Frankreichs Nationalelf:Zwischen Untersuchungshaft und Umkleide

Karim Benzema

Karim Benzema darf wegen einer Kontaktsperre derzeit nicht mit Mathieu Valbuena in einem Team spielen.

(Foto: dpa)
  • Der Skandal um die Erpressung von Mathieu Valbuena belastet die französische Nationalmannschaft.
  • Wie tief der stärkste französische Stürmer, Karim Benzema, verstrickt ist, bleibt noch unklar.
  • Für Nationaltrainer Didier Deschamps ergeben sich aus der Affäre Probleme.

Von Claudio Catuogno, Paris

"Mir? Mir geht es gut. Warum?" Das ist bisher die einzige öffentliche Einlassung des Beschuldigten, sie stammt vom Montagnachmittag vergangener Woche. Da war Karim Benzema, 27, am Trainingsgelände seines Klubs Real Madrid von mehreren Kamerateams abgepasst worden. Und mal abgesehen von dem Detail, dass die Nachfrage "Warum?" leicht deplatziert wirkt, wenn man gerade eine Nacht in Untersuchungshaft verbracht hat und nun der "Komplizenschaft bei einer versuchten Erpressung" und der "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung" verdächtigt wird: Es stimmt auch nicht mehr. Karim Benzema geht es nicht gut.

"Es geht ihm schlecht", hat sein Anwalt Alain Jacubowicz am Mittwoch in einem Radiointerview beklagt. Die Leute hielten den erfolgreichsten Torschützen der französischen Auswahl "im besten Fall für einen Dummkopf, im schlimmsten Fall für einen Straftäter". Aber, sagt Anwalt Jacubowicz: "Karim lag schon oft im Dreck. Er wird um seine Ehre kämpfen."

Das dürfte schwer werden. Denn der Stürmer Karim Benzema steckt jetzt tiefer drin denn je in dieser Erpressungsgeschichte rund um seinen Nationalelf-Kollegen Mathieu Valbuena, 32, von Olympique Lyon. Einer Geschichte, die davon erzählt, von welchen Freunden man als Profikicker bisweilen umgeben ist - und wie die einen in den Abgrund ziehen können, wenn man mit ihnen nach den gleichen Regeln spielt wie früher in den Hinterhöfen der Problemviertel von Paris, Lyon oder Marseille.

Welche Rolle spielt Benzema?

Irgendwie muss Valbuena auf einem alten Handy dieses Video vergessen haben: er, seine Freundin, keine Klamotten. "Sieht man meine Tattoos?", soll er Benzema kürzlich gefragt haben, laut Aktenlage "panisch" und "weiß im Gesicht". Benzema will geantwortet haben: "Man sieht alles!" Das muss nicht stimmen. Aber es ist nun dieses Gespräch zwischen den beiden, geführt am 5. Oktober auf dem Trainingsgelände des französischen Verbandes in Clairefontaine, das die Ermittler besonders interessiert. Warum hat Benzema den Kollegen auf das Video angesprochen? Was ist Benzemas Rolle in diesem Krimi? Dummkopf? Straftäter?

Zunächst einmal sollen es ja drei Kleinkriminelle aus Valbuenas Umfeld gewesen sein, die das Video auf dem ausrangierten Handy entdeckten und von Valbuena 150 000 Euro verlangten, damit sie es löschen. Die Gauner wurden verhaftet - aber aus dem Knast kontaktierten sie offenbar Karim Zenati, damit der die Sache weiter betreibt. Einen Jugendfreund Benzemas, aufgewachsen wie er in Bron-Terraillon, einer nicht so feinen Gegend von Lyon. Und Benzema? Hat das Schurkenstück, wohl aus Loyalität mit dem alten Kumpel, tatsächlich in die Kabine der Équipe  getragen.

Benzema droht Haft

Dass Karim Benzema - offiziell wegen einer Oberschenkelverletzung - nicht dabei sein wird in den Freundschaftsspielen diesen Freitag gegen Deutschland und am Dienstag gegen England in Wembley, ist noch sein kleinstes Problem. Laut der Staatsanwaltschaft in Versailles drohen Benzema im Fall eines Schuldspruchs bis zu fünf Jahre Haft. Und so richtig gut sieht es derzeit nicht für ihn aus. Der Sender Europe 1 hat jetzt Auszüge eines von der Polizei abgehörten Telefonats veröffentlicht, das Benzema und Zenati am 6. Oktober geführt haben sollen, Benzema berichtet seinem Kumpel darin, wie am Vortag die Unterredung mit Valbuena lief. "Gelangweilt, fast pennälerhaft", sollen die beiden das Thema besprochen haben, als handele es sich gar nicht um Erpressung, eher um ein banales Alltagsgeschäft.

Also, fragt Zenati am Telefon, wie ist es gelaufen? "Ich hab ihm gesagt: Ich werde die Sache für dich arrangieren", erzählt Benzema laut Protokoll, er habe Valbuena klargemacht: "Du musst den Typen treffen. Er wird mit dir sprechen. Wenn du willst, dass das Video zerstört wird, mein Freund, wird er dich in Lyon treffen. Du klärst das direkt mit ihm." Valbuena habe dann wissen wollen, was Benzema an seiner Stelle tun würde: "Ich hab ihm gesagt: Ich geb einen Scheiß auf den Rummel, verstehst du, deshalb hätte ich allein meiner Familie zuliebe gezahlt." Und auch den Fall, dass sich Valbuena - trotz des guten Ratschlags - verweigern sollte, haben die beiden laut der Abschrift durchgesprochen. Benzema: "Wenn er nicht will, pah, lass ihn, muss er sich halt mit diesen Piranhas rumschlagen. Die Piranhas werden ihn auffressen, Bruder."

Skandal schädigt die Nationalmannschaft

Bei Real, in Benzemas Klub, tun sie gerade so, als gäbe es die Affäre nicht. Aber es ist schwer vorstellbar, dass Karim Benzema je wieder für sein Land wird Fußball spielen können. Und damit wird die Geschichte auch ein Problem für den Nationaltrainer Didier Deschamps, 47, der im Jahr 2012 doch gerade mit dem Vorsatz angetreten war, einer Gruppe von exzentrischen Selbstdarstellen endlich Demut und Teamgeist beizubringen. Nach dem Trainingsstreik 2010 bei der WM in Südafrika, nach Beleidigungen und Suspendierungen 2012 bei der EM in Polen und der Ukraine, nach dem Sex-Skandal um Franck Ribéry, Benzema und die minderjährige Prostituierte Zahia, der die französische Öffentlichkeit über Jahre beschäftigte.

Und tatsächlich: Bei der WM 2014 in Brasilien haben Les Bleus einen ziemlich erfreulichen Eindruck abgegeben. Wenn der deutsche Torwart Manuel Neuer in der Nachspielzeit des Viertelfinales von Rio (1:0) nicht noch seinen Arm in einen Gewaltschuss von Benzema gebracht hätte - wer weiß, wie weit die junge französische Truppe hätte kommen können. Deschamps hätte diese produktive Harmonie nun gerne hinübergerettet in die Heim-EM 2016. Genau genommen war das sogar sein Arbeitsauftrag. Das wird jetzt wohl nichts.

Für Benzema wurde von der Justiz eine Kontaktsperre mit dem Opfer erlassen. Beide gleichzeitig, Benzema und Valbuena, dürfte Deschamps also gar nicht berufen, selbst wenn er wollte. Vorerst verzichtet er auch auf Valbuena, der sei "nicht in der psychischen Verfassung" für Länderspiele. Aber die beiden sind das eingespielte Offensiv-Duo der Franzosen, 35 Tore gingen in den vergangenen Jahren auf ihr Konto. Unter welchen Druck wird Deschamps wohl geraten, wenn in den kommenden Spielen die Erfolgserlebnisse fehlen? Was zählt Moral dann noch? Benzema, heißt es, habe mehr Freunde im Team als Valbuena. "Er ist unser wichtigster Stürmer", hat Deschamps bisher immer betont. Aber könnte er wirklich Benzema nominieren und auf Valbuena verzichten? Wohl kaum.

Didier Deschamps sagt zu solchen Fragen gerade, er spreche nur über den Sport. Dabei ist das längst nicht mehr zu trennen: Untersuchungshaft und Umkleidekabine, die unglaubliche Piranha-Geschichte und die Fußball-EM im eigenen Land.

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