Fußball-WM:Aber war das auch schön?

Didier Deschamps und sein Trainerteam nach dem WM-Gewinn 2018

Weltmeister als Spieler, Weltmeister als Trainer: Didier Deschamps küsst den Pokal.

(Foto: REUTERS)

Den neuen Weltmeister Frankreich begleiten fußballerische Ästhetik-Debatten. Dabei wählte Trainer Deschamps nur einen radikal anderen Ansatz, als man es bisher gewohnt war.

Kommentar von Martin Schneider, Moskau

Die erste Frage, die Didier Deschamps nach seiner Bier- und Wasserdusche beantworten musste, war eine sehr gute und sehr schwierige Frage. Der französische Nationaltrainer saß klatschnass da, und ein Journalist wollte wissen, woran sich die Leute erinnern sollen, wenn sie an diese französische Nationalmannschaft denken werden. Deschamps schnaufte und sagte: "Das ist eine schwierige Frage. Wir sind Weltmeister. Das bedeutet, dass wir Dinge besser gemacht haben als andere." Die folgerichtige Frage stellte sich Deschamps dann gleich selbst - "Ist Frankreich ein schöner Weltmeister?" - und beantwortete sie nicht mit einem "Ja", sondern sagte schlicht noch mal: "Wir sind Weltmeister."

Das fasst den Sieg der Franzosen wirklich auf den Punkt zusammen. Frankreich hat Dinge besser gemacht, klar. Aber war das nun schön? Ästhetisch? Begeisternd? Sollte man dieser Mannschaft applaudieren oder muss man sie nur respektieren? Didier Deschamps hatte darauf zunächst auch keine Antwort.

Eins ist unstrittig: Die Franzosen sind der logische Weltmeister, weil sie alle Strategien und Fähigkeiten, die bei diesem Turnier gefordert waren, besser umgesetzt haben als alle anderen. Sie haben besser verteidigt, sie haben besser gekontert, und sie haben ihre Standards versenkt. Eigentore haben sie auch noch provoziert, und einen einzigen herausragenden Spieler hat Frankreich auch nicht. Früher sprach man von der "Generation Platini" oder der "Generation Zidane" - diese Elf aber wird kaum den Namen "Generation Griezmann" bekommen. Es wird eher die "Generation von Didier Deschamps" sein.

Deschamps adaptierte die Strategie von Außenseitern

Der Trainer Deschamps hat die perfekte Nationalmannschaft der Gegenwart komponiert. Er hat defensiv gedacht in einem Turnier, in dem die drei Ballbesitz-Mannschaften Spanien, Deutschland und Argentinien früh ausschieden. Er hatte für seine Spielidee den Supersprinter Kylian Mbappé für die Konter, den man als Gegner nicht in den Griff bekam, selbst wenn man wusste, was auf einen zukommt. Er hatte als erste Absicherung N'Golo Kanté, der allein den Raum von zwei oder drei Spielern abdeckte. Er hatte als Standardschützen Antoine Griezmann, zum Vollenden die Riesen Raphaël Varane und Samuel Umtiti - und mit Paul Pogba hatte er den besten Edelhelfer der Welt. Es war ein Mosaik aus Kraft und Tempo und Präzision, und es ergab von allen Mannschaften das stimmigste Bild bei dieser WM. Ob man das nun schön findet, das kommt immer auf das Schönheitsideal an. Zuletzt wurde dieses Ideal auf Nationalmannschafts-Ebene von Spaniern und dann auch von den Deutschen geprägt.

Deschamps hat sich davon aber bewusst abgewandt - er wollte nicht lange den Ball haben, er wollte den Gegner nicht auseinanderspielen. Er wollte schnell zum Ziel. In der Ballbesitz-Statistik landete Frankreich hinter Tunesien auf Platz 19, der Weltmeister spielte sogar mehr Fehlpässe als Panama.

Deschamps adaptierte die Strategie von Außenseitern - führte sie aber mit viel besseren Spielern viel besser aus. Es ist daher kein Wunder, dass Frankreich sich in der Gruppe schwerer tat als in der K.-o.-Phase und Deschamps nach dem Pokal-Gewinn fast ungehört erklärte, diese drei Spiele gegen Australien, Peru und Dänemark seien die eigentliche Herausforderung gewesen. Sobald ein Spiel einen Sieger haben musste, war Frankreich in seinem Element.

In keinem K.-o.-Spiel kam das Team in Schwierigkeiten. Der einzige Rückstand im Spiel gegen Argentinien hielt neun Minuten, ehe Benjamin Pavard das schönste Tor des Turniers schoss. Ein Duell zwischen Frankreich und Brasilien wäre interessant gewesen, weil deren Strategien sich noch am ähnlichsten waren - aber da hatten die Konter-Künstler aus Belgien etwas dagegen. Und ja, im Finale fielen zwei Tore nach umstrittenen Schiedsrichter-Entscheidungen - aber wäre Frankreich wirklich umgefallen, wenn der Unparteiische Néstor Pitana anders entschieden hätte? Wenn man ehrlich ist, fehlt einem da der Glaube.

Deschamps ist Pragmatiker, kein Ideologe - anders als Guardiola

Nein, Frankreich hat den Pokal unzweifelhaft verdient gewonnen. Sie haben ihn nur radikal anders geholt, als man es bei den beiden vorangegangenen Turnieren gewohnt war.

Spanien und Deutschland wollten das Spiel kontrollieren und beherrschen, ihr Ansatz war ein ideologischer. Pep Guardiola verwies immer auf Johan Cruyff und dessen Idee des totalen Fußballs, er sprach von einer Kathedrale, die der Holländer gebaut habe. Er war und ist Anhänger einer Denkschule - im Fußball gern Philosophie genannt. Auch Joachim Löw adaptierte die Ideen und wurde Weltmeister. Deschamps ist aber kein Ideologe, er ist Pragmatiker. Er dachte sich: Ich habe keinen Spielmacher in der Mannschaft, und überhaupt, warum soll ich das Spiel eigentlich 90 Minuten dominieren? Drei, vier gute Momente reichen doch auch. Zumal er eine Mannschaft trainierte, die geprägt war von einer Final-Niederlage im eigenen Land gegen ein Portugal, das alles wollte, aber sicher keinen schönen Fußball spielen.

Nebenbei hat er noch einen weiteren WM-Trend geprägt: Dass eine Mannschaft nicht nur Mannschaft heißen, sondern auch eine sein sollte. Fast unbemerkt ging er in der Zusammenstellung seines Kaders radikaler vor als jeder andere Nationaltrainer, er ließ ein ganzes Team an talentierten Spielern (Karim Benzema, Alexandre Lacazette, Kingsley Coman, Dimitri Payet, Anthony Martial ...) zu Hause, weil er eine homogene Gruppe haben wollte. Im Halbfinale standen auch prompt vier Teams, die nicht durch ihre Einzelspieler glänzten, sondern bei denen die Gruppe den Einzelspieler ins Spiel brachte und alle Welt daran erinnerte, dass Fußball trotz der unzähligen Werbefilmchen mit Ronaldo und Messi und Neymar in erster Linie ein Mannschaftssport ist. Ein Mannschaftssport, bei dem die Einzelkönner von der Gruppe eingesetzt werden müssen - und nicht die Gruppe von den Einzelkönnern getragen wird.

Eine passende Taktik, eine junge, funktionierende Mannschaft, vier souveräne Spiele mit elf Toren in der K.-o.-Phase - vielleicht muss man eher fragen, warum Frankreich kein schöner Weltmeister sein soll?

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