Frankreich in der Nations LeagueDie Defensive steckt in der Bredouille

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Zwischenzeitlich 0:4 und 1:5 in Rückstand: Didier Deschamps ist als Frankreichs Nationalcoach anderes von seiner Mannschaft gewohnt.
Zwischenzeitlich 0:4 und 1:5 in Rückstand: Didier Deschamps ist als Frankreichs Nationalcoach anderes von seiner Mannschaft gewohnt. (Foto: Martin Meissner/AP)

Unter Trainer Didier Deschamps hatte das französische Nationalteam stets eine starke Abwehr. Warum beim 4:5 gegen Spanien alle Dämme brachen – und was das für das Duell mit Deutschland bedeutet.

Von Javier Cáceres, Stuttgart

So richtig schlau wurde Didier Deschamps nicht aus dem Nations-League-Halbfinale seiner Mannschaft. Mit einem Tor Unterschied kann man ja schon mal verlieren gegen den Europameister Spanien. Einerseits. Andererseits: Auch dem Trainer der Franzosen war nicht entgangen, dass Freunde der Statistik im Laufe des turbulenten Donnerstagabends nicht nur die Ballbesitzphasen (57 Prozent für Frankreich) und die unglaubliche Zahl an Torschüssen (24:16) registriert, sondern auch das Archiv konsultiert hatten. Denn nach dem zwischenzeitlichen 5:1 für Spanien, das der einmal mehr überragende Doppeltorschütze Lamine Yamal in der 67. Minute erzielt hatte, stellte sich umgehend die Frage: Wann hatte es für die Équipe de France zuletzt eine vergleichbar hohe Niederlage gegeben? 1969, gegen den damals amtierenden Weltmeister England.

Doch immerhin die Moral, sie stimmte bei den Franzosen, und das ließ Deschamps das Glas mehr als nur halbvoll sehen: „Wir waren überlegen“, behauptete er. Frankreich kam an diesem Spektakel-Abend zum Schluss ja noch bis auf 4:5 heran – und haderte am Ende über den englischen Schiedsrichter Michael Oliver, der auf die verabredeten fünf Minuten Extra-Time nichts mehr draufschlug. Obwohl in der Nachspielzeit noch ein Tor gefallen war – und obwohl die Spanier gezeigt hatten, dass sie sich nicht nur auf hohe Fußballkunst, sondern auch aufs Zeitschinden verstehen.

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Spanien besiegt Frankreich in einer spektakulären Partie mit 5:4 und glänzt mit Kombinationsfluss, die Franzosen beweisen Moral.  Und Lamine Yamal sieht mal wieder wie der Ballon d’Or-Gewinner der Zukunft aus.

SZ PlusVon Javier Cáceres

Nicht nur Deschamps, auch L’Équipe bewegte sich am Freitag zwischen extremen Urteilen. Der Berichterstatter der Pariser Fachzeitung hatte in Stuttgart „das Schlimmste und das Beste“ gesehen. Das Beste war nicht einmal die beeindruckende Offensivreihe um den Foulelfmeter-Torschützen Kylian Mbappé (59. Minute/Real Madrid), den diesmal enttäuschenden Michael Olise (FC Bayern) sowie die vom Champions-League-Sieg beschwingten PSG-Angreifer Ousmane Dembélé und Désiré Doué. Sondern der beste Franzose war der eingewechselte Rayan Cherki (Olympique Lyon), der vor vielen Monaten auf dem Einkaufszettel von Borussia Dortmund gestanden hatte. Nach seiner Einwechslung lieferte er ein furioses Volleytor aus 17 Metern zum 2:5 (79.) und eine schöne Flanke, die der gleichfalls eingewechselte frühere Frankfurter Randal Kolo Muani per Kopf zum 4:5 nutzte (90.+3). Damit gab Cherki auch die Antwort auf die Frage, was Manchester City aktuell von ihm will.

Deschamps größte Turniererfolge basierten vorwiegend auf einer klar strukturierten Defensive

Das Schlimmste dagegen? War Frankreichs Abwehr inklusive Torwart Mike Maignan (AC Milan), die Deschamps aber ausdrücklich in Schutz nahm. Es sei alles eine Frage des Equilibriums, argumentierte Deschamps, der sich in einem Jahr als Nationaltrainer verabschieden wird; und genau das, Gleichgewicht, war im defensiven Mittelfeld seines Teams nicht gewährleistet. Manu Koné machte mit Ballverlusten vor zwei spanischen Toren eine Partie zunichte, in der er anfangs so gut aufspielte, dass der Verkaufspreis, den Borussia Mönchengladbach vor einem Jahr bei der AS Roma für ihn erzielt hatte, angeblich 18 Millionen Euro, lächerlich niedrig erschien. Weil auch Adrien Rabiot (Olympique Marseille) patzte, kam Frankreichs Defensive in die Bredouille. Und die war lediglich eine uneingespielte Behelfsdefensive.

Deschamps musste auf drei Viertel seiner Stammabwehr verzichten. Jules Koundé vom FC Barcelona fehlte, William Saliba vom FC Arsenal ebenso; fast am schmerzlichsten vermisst wurde aber Innenverteidiger Dayot Upamecano vom FC Bayern. Der Rechtsverteidiger mit dem wundervollen Namen Pierre Kalulu (Juventus) verlor bei seinem A-Elf-Debüt die Hälfte seiner Zweikämpfe und musste Nico Williams gewähren lassen. Der spanische Stürmer schoss das wichtige 1:0 (22.) und bereitete das schöne 4:0 von Pedri vor (55.). Kalulu sah damit nicht sehr viel besser aus als Linksverteidiger Theo Hernandez (AC Milan), dessen 17-jähriger Gegenspieler Lamine Yamal (FC Barcelona) zwei Treffer erzielte (54., Foulelfmeter/67.). Und in der Innenverteidigung trugen Ibrahima Konaté (FC Liverpool) und Clément Lenglet (Atlético) dazu bei, dass der Defensive das Prädikat „mittellos“ (L’Équipe) verliehen wurde. Das war umso bemerkenswerter, als Deschamps größte Turniererfolge, der WM-Titel 2018 und der Finaleinzug bei der WM 2022, vorwiegend von einer klar strukturierten Defensive lebten.

Es gäbe, so gesehen, am Sonntag beim Spiel um Platz drei gegen das DFB-Team diverse Eindrücke zu korrigieren. Sein Urteil über den Auftritt Deutschlands wollte Deschamps nicht verraten, dafür sagte er, dass am Sonntag (15 Uhr, RTL und Dazn) gewiss „nicht das wichtigste Spiel“ anstehe. Er werde sicher „viele Wechsel“ vornehmen – und erwarte, dass sein Kollege Julian Nagelsmann ebenso verfahren werde. Womit es bei der Partie vom Pfingstsonntag womöglich nicht nur um Nations-League-Bronze gehen wird, sondern auch um die Frage, wer sich mit einem schlechteren Eindruck in die Sommerpause verabschiedet.

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