Süddeutsche Zeitung

Ansgar Knauff bei Eintracht Frankfurt:Rechts auf der Überholspur

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Vor vier Monaten kickte Ansgar Knauff für Dortmunds Amateure in der dritten Liga. Nun steht er mit Eintracht Frankfurt einen Schritt vor dem Europa-League-Finale. Über einen Aufsteiger, der auch beim DFB Hoffnungen weckt.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Mitunter fällt es selbst dem harten Kern in der Anhängerschaft von Eintracht Frankfurt nicht so ganz leicht, die Traumreise ihres Herzensvereins in die passenden Worte zu kleiden. Dass der hessische Bundesligist in der Europa League eine wundervolle Leistung nach der anderen hinlegt, ist das eine; dass die organisierte Fanszene nach zweijähriger coronabedingter Abstinenz wieder in voller Stärke daran teilhaben kann, das andere. "Bei uns ging es natürlich direkt wieder von 0 auf 200! Das zweite Mal in drei Jahren Halbfinale im Europapokal. Einfach Wahnsinn!" schreiben die Ultras Frankfurt vor dem Europa-League-Rückspiel gegen West Ham United (Donnerstag, 21 Uhr/RTL).

Dass angesichts des 2:1-Hinspielsieges im London Stadium eine reelle Chance auf den Endspieleinzug besteht, hat auch mit einem jungen Mann zu tun, der ganz ähnlich von 0 auf 200 durchgestartet ist: Ansgar Knauff, 20, erst Torschütze im Viertelfinale gegen den FC Barcelona und dann auch im Halbfinale bei den "Hammers". Irgendwie schien niemand am vergangenen Donnerstag den Rechtsaußen auf der Rechnung zu haben, als dieser nach nicht einmal einer Minute per Kopf das Führungstor erzielte. "Der Ball von Rafael ( Borré, Anm. d. Red.) war super in Richtung Tor gedreht, da musste ich nur noch den Kopf hinhalten", sagte Knauff hinterher erstaunlich nüchtern. Aber auch er weiß ja: "Es fehlt noch ein Schritt bis zum Finale."

Einziger Haken für die Eintracht: Das Leihgeschäft mit Dortmund beinhaltet keine Kaufoption

Knauff muss sich manchmal kneifen: Mitte Januar hat er noch für Borussia Dortmund gegen Waldhof Mannheim gespielt. Zweite Mannschaft, dritte Liga. Mitte Mai kann er vielleicht als Leistungsträger von Eintracht Frankfurt ein Europapokal-Endspiel bestreiten. Wie so etwas möglich ist? Mit der Fantasie eines Managers, dem Vertrauen eines Trainers und den Anlagen eines Jungprofis, der es in Dortmund gegen hochkarätige Konkurrenz schwer hatte.

Was Eintracht-Sportvorstand Markus Krösche natürlich wusste, als er sich mit dem BVB über ein anderthalbjähriges Leihgeschäft - ohne Kaufoption - verständigte. Bei der Ankunft des in Göttingen geborenen und zunächst bei Hannover 96 ausgebildeten Offensivspielers am Main orakelte Krösche: "Ansgar ist in der Lage, uns auf den Außenbahnen sofort zu helfen."

Frankfurts Trainer Oliver Glasner stellte seine Leihgabe erstmals Ende Februar gegen den FC Bayern in die Startelf - seitdem hat Knauff einen Stammplatz. Als Schienenspieler, der im Vorwärtsgang zwar alle Freiheiten ausleben soll, aber den Rückwärtsgang nie vergessen darf. Am komplexen Anforderungsprofil im 3-4-2-1-System waren gestandene Kräfte wie Timothy Chandler, Danny da Costa, Erik Durm oder Almamy Touré gescheitert, sodass gefühlt drei von vier Frankfurter Angriffe über die linke Seite von Filip Kostic liefen. Erst mit Knauffs kometenhaftem Aufstieg ist die Dysbalance behoben - und die Eintracht weitaus weniger berechenbar.

Knauff kommen sein Tempo, seine Technik, sein Spielwitz entgegen - und natürlich auch seine noch vorhandene Unbekümmertheit. Wenn er einen Fehlpass spielt - was noch vergleichsweise oft vorkommt -, geht der Kopf nicht gleich nach unten. Und es kommt auch kein Anpfiff vom Mitspieler oder Trainer. "Seit er hier ist, hat er einen ganz großen Schritt nach vorne unternommen und ist auf einem guten Weg", sagt Glasner. Der Österreicher hat damit, mehr als ein netter Nebeneffekt, auch der deutschen U21-Nationalmannschaft geholfen.

Dort sind sie nämlich richtig glücklich über die Entwicklung Knauffs. "Ansgar hat gute Aktionen, kommt am Gegner vorbei, ist mit Toren und Torvorlagen beteiligt", lobte U21-Chefcoach Antonio di Salvo bereits vor Wochen. "Ich bin superfroh, dass er diesen Schritt gegangen ist." Aus Sicht seines Assistenten Daniel Niedzkowski, der auch die Pro-Lizenz-Ausbildung leitet, gibt es zu wenige Bundesliga-Trainer, die jungen deutschen Spielern einfach mal vertrauen. Seine These: Die meisten Talente zahlen über einen längeren Zeitraum mit Leistung zurück. Auch wenn vielleicht nicht jeder gleich wie Knauff von 0 auf 200 durchstartet.

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