Süddeutsche Zeitung

Eintracht Frankfurt:Kolo Muani in Endlosschleife

Lesezeit: 3 min

Während der Franzose für Eintracht Frankfurt beim 3:0 gegen Hertha BSC abermals der Unterschiedsspieler ist, fahndet Berlins Trainer Sandro Schwarz fast schon verzweifelt nach positiven Aspekten in der Krise.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Liedgut in Fankurven kann durchaus auch mal einfallsreich sein. Die für ihre Stimmgewalt bekannten Anhänger von Eintracht Frankfurt haben aus der im Umbau befindlichen Nordwestkurve - hier soll bald eine Stehtribüne für 20 000 Menschen entstehen - beim ungefährdeten 3:0-Heimsieg gegen Hertha BSC ein ganzes Potpourri verschiedenster Melodien mit unterschiedlichsten Inhalten intoniert. Erst wurde die obligatorische Sehnsucht auf die zweite Meisterschaft nach 1959 besungen ("Deutscher Meister wird nur die SGE"), dann der Absturz des Hauptstadtklubs verspottet ("Hey, was geht ab - die Hertha steigt endlich ab"), ehe man einen Song erfand, der am besten zu dieser Begegnung passte: ein Hohelied auf den Doppeltorschützen Randal Kolo Muani (21./Foulelfmeter und 28.).

Auf den Song "No Limit" des in den 90er Jahren erfolgreichen Eurodance-Duos "2 Unlimited" wurde vielfach "Kolo, Kolo" geträllert, dem sich ein langgezogenes Muani anschloss. Diese Version dröhnte in Endlosschleife durch den Stadtwald. "Es zu hören, war ein tolles Gefühl. Ich werde hart arbeiten, damit ich es noch öfter hören kann", sagte Kolo Muani, der im Wochenrhythmus gerade seine eigenen Grenzen nach oben verschiebt.

Je ein Treffer in den Auswärtsspielen beim SC Freiburg und FC Bayern (1:1) folgten nun seine Bundesligatore acht und neun. Insofern kam neben den Lobeshymnen seines Trainers Oliver Glasner ("Er hat alles: Tempo, Leichtigkeit, Abschlussstärke, Selbstvertrauen") auch das Loblied der Kurve zum richtigen Zeitpunkt.

Der französische Weltmeisterschaftszweite beeindruckt im neuen Jahr mit größerer Effizienz als vor der WM-Pause. Dass sich bei ihm Geschwindigkeit und Geschmeidigkeit, Technik, Eleganz und Einsatz vereinen, ist hinlänglich bekannt. Allerdings schien nach seiner in letzter Minute des WM-Finals vergebenen Großchance gegen den auch deswegen zum besten WM-Torhüter gewählten Argentinier Emiliano Martínez lange nicht sicher zu sein, ob ihn diese Szene vielleicht zurückwerfen würde. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. "Natürlich war das ein Rückschlag", sagte Kolo Muani am Samstagabend, "aber es hat mir geholfen, stärker zu werden."

Hertha BSC legt über weite Strecken den nächsten trostlosen Auftritt hin

Der vor der Saison ablösefrei von FC Nantes in die Bundesliga gewechselte 24-Jährige gilt längst als Eintracht-Profi mit riesigem Renditeversprechen, doch möchte Sportvorstand Markus Krösche sein Sturmjuwel im Sommer noch gar nicht abgeben. Der von allen Seiten als bodenständig beschriebene Kolo Muani hat nun gerade seine Berateragentur MDC Advisors verlassen, um sich lieber von seiner Familie und Ex-Profi Moussa Sissoko (berät unter anderem Barcelona-Spieler Ousmane Dembélé) vertreten zu lassen. Dahinter müsse man nicht zu viel vermuten, erklärte er mit einem breiten Grinsen: "Ich habe jetzt die Familie, die sich um alles kümmert."

Für die Eintracht gab er abermals den Unterschiedsspieler. Erst holte er gegen den ungeschickten Filip Uremovic einen Strafstoß heraus, den er ähnlich sicher verwandelte wie seinen Versuch im Elfmeterschießen des WM-Endspiels. Zudem nutzte Frankfurts Nummer neun ein Zuspiel von Jesper Lindström kaltschnäuzig zur Entscheidung, ehe spät der aufgerückte Aurélio Buta den Endstand besorgte (90.+3).

Hertha-Coach Sandro Schwarz fahndete hinterher fast schon verzweifelt nach positiven Aspekten, was nach der vierten Niederlage nacheinander natürlich nicht leicht fiel. Über weite Strecken hatte sein Ensemble den nächsten trostlosen Auftritt hingelegt, der sich nahtlos in die Tristesse seit Restart fügte. Dass der blasse Neuzugang Florian Niederlechner später verriet, der Trainer habe in der Halbzeitpause an die Ehre der Spieler appelliert, sprach Bände. Der mit der Familie in Frankfurt beheimatete Fußballlehrer regte an, die erste Regel für den Abstiegskampf zu befolgen: "Du brauchst Ruhe im Verein."

Davon konnte in der Vorwoche nach der überraschenden Trennung vom glücklosen Geschäftsführer Fredi Bobic keine Rede sein, zumal der neue Sportliche Leiter Sebastian Winter ("Die Tage waren intensiv, schön und arbeitsreich, mit wenig Schlaf") auf dem Transfermarkt nicht so aktiv war wie manch Konkurrent im Tabellenkeller. Schwarz empfahl, "die wilde Woche" abzuhaken - und wieder eine "Riesenlust auf Leistung" im täglichen Miteinander zu entwickeln. Grundsätzlich werde er "die Qualität des Kaders nicht infrage stellen". Das alles klingt ja ehrenwert beim 44-Jährigen, doch in dieser biederen Verfassung wird der Berliner Sturzflug definitiv in die Zweitklassigkeit führen.

Das ahnte auch der nach seiner Einwechslung zum eigenen Unverständnis vom Eintracht-Anhang ausgepfiffene Kevin-Prince Boateng. "Es sind zu viele Spiele, aus denen wir nichts mitnehmen. Wir sitzen richtig in der Scheiße", sagte der Teilzeitarbeiter, der die Eintracht 2018 in seiner Heimatstadt zum Pokalsieg führe. Boateng appellierte eindringlich bei der Hertha daran, "jetzt nicht über den Trainer zu reden, sondern jeder Spieler muss selber in den Spiegel schauen". Von dem einen oder anderen Kollegen wünschte sich der 35-Jährige, "mehr Gas zu geben, mehr zu fighten". Er selbst, sagte Boateng, "schlafe nicht gut". Eigentlich hätte er auch gedacht, die vergangene Saison sei die schwierigste seiner bewegten Karriere gewesen. Das könnte sich noch als Irrtum erweisen. Für die Rettung in den verbleibenden 15 Spieltagen fiel ihm ansonsten nur folgendes noch ein: "Wer spielt, muss sein Leben geben!"

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