Frankfurt:Ein Lauf wie 1999

Trainer Kovac steht mit der Eintracht vor dem Klassenerhalt. Er hat dem Team Struktur gegeben.

Von Tobias Schächter, Frankfurt

Und dann wollte Niko Kovac noch unbedingt etwas loswerden. Es war dem Frankfurter Trainer wichtig, dem Dortmunder Kollegen Thomas Tuchel zu danken, dem er im BVB-Wintertrainingslager "zuschauen dufte". Nach seiner Entlassung als kroatischer Nationaltrainer befand sich Kovac im Januar auf Fortbildungsreise und hospitierte bei der Borussia. In Abu Dhabi traf er beim Testkick des BVB gegen Frankfurt auch den Eintracht-Sportdirektor Bruno Hübner. Vielleicht wäre Kovac sonst nie Trainer in Frankfurt geworden - und vielleicht hatte er in den Vereinigten Arabischen Emiraten auch Einblicke gewonnen, die nun entscheidend dafür waren, dass Kovac Tuchel 1:0 besiegte.

Ein Kraftakt war das für Frankfurt gegen die Dortmunder, die 76 Prozent Ballbesitz hatten. Aber die Elf mit 24 Prozent Ballguthaben schoss ein Tor mehr - auch deshalb, weil ein reguläres 1:1 von Mats Hummels wegen Abseits aberkannt wurde. Am Ende durfte der Mann mit den meisten Ballkontakten bei Frankfurt die aufopferungsvolle Defensivleistung mit Pathos beschreiben: "Wir haben uns das Herz herausgekämpft." Dass dieser Spieler mit 46 Ballberührungen Torwart Lukas Hradecky war, war eine Pointe im Siegesrausch.

Frankfurt feierte am Samstag den dritten Dreier in Serie nach den Derby-Erfolgen gegen Mainz (2:1) und in Darmstadt (2:1). Jetzt noch ein Remis im Showdown bei Werder Bremen - und die Eintracht bleibt erstklassig. Dass vor dem letzten Spieltag die Relegation das Worst-Case-Szenario ist, hätte vor zwei Wochen in Frankfurt kaum jemand für möglich gehalten, der Abstieg galt als unausweichlich.

Frankfurt-Boss Bruchhagen wird verabschiedet - Nachfolger könnte Fredi Bobic werden

Eintracht Frankfurt - Borussia Dortmund, Fussball, 1. Liga, 07.05.2016

Kopfball ins Glück: Stefan Aigners (li.) Tor gegen Dortmund nährt Frankfurts Hoffnungen auf den Liga-Verbleib.

(Foto: Eibner)

Aber dann schoss Änis Ben-Hatira dem Mainzer Bell den Ball an den Rücken und die Kugel flog zum 2:1 kurz vor Abpfiff ins Tor. Und beim Lauf, der danach folgte, erzielte plötzlich Stefan Aigner die Siegtore gegen Darmstadt und Dortmund (14.) - ein Spieler, der in dieser Saison bislang eher herumstolperte. Torwart Hradecky weiß: "Das Allerwichtigste war der Sieg gegen Mainz. Da haben wir gespürt, da geht noch was." Plötzlich gewinnt die Eintracht sogar ohne den verletzten Torjäger Alex Meier.

In acht Spielen seit der Entlassung von Armin Veh holte die Eintracht mit Niko Kovac zwölf Punkte. Und nun, in der entscheidenden Phase, gewinnt sie jene Spiele, die sie gewinnen muss. So wie 1999, als sie mit vier Siegen in den letzten vier Spielen den sicher geglaubten Abstieg verhindert hatte. Kovac hat seinen Profis die Bilder jener Aufholjagd jüngst im Eintracht-Museum als Motivationshilfe gezeigt, manchmal kann Tradition in der Krise auch beflügeln und nicht nur belasten: "Wir wandeln auf den Spuren der 99er", sagte Kovac jetzt.

Mit einfachen Mitteln und einem TaktikGrundkurs hat er es geschafft, die Spieler auf einen gemeinsamen Weg einzuschwören. "Er hat uns gut organisiert und füllt uns mit Energie", lobt Hradecky. Organisation und Kompaktheit sind zwei Vokabeln, die in jedem Gespräch über Kovac fallen. Diese Grundtugenden waren fast die ganze Saison vermisst worden in Frankfurt.

Kovac glaubt daran, dass sich "harte Arbeit" auszahlt und dass der Begriff "Wunder" in Anspielung auf 1999 deplatziert wäre. Mit dieser Einstellung hat er als Spieler beim FC Bayern einst mehr erreicht, als man ihm zutraute. Und so tickt er als Trainer. Seine Grundsätze klingen einfach, aber seine Spieler glauben, was "wir ihnen suggerieren". Zum Beispiel, dass sich "Hoffnung aus Arbeit generiert". Oder: "Ich verlange viel, aber ich gebe auch viel. Man muss die Dinge knallhart ansprechen."

„Endspiel“ in Bremen - Die Entscheidungen in der Fußball-Bundesliga

In der Fußball-Bundesliga sind die meisten großen Entscheidungen schon vor dem letzten Spieltag gefallen. Im Abstiegskampf sind noch die Plätze 15 bis 17 offen - im Zentrum dabei: das "Endspiel" am kommenden Samstag zwischen Eintracht Frankfurt und Werder Bremen.

Deutscher Meister: FC Bayern München.

Direkt-Qualifikation Champions League: FC Bayern, Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen.

Champions-League-Playoff: Borussia Mönchengladbach (vorbehaltlich extrem hoher Ergebnisse am letzten Spieltag - Gladbach hat drei Punkte und elf Tore Vorsprung auf Platz fünf).

Qualifikation Europa League: FSV Mainz 05, Hertha BSC, FC Schalke (Die Reihenfolge der Plätze 5 bis 7 entscheidet sich am letzten Spieltag. Wegen des Pokal-Endspiels FC Bayern gegen Dortmund genügt Platz 7 definitiv für die Teilnahme an der Qualifikation zur Europa League).

Abstieg in die 2. Liga: Hannover steht als Absteiger fest. Der VfB Stuttgart kann noch Platz 16 erreichen, wenn er am 34. Spieltag in Wolfsburg gewinnt und Bremen gegen Frankfurt verliert. Augsburg, der HSV, Darmstadt und Hoffenheim sind gerettet, weil sie auf jeden Fall Stuttgart sowie Frankfurt oder Bremen hinter sich lassen.

Aufstieg aus der 2. Liga: SC Freiburg und RB Leipzig steigen auf. Der 1. FC Nürnberg spielt in der Relegation.

Heribert Bruchhagen glaubt, die Willenskraft der Spieler sei entscheidend. Der Vorstandsvorsitzende der Eintracht geht nach zwölfeinhalb Jahren in Rente, am Samstag wurde der 67-Jährige verabschiedet. Ein Blumenstrauß und ein paar Worte von Vereinschef Peter Fischer - das war's. Bruchhagen wollte nicht mehr, er leidet sichtlich im Abstiegskampf. Er hat "die Eigendynamik des Misserfolgs" bei zwei Frankfurter Abstiegen miterlebt, "es gab tolle Zeiten, es gab schwere Zeiten", resümierte er lapidar. Einen direkten Abstieg zum Abschied hält selbst der notorische Realist Bruchhagen bei drei Punkten Vorsprung auf Stuttgart und dem sechs Tore besseren Torverhältnis für "nicht mehr wahrscheinlich. Wir haben mehr erreicht, als wir vor Wochen zu hoffen wagten".

In die Suche nach seinem Nachfolger ist er nicht eingebunden, aber die Zeichen verdichten sich, dass der ehemalige Stuttgarter Manager Fredi Bobic übernimmt. Bruchhagen hatte nach seinem letzten Liga-Heimspiel nur einen Wunsch: "Ich hoffe, wir sehen uns hier nie wieder", sagte er zu den Journalisten. Auf Relegationsspiele hat nicht nur Bruchhagen keine Lust. Aber Kovac war die Euphorie am Samstag fast zu groß, er mahnte: "Erst muss die letzte Schlacht geschlagen werden. Wir haben noch nichts erreicht." Stimmt schon: Absteigen kann die Eintracht noch immer.

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