Frankreich gegen Irland:Griezmann erlöst verletzliche Franzosen

Frankreich gegen Irland: Der Retter: Antoine Griezmann.

Der Retter: Antoine Griezmann.

(Foto: AFP)

Von Claudio Catuogno, Lyon

Die Marseillaise war gerade erst verklungen, nun zählten die Zuschauer im Grand Stade von Lyon den Countdown herunter. Der Countdown ist eine neue Erfindung der Uefa bei dieser Fußball-EM, er soll einen nur mäßig spektakulären Verwaltungsakt wie den Pfiff des Schiedsrichters beim Anstoß emotional aufladen. Aber dann begann dieses Viertelfinale zwischen Frankreich und Irland damit, dass der Schiedsrichter Nicola Rizzoli den Anstoß wiederholen ließ. Irgendwer hatte sich zu früh in die gegnerische Hälfte aufgemacht.

Wenn alle aus voller Kehle "drei, zwei, eins, null" brüllen, aber dann geht es nicht los, sondern wird erst mal umständlich - dann ist plötzlich auf seltsame Weise die Spannung raus. Damit stand der kuriose Anfang exemplarisch für das ganze Spiel.

Die Spannung war erst mal raus aus Sicht der Gastgeber. Dafür kroch eine extreme Anspannung unter ihre Trikots. Die Iren gingen früh in Führung, ein Scheitern der Bleus im Achtelfinale stand plötzlich im Raum. Dann kam Antoine Griezmann. Der Stürmer von Atlético Madrid erzielte zwei Tore binnen drei Minuten, die Franzosen gewannen noch 2:1 (0:1) - und treffen im Viertelfinale auf England oder Island.

Griezmann sagte: "Ich weiß, was ich drauf habe und wenn es zählt, bin ich da."

Frankreich wirkt sehr verletzlich

Die Elf von Didier Deschamps bestätigte aber auch den Eindruck, den sie von Anfang an hinterlassen hat bei ihrer Heim-EM: Den Eindruck einer hoch engagierten, aber auch sehr verletzlichen Elf, für die dieses Turnier noch lange dauern, aber auch jederzeit vorbei sein kann.

Der Italiener Rizzoli stand besonders im Fokus dieser Partie. Auf keinen Fall durfte ihm so ein Fehler unterlaufen wie dem Schweden Martin Hansson beim vorerst letzten Aufeinandertreffen von Iren und Franzosen 2009. Damals hatte Hansson ein Handspiel von Thierry Henry übersehen - der darauffolgende Treffer, der die Franzosen statt der Iren zur WM 2010 brachte, ist bis heute einer der berühmtesten Irrtümer der Fußball-Geschichte.

Die Grundierung war also eine besondere, die Iren sannen auf Revanche, selbst wenn sie das so explizit nicht zugegeben hatten. Und der immer sehr ungestüme Paul Pogba brachte sie schon früh in die Position, die Revanche für zum Greifen nahe zu halten. Keine zwei Minuten waren gespielt, da rannte Pogba im eigenen Strafraum Shane Long in die Hacken. Robbie Brady verwandelte den fälligen Strafstoß - nach einer Minute und 59 Sekunden. Der Treffer wird nun als zweitschnellstes Tor der EM-Geschichte geführt; nach dem 1:0 des Russen Dmitri Kiritschenko gegen Griechenland (67 Sekunden) im Jahr 2004.

Frankreich wacht nach der Halbzeit auf

Die Franzosen hatten das Turnier als Experten für späte Tore begonnen; nun entwickelten sie sich insofern weiter, dass sie frühe Gegentore in ihr Portfolio aufnahmen. Das war definitiv anders geplant.

Sie liefen jetzt also diesem Rückstand hinterher, das allerdings auf beeindruckende Weise. Pogba, von zwei Iren bedrängt, konnte am linken Flügel den Ball behaupten, Griezmann köpfelte seine scharfe Hereingabe über das Tor (9.). Dimitri Payet schlug eine Freistoßflanke von der linken Seite herein, Griezmann brachte den Ball zunächst einmal nur in den Armen des Torwarts Darren Randolph unter (18.

). Doch auch die Iren hatten weiterhin Gelegenheiten, und vor allem verlangten sie den Franzosen sehr viel Einsatz ab - der Preis, um den sich die Gastgeber gegen das Ausscheiden stemmen mussten, wurde immer höher. Der für das Gleichgewicht dieser Elf eminent wichtige Balleroberer N'Golo Kanté ließ im Mittelfeld den Fuß etwas zu lange stehen, im Zweikampf mit James McClean, nun ist er im Viertelfinale wegen der zweiten gelben Karte gesperrt. Yohan Cabaye dürfte ihn ersetzen. Auch die französische Innenverteidigung wird auseinandergerissen: Adil Rami unterband rustikal einen Konter (43.) - auch er fehlt im nächsten Spiel. Auf der Bank sah Didier Deschamps zunehmend beunruhigt aus.

Griezmann befördert den Ball in den Winkel

Für Kanté kam zur zweiten Halbzeit Kingsley Coman vom FC Bayern, Blaise Matuidi rückte ins defensive Mittelfeld. Und Matuidi war es dann, der nach einem abgewehrten Weitschuss mit energischer Geste das Publikum aufweckte (56.) - aber auch seine Mitspieler meinte. Der Effekt ließ nicht lange auf sich warten. Payet bediente den aufgerückten Bacary Sagna auf dem rechten Flügel, Sagna flankte in den Strafraum, und dort verlieh Griezmann seinem Kopfball so viel Nachdruck, dass dieser präzise im linken Torwinkel einschlug (58.). Schon drei Minuten später war es dann der Stürmer Olivier Giroud, der einen weiten Ball von Rami mit großem Einsatz auf Griezmann ablegte - 2:1, das Spiel war gedreht (61.)

. "Wir hatten im zweiten Abschnitt mehr Präsenz im Angriff", sagte Deschamps, der seiner Mannschaft gleich einen Arbeitsauftrag fürs Viertelfinale erteilte: "Wir sollten auch weiterhin ein wenig verrückt und leidenschaftlich sein." Was folgte, waren noch mehrere gute Gelegenheiten der Franzosen, unter anderem traf der eingewechselte André-Pierre Gignac die Latte (78.). Und eine rote Karte für den Iren Shane Duffy, der Griezmann kurz vor der Strafraumgrenze ein Bein gestellt hatte. Die Franzosen forderten Elfmeter - aber darauf fiel Rizzoli nicht rein. Es ist diesmal kein Skandalspiel geworden zwischen Frankreich und Irland. Bloß ein Ritt auf der Rasierklinge - mit dem besseren Ende für die Franzosen, dank Griezmann, der seine Rolle aber herunterspielte: "Die Fans haben uns geholfen, dieses Achtelfinale zu gewinnen. Der Retter, das war die Mannschaft", sagte er.

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