Frankfurt gegen Hoffenheim:Unerklärliche Pfiffe des Schiedsrichters

Eintracht Frankfurt - TSG 1899 Hoffenheim

Hatte nicht seinen besten Tag: Schiedsrichter Christian Dingert zeigt dem Frankfurter Timothy Chandler (nicht im Bild) die Rote Karte.

(Foto: Hasan Bratic/dpa)

Von Tobias Schächter, Frankfurt

Vielleicht muss man die Geschichte dieses hässlichen Nullnulls zwischen Eintracht Frankfurt und der TSG Hoffenheim mit der Größe von Schiedsrichter Christian Dingert beginnen. Hinterher, so erzählte es Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann, habe Dingert erklärt, an diesem Freitag keinen guten Tag gehabt zu haben. Es war ja sogar so: Dingert kann durchaus als schwächster Mann auf dem Platz bezeichnet werden. Er war mit seinen Fehlentscheidungen mitverantwortlich, dass aus einem Fußballspiel ein ätzender Hahnenkampf geworden war.

Wo er Härte hätte zeigen müssen, blieb Dingert nachsichtig, wo er Konzilianz hätte walten lassen müssen, reagierte er drakonisch. Die Spieler verloren wegen Dingerts indifferenter Spielführung immer mehr das Gefühl, wo für sie die Grenzen liegen. Hätte Dingert Eintracht-Spielmacher Marco Fabian nach einer knappen Viertelstunde Spielzeit mit der gelben Karte bestraft, nachdem der Mexikaner Hoffenheims Torwart Oliver Baumann mit einer langen Fluggrätsche spektakulär umgehauen hatte, um diesen am Abschlag zu hindern, hätte die spätere Eskalation womöglich verhindert werden können.

Aber Dingert pfiff nur Freistoß. Doch noch krasser falsch lag er in der 32. Minute: Der Frankfurter Abwehrspieler David Abraham rammte Hoffenheims Sandro Wagner seinen Ellenbogen in vollem Sprint und mit voller Wucht gegen den Kopf: Eine Aktion wie in einer Kneipenschlägerei, die klar hätte mit einer roten Karte für den Argentinier bestraft werden müssen. Das räumte auch Frankfurts Trainer Niko Kovac hinterher ein - es gab da keine zwei Meinungen. Doch Dingert entschied unerklärlicherweise auf Freistoß für Frankfurt.

"Er muss damit rechnen, dass er mal einen abkriegt!"

Die Brutalität der Aktion war außergewöhnlich und ungewohnt für den auf und neben dem Platz eigentlich als fair bekannten Abraham. Der 30-Jährige wechselte vor anderthalb Jahren von Baden nach Hessen, TSG-Trainer Nagelsmann sagte: "Wir alle kennen David als netten und guten Charakter. Aber ich wünsche ihm, dass er so etwas nie wieder macht."

Profis, so Nagelsmann, sollten auch immer an ihre Vorbildfunktion denken: Man müsse sich vorstellen, wie es wirken würde, wenn auf einem Marktplatz ein Mann auf einen anderen so losgehen würde wie Abraham auf Wagner in dieser Szene: "Diese Aktion war völliger Wahnsinn. Das war mit vollem Risiko ins Gesicht eines Menschen, nicht eines Spielers, geschlagen." Wagner erzählte nach dem Abpfiff, er habe geblutet und hörte noch immer ein Piepsen im Ohr. Der Mittelstürmer ist ein Spieler, der polarisiert, seine aggressive Spielweise provoziert Gegenspieler und gegnerische Fans, auch in Frankfurt war der 1,94 Meter große Profi der Buhmann der Eintracht-Fans. Alexander Meier ließ sich sogar zu dieser wahnwitzigen Aussage gegenüber Wagner hinreißen: "Wenn er so spielt, muss er auch damit rechnen, dass er mal einen abkriegt. Dann, glaube ich, hat jeder Verteidiger dazu auch das Recht."

Wagner spielte in Frankfurt nicht aggressiver als sonst. Dass er aber dennoch bis zur 88. Minute ohne gelbe Karte durchstand, war erstaunlich: Bei fast jedem Pfiff rannte er zu Dingert, manchmal mit 30 Metern Anlauf, um mit dem Schiedsrichter zu diskutieren. Das prangerte auch Eintracht-Trainer Kovac an. Wagner ist einer, der austeilt, der aber auch einstecken kann. Und selbst aus seiner Sicht, sei dieses Spiel "vielleicht zu hart" geführt worden.

Dass die Frankfurter ihren Auftritt an diesem Abend auch an der Spielweise von Wagner ausgerichtet hatten, deutet die Aussage von Torwart Lukas Hradecky an, der sagte: "Wir wussten, dass die diesen Wagner da vorne haben. Wir wollten zeigen, dass wir der Chef zuhause sind." Das ist legitim und die Frankfurter taten das leidenschaftlich und im Prinzip im Rahmen, für Abrahams Ausraster ist dieser selbst verantwortlich, niemand sonst.

"Mehr abgepfiffen als im Basketball"

Und dennoch: Die Frankfurter hatten am Ende 32 Fouls in der Statistik stehen, so viel wie nie zuvor in dieser Saison. Eintracht-Trainer Kovac monierte, dass zu viele Pipifax-Fouls, die gar keine Fouls gewesen seien, abgepfiffen worden seien: "Es wurde mehr abgepfiffen als im Basketball, das nutzen die Spieler aus."

Beide Trainer herrschen sich immer wieder an

Schiedsrichter Dingert hatte dieses Spiel nicht im Griff, wenigstens darin waren sich Hoffenheimer und Frankfurter einig. Ansonsten aber hatte die harte Partie offenbar Gräben aufgerissen. Alexander Rosen, Hoffenheims Manager, sagte: "Bei allen Emotionen: Es gehört sich, anständig zu sein. Von unserer Mannschaft ist das gewahrt worden." Auf Nachfrage, ob dies auch für den Gegner gelte, meinte Rosen: "Das überlasse ich Ihrer Interpretation." Übersetzt heißt das also: nein.

Die beiden Trainer herrschten sich auf dem Platz immer wieder an. Kovac kommentierte in Halbzeit zwei fast jeden Pfiff Dingerts mit ungläubigen Gesten der Ablehnung, das Publikum reagierte immer aggressiver auf den Schiedsrichter. Hinterher - und runtergekühlt von ihren Spin-Doktoren - waren die beiden Trainer bemüht, diplomatisch zu sein. Beide versicherten sich ihrer gegenseitigen Wertschätzung, Kovac zeigte sich sogar sicher, dass Hoffenheim am Ende der Saison unter den ersten Sechs der Tabelle landen werde.

Genervt reagierte Nagelsmann aber auf Fragen, ob Wagners Spielweise nicht vielleicht doch hie und da übertrieben sei: "Hut ab, wie besonnen Sandro reagierte, nachdem ihm mit 95 Stundenkilometer der Arm ins Gesicht gerammt worden ist." Auch Wagner strapazierte das Hut-ab-Bild, er sagte: "Hut ab vor dem Schiedsrichter, er hat mir Mitte der zweiten Halbzeit gesagt, er hätte früher Gelb geben müssen. Das ist stark, ein cooler Typ."

Hoffenheim spielt männlicher als sonst

Überhaupt gab sich Wagner auffällig nachsichtig. Nach einer Rudelbildung kurz vor Schluss zeigte Dingert überraschend Eintrachts Timothy Chandler die rote Karte, weil dieser Wagner an den Hals gefasst hatte. Wagner aber ergriff für Chandler Partei und meinte: Da sei nicht viel gewesen, er hoffe, der Spieler werde nicht lange gesperrt. Frankfurt gegen Hoffenheim, der Tabellenfünfte gegen den Tabellenvierten, - das war ein Spitzenspiel ohne spielerische Note. Aber es bewies auch, dass beide Teams nicht zu Unrecht dort stehen, wo sie stehen. "Letzte Saison hätten wir so ein Spiel noch verloren", sagte Nagelsmann: "Das ist amtlich."

Der Trainer sah in der Wehrhaftigkeit seiner Elf einen Entwicklungs-Fortschritt. Mehr Männlichkeit hat Nagelsmann von seinem Kader vor der Saison gefordert, weswegen er große, aggressive Spieler wie Wagner, Kevin Vogt oder Benjamin Hübner verpflichtete. Auch die Eintracht konnte diese TSG trotz einer klugen Taktik mit frühem Pressing nicht besiegen, Hoffenheim bleibt auch nach Spieltag 14 ungeschlagen. Vom Fastabsteiger zum Spitzenteam in Rekordzeit ist ja auch die Eintracht mutiert. Und sieht man einmal von Abrahams Irrsinn ab, so zeigte der Hahnenkampf vom Freitag vor allem eines: Es tut weh, gegen beide Mannschaften spielen zu müssen. Wer hätte das vor einem halben Jahr gedacht?

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