Frankreichs Sieg bei der WM:Französisches Meer der Emotionen

  • Mit dem Sieg der Franzosen gegen Kroatien hat die jüngste Mannschaft dieser Fußball-WM den Titel gewonnen.
  • Frankreichs Spieler feiern den Triumph ausgelassen, nur Trainer Deschamps blickt schon in die Zukunft.

Von Martin Schneider, Moskau

Raphaël Varane trug den WM-Pokal wie ein Baby. Er hielt ihn in seiner rechten Armbeuge und wiegte ihn hin und her, als müsse der Pokal auf dem Weg zum Bus noch einschlafen. Ab und zu streichelte er über die goldene Weltkugel, deren Kontinente so blank poliert waren, dass sein glückliches Gesicht sich darin spiegelte, wenn er zu ihr runterschaute. Er sagte Dinge wie "Ich habe keine Worte, um diese Emotionen zu beschreiben", Frankreichs Verteidiger versuchte es mit einer Spielanalyse und meinte, dass Kroatien in den ersten zwanzig Minuten sehr, sehr gut gewesen sei, nur um dann wieder zum Augenblick zurückzukommen. Schließlich meinte er: "Das hier ist etwas Großes."

Hatte Didier Deschamps vielleicht sogar unrecht? "Ich glaube, meine Spieler begreifen noch nicht, was jetzt mit ihnen passieren wird", sagte er auf der Pressekonferenz. Im Fußball gibt es nichts über einem Weltmeistertitel, eine Steigerung ist nicht möglich. Deschamps weiß das, er hat den Pokal vor 20 Jahren als Spieler gewonnen, nun als Trainer. Er ist die dritte Person nach Mario Zagallo und Franz Beckenbauer, der das gelingt, aber als er über die Bedeutung und die Aura des WM-Titels sprach, da waren seine Haare zerzaust, sein graues Hemd mit dem Hahn darauf total durchnässt.

Weil seine Spieler, statt die Größe des Augenblicks zu begreifen, die Pressekonferenz gestürmt hatten, ihrem Trainer Bier und Wasser überkippten, ihn umarmten, seinen Namen sangen, auf den Tischen tanzten und Paul Pogba sich dann noch dafür entschuldigte, dass die Mikrofone nicht mehr funktionieren würden. Als Deschamps die Wasserlache vor sich sah, sagte er: "Nun, ich sehe, wir schwimmen im Glück."

Benjamin Mendy versucht, Präsident Macron in der Kabine den Dab beizubringen

Da war zum Beispiel Thomas Lemar, der mit einem blau-silbernen Sombrero zum Bus spazierte, oder Samuel Umtiti, der mit tragbarem Lautsprecher zum Bus tanzte und im Rhythmus laut "Vive la France" und "Kylian Mbappé" sang, als der noch versuchte, Interviews zu geben. Da war Benjamin Pavard, der sich im Interview daran erinnerte, dass er vor Kurzem noch beim VfB Stuttgart in der zweiten Bundesliga um einen Stammplatz kämpfte und nun Weltmeister ist.

Da war Antoine Griezmann, der gleich mit zwei Bieren in beiden Händen aus der Kabine kam und im Bus zur Party abwechselnd den WM-Pokal küsste und dann einen Schluck aus einer der Flaschen nahm und damit irgendwie ein bisschen seine Worte aus der Pressekonferenz bestätigte ("Ich habe noch nicht realisiert, was passiert ist").

Gesungene Liebe für N'Golo Kanté

In der französischen Kabine war auch Staatspräsident Emmanuel Macron, der während des Spiels von einem Fotografen abgelichtet wurde, wie er in der Loge mit Fifa-Präsident Gianni Infantino, Russlands Präsident Wladimir Putin und Kroatiens Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović aufsprang und jubelte. Auf den ersten Blick sah es aus, als würde er auf dem Tisch tanzen, aber Macron eskalierte einfach so auf dem Boden. Später ging er noch zu den Kroaten in die Kabine und tröstete Luka Modrić und dessen Kinder, auch Putin schoss noch ein Mannschaftsfoto mit den Verlierern, auf dem der Präsident den Daumen nach oben reckte.

Benjamin Mendy versuchte, Macron in der Kabine den Dab beizubringen. Eine Tanzbewegung, bei der man das Gesicht in einem Schwung in die Armbeuge legt. Das klappte so mittelgut, was besser klappte, waren die Gesänge von Corentin Tolisso für N'Golo Kanté auf die Melodie von "Les Champs-Élysées", die der Besungene aber eher schüchtern zur Kenntnis nahm. Die letzten Feierbilder postete bisher Thomas Lemar auf Instagram. Man sieht den Außenverteidiger Lucas Hernández, wie er im Morgengrauen mit Anlauf eine Tanne umarmt. Deschamps sagte auf der Presskonferenz übrigens zu seiner Mannschaft: "Sie sind jung und ein bisschen verrückt."

Tatsächlich sind sie ja nicht nur jung, sondern waren sogar die jüngste Mannschaft unter allen WM-Teilnehmern. Kylian Mbappé, 19 Jahre alt, der jüngste Torschütze in einem WM-Finale nach Pelé, der einen Schritt zurück springen musste, weil die Absperrung vor dem Andrang der fragenden Journalisten zusammenbrach, sagte: "Weltmeister zu sein ist eine Botschaft, aber jetzt ist der Moment, zu feiern. Wir haben so hart gearbeitet."

Didier Deschamps war der Einzige, der aus diesem Meer aus Emotionen herausblickte, in die Zukunft. "Ich habe meinen Spielern nach dem Spiel gesagt: Sie werden auf immer und ewig als Weltmeister in Erinnerung bleiben. Es gibt in dem Beruf nichts, was drüber steht", sagte er und lobte seine Gruppe. "Wir haben 55 Tage zusammen verbracht. Es hat nicht ein Problem gegeben." Ein russischer Journalist wollte auf der Pressekonferenz dann noch etwas zu dieser Gruppe wissen, in der ja so viele Spieler verschiedener Herkunft zusammenspielen. "Das ist das Frankreich, das wir lieben", sagte Antoine Griezmann. "Wenn wir mit dem Hahn auf der Brust spielen, stehen wir zusammen. Es ist schön, das zu sehen." Im französischen Trikot, auf dem bald der zweite Stern für den zweiten WM-Titel eingestickt sein wird, steht übrigens: "Nos differences nous unissent" - unsere Unterschiede vereinen uns.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: