Frankfurt-Wolfsburg (18 Uhr):Boatengs Nachfolger

Alle reden über Frankfurts magisches Dreieck: Jovic, Rebic, Haller. Aber für gute Stimmung und Sicherheit im Spiel ist jemand anders verantwortlich, der nach dem Geschmack von Trainer Hütter zu wenig gelobt wird: Jonathan de Guzman.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Mit filmischen Dokumentationen über das Binnenleben eines Fußballvereins ist das so eine Sache. Die meisten kratzen nur an der schönen Oberfläche, wenige bieten mehr. In dieser Saison schaut der Sender RTL bei Eintracht Frankfurt mit begleitenden Kameras zu jedem Europa-League-Auftritt hinter die Kulissen. Die Episoden sind unter dem Titel "Countdown für Europa" gebündelt, mit dem der Sender einerseits die eigenen Übertragungen bewirbt, andererseits tatsächlich Einblicke in Abläufe liefert, von denen sonst die Öffentlichkeit wenig bis gar nichts mitbekommt.

Die Frankfurter Fans goutieren das Zusatzangebot offenbar. Rauschhafte Europapokal-Erlebnisse wie das jüngste 4:0 gegen Olympique Marseille am vergangenen Donnerstag lassen sich damit ein bisschen länger festhalten. Die Abrufzahlen der 30-minütigen Folgen in der Mediathek übertreffen alle Erwartungen.

Interessant ist beispielsweise, wer für den Siegeszug mitunter in der Kabine das Sagen hat. Nicht immer nämlich Cheftrainer Adi Hütter. Sondern Jonathan de Guzman. Es war Halbzeitpause beim ersten Europa-League-Heimspiel gegen Lazio Rom (4:1), als der 31-Jährige beim Stand von 2:1 das Wort ergriff. "Wir sind einer mehr, bleibt konzentriert. Der Schiri ist mit Karten schnell dabei", ermahnte der Mittelfeldmann seine Mitspieler lautstark. So etwas macht nur einer, der sich des Respekts der Kollegen sicher ist.

Frankfurter Nummer sechs ist nicht nur ein Spieler mit dem richtigen Instinkt für Ball und Gegner, sondern er beweist auch ein gutes Gespür außerhalb des Platzes. "Dieses Team ist auf dem Weg, ein großartiges Team zu werden. Jeder hat gute Laune und ist glücklich", sagte de Guzman kürzlich. Heimlich, still und leise schlüpfte er in jene Rolle, die der als Integrationsfigur zu US Sassuolo Calcio abgewanderte Kevin-Prince Boateng bekleidete.

"Der oberflächliche Blick gilt unseren drei Stürmern, aber als Trainer muss man das Gesamtwerk betrachten", sagt Hütter

De Guzmann hatte schon in allen großen Top-Ligen gespielt, als er im Sommer 2017 zur Eintracht kam: bei RCD Mallorca und FC Villarreal in Spanien, bei Swansea City in England und zuletzt beim FC Carpi, SSC Neapel und AC Chievo in Italien. Der Sohn eines philippinischen Vaters und einer jamaikanischen Mutter wurde im kanadischen Ontario geboren, lebte aber ab dem zwölften Lebensjahr in Amsterdam. Jonathan de Guzman, dessen Bruder Julian zwischen 2002 und 2005 für Hannover 96 auflief, passt als Prototyp Weltbürger perfekt in die Frankfurter Multikulti-Mannschaft. Seine 14 Länderspiele hat de Guzman nicht etwa für Kanada bestritten, sondern für die Niederlande, nachdem er die niederländische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, um 2008 für die Olympia-Auswahl in Peking anzutreten.

Er ist keiner, dem die Fans ob seiner Spielweise sofort zu Füßen liegen. Gerade jetzt nicht, wo vor dem Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg (Sonntag 18 Uhr) eigentlich nur noch darum geht, welcher Superlativ für das magische Frankfurter Dreieck noch nicht erfunden ist. Luka Jovic, Ante Rebic und Sébastien Haller befinden sich in einer sagenhaften Verfassung. Aber ein bisschen geht unter, wer im verführerischen Herbst 2018 mit elf ungeschlagenen Pflichtspielen und zehn Siegen dem Trio eigentlich immer den Rücken freihält. Treue Abräumer wie de Guzman, der in den wichtigen Spielen gemeinsam mit dem Schweizer Gelson Fernandes die Doppel-Sechs bildet.

"Der oberflächliche Blick gilt unseren drei Stürmern, aber als Trainer muss man das Gesamtwerk betrachten", betont der für seine Sachlichkeit geschätzte Hütter, dem die öffentliche Würdigung der Defensivleistung ein bisschen zu kurz kommt. "Die Mannschaft arbeitet in beide Richtungen, die Balance stimmt. Wir sind nicht so einfach zu knacken." Mit erst 14 Gegentoren in der Liga stellte sein Team die drittbeste Abwehr, wobei der Coach die richtige Wahl traf, als er nach dem sechsten Spieltag sich wieder auf die unter Vorgänger Niko Kovac bevorzugte Dreierkette mit dem Gestalter Makoto Hasebe als zentrales Glied zurückgriff. Es ist kein Zufall, dass erst seitdem auch de Guzman einen Stammplatz hat.

Wenn der Spieler die Fußballlehrer Hütter und Kovac vergleichen soll, sieht er signifikante Unterschiede: "Unter diesem Trainer laufen wir auch viel, sind aber noch ein bisschen aggressiver und spielen mehr Angriffsfußball. Je angriffslustiger du spielst, desto mehr Tore erzielst du. Wir verteidigen höher, statt zu warten, das ist ein großer Unterschied zu Kovac", erklärt de Guzman. Diese neue Philosophie passe "definitiv" besser zu ihm. Unter dem heutigen Bayern-Trainer hatte der Pokalsieger nach zwölf Spieltagen vor einem Jahr nur 14 Tore geschossen, aktuell sind es 29. De Guzman selbst hat auch schon vier Scorerpunkte (zwei Tore, zwei Vorlagen) auf dem Konto. Seine erste Aufgabe bleibt es, dass sich im Frankfurter Gefüge keine Unwucht bildet. Dafür muss man notfalls auch mal im Stakkato durch die Kabine die Kollegen anbrüllen.

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