Eroberer, Bälle-Verteiler und Bälle-Verwerter, der schon heute der Namensgeber für den neuen französischen Jugendtrend ist: für die "Generation Pogba".

Im vergangenen Sommer hat Frankreich in der Türkei die U20-WM gewonnen, was immer ein gutes Indiz dafür ist, wo auf der Welt gerade ein Team mit Zukunft heranreift. Pogba war der "Spieler des Turniers". Ein Jahr später verkörpert er für die Zeitung Le Monde "bereits mit 21 Jahren den kriegerischen Charakter der neuen Auswahl von Didier Deschamps".

Auch ein Mitarbeiter des FC Bayern saß am Montagmittag auf der Tribüne des Estádio Mané Garrincha in Brasília. Mitarbeiter großer Fußballklubs sitzen so hier und da herum während dieser riesigen Fußballmesse, sie beobachten so diesen und jenen. Aber dass Paul Pogba bei den Münchnern auf dem Zettel steht - zumal im Bayern-Mittelfeld die Zukunft von Toni Kroos ungewiss ist -, darf als sicher gelten. Die Frage ist nur, auf welchem Zettel. Auf dem mit der Überschrift "zu teuer"?

Manchester United soll etwa schon vor Monaten bei Juventus angefragt haben. Im Raum steht eine Ablösesumme von 60 Millionen Pfund, 75 Millionen Euro. Was eine gewisse Komik hätte, weil Pogba erst vor zwei Jahren von Manchester nach Turin gewechselt, ach was: geflüchtet ist. Ablösefrei. Aber nun sucht United eben nach einem Spielgestalter mit Zukunft. Aus England ist allerdings auch zu hören, dass der zukünftige Coach Louis van Gaal beim Namen Pogba abwinken könnte: "wegen Zweifeln an seinem Charakter", wie der Guardian United-Quellen zitiert. Pogba, sagen diese Quellen, gelte als "Risiko-Transfer".

Kraken - das weiß man spätestens seit dem schwabbeligen Orakel gleichen Namens bei der WM 2010 - haben drei Herzen und mehrere Gehirne. Da kann Paul Pogba nicht mithalten. Er hat aber immerhin noch zwei Drillingsbrüder. Und offenbar mehrere Gesichter.

Auf der einen Seite gilt er als Musterprofi. Keine Eskapaden, wenig Arroganz; "ich werde niemals ein Star sein", hat er mal gesagt. Hinzu kommt ein an Besessenheit grenzender Drang, sich zu verbessern. In Turin steht Pogba ein eigener Physio- therapeut zur Verfügung, außerdem beschäftigt er einen Ernährungsberater, der wiederum dem Privatkoch Empfehlungen gibt, den er ebenfalls beschäftigt. Wenn sich ein 21-Jähriger mit einem solchen Gefolge umgibt, ist das entweder verdächtig - oder hoch professionell.

Paul Pogba jedenfalls weiß offenkundig, was er erreichen will ("Weltfußballer werden") - und mit wem. Sein Berater gilt ebenfalls nicht gerade als handzahmer Typ: Mino Raiola betreut auch Zlatan Ibrahimovic und Mario Balotelli, zwei Branchengrößen der Marke "genial, aber schwierig". Und das ist jetzt eben die andere Seite.

Das haben sie damals auch in Manchester gemerkt, wo sie Pogba erst unbedingt wollten: Im Alter von 16 lösten sie ihn in Le Havre aus, dort besuchte er die renommierte Nachwuchsakademie. Die Franzosen weigerten sich zunächst, ihn gehen zu lassen. Die Engländer boten 15 000 Euro Monatsgehalt - für einen Teenager. Der Fall beschäftigte Anwälte, Verbände und Medien, am Ende fand man eine Einigung. Dann kam Pogba aber unter Alex Ferguson kaum zum Einsatz: Nur sieben Spiele machte er für die Profis von United, davon drei in der Premier League. Er motzte, sie verdonnerten ihn zu Einzeltraining, er verließ den großen Klub wieder, mit 19.

Damals hat er seinen Ärger noch nicht mit gefälligen Wir-Antworten umwölkt. Sondern so: "Sir Alex verdanke ich rein gar nichts." Der alte Trainer ließ sich aber auch nicht bitten: "Er hat es uns gegenüber an Respekt vermissen lassen", keilte er zurück, "um ehrlich zu sein: Es wäre mir am liebsten, Pogba wäre weit weg."

Jetzt ist Pogba gerade in Brasilien. Und auch dort geht es im Grunde um drei Fragen: ob man ihn 1) zu Unrecht kritisiert, ob man ihn 2) zu Recht, aber zu hart kritisiert, oder ob man ihn 3) zu Recht hart kritisiert. Die Tendenz geht zu Nummer zwei.

Durchwachsene WM

Bei Paul Pogba schwingt eben immer eine Menge mit. Sein Platzverweis zum Beispiel beim 0:1 in der WM-Qualifikation gegen Spanien, als er jene zwei gelben Karten innerhalb von drei Minuten kassierte. Da war er überhaupt erst wenige Tage Nationalspieler. Nun, beim WM-Auftakt gegen Honduras (3:0), zoffte er sich mit seinem Gegenspieler Wilson Palacios, da fehlte auch nicht viel bis zum Platzverweis. "Paul muss sich besser kontrollieren, er darf sich nicht provozieren lassen", schimpfte Trainer Deschamps.

Gegen die Schweiz (5:2) wurde Pogba dann nur eingewechselt, gegen Ecuador (0:0) war er wieder über 90 Minuten dabei. Im Achtelfinale riss er irgendwann das zähe Spiel an sich - und erzielte den Führungstreffer. Jetzt schwärmt Torwart Hugo Lloris: "Er ist hier noch so neu, wir alle kennen seine Grenzen noch nicht." Und Stürmer Karim Benzema sagte in Brasília mit mehr als nur einem Augenzwinkern: "Paul wurde kritisiert? Echt? Wenn es dazu Anlass gibt, müssen wir hier von einem anderen Fußball reden."

Das Internationale Zentrum für Sportstudien in Neuchâtel gibt einmal im Jahr den "Observatoire du football" heraus, eine Berechnung des "wahren Marktwerts" von Fußballprofis. Angeführt wird die Liste vom Argentinier Lionel Messi (Marktwert: 216 Millionen Euro), Paul Pogba liegt mit 66 Millionen auf Rang sechs, vor dem Waliser Gareth Bale, für den Real Madrid vor einem Jahr mehr als 90 Millionen Euro Ablöse an Tottenham Hotspur überwies. Solche Summen lassen jetzt nicht nur Pogba träumen. Sondern auch seinen Berater. "Wenn man die 97 Millionen für Bale zum Maßstab nimmt", sagt Mino Raiola, "müsste man für Pogba 200 bezahlen." Er meint das womöglich ernst.

Und jetzt auch noch das Spiel gegen die Deutschen. Im Leben von Paul Pogba, den sie Krake nennen, wird wohl noch einiges passieren, bevor er 22 wird.

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SZ vom 03.07.2014
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