Ringen ist ein Sport, der mitunter seine Reize versteckt. Was der Zuschauer oft sieht, sind zwei taktierende Gegner, die sich zwar sichtlich anstrengen und nach wenigen Sekunden heftig atmen und schwitzen, sich aber minutenlang nur an die Arme greifen, abrutschen, ins Leere fassen, es neu versuchen. Andererseits zeigt dieser Sport plötzlich wieder seine berauschende Seite, wie am Montag, in der Arena am Boulevard de Bercy in Paris.
Frank Stäbler, Ringer im griechisch-römischen Stil, fuchtelt nicht lange herum. Er liebt die Attacke und findet meist schnell den Weg durch die Arme des Gegners zum Griff. Im Finale der Weltmeisterschaft flog Demeu Schadrajew aus Kasachstan immer wieder auf die Matte, und auch dieses Bild wiederholte sich: Schadrajew an Stäblers Händen, zappelnd wie an einer Angel. Insgesamt war es ein langer Tag für Stäbler, mit vielen Würfen und zappelnder Beute, und am Ende stand für den Deutschen Ringer-Bund ein Erfolg, nach dem Beobachter historische Siegerlisten nach unten scrollen, um ihn einzuordnen.
In Rio ließen sich die Schmerzen nicht lindern
Der 28-jährige Stäbler, groß geworden auf einem Bauernhof in Musberg bei Stuttgart, ist in Paris Weltmeister geworden, zum zweiten Mal nach 2015. "Ich habe alles in die Waagschale geschmissen", sagte er später. "Er hat in jedem Kampf hier dominiert", sagte Bundestrainer Michael Carl. Weil Stäbler in Paris in einer anderen Gewichtsklasse antrat, ist er jetzt der erste Weltmeister in zwei Klassen. Zugleich hat die Trainingsgruppe um Trainer Carl am selben Abend noch eine Silbermedaille errungen. Denis Kudla aus Schifferstadt, der 22-jährige Olympia-Bronze-Gewinner von Rio, unterlag erst im Finale dem Türken Metehan Basar mit 1:2. Und am Dienstag komplettierte Pascal Eisele aus Fahrenbach mit Bronze (bis 80 kg) den Medaillensatz. Doch die große Geschichte schrieb eindeutig Frank Stäbler.
Ein paar Tage vor dem Abflug nach Paris hat er zu Hause in Musberg noch etwas ausgeholfen, denn das Heu musste ins Trockene, ehe der Regen kam. Ansonsten hat er trainiert und sein Bein getaped. Ringen ist Körperbeherrschung - kontrolliert werden müssen Kraft, Technik, Gewicht und, man muss das etwas drastisch sagen, auch der Schmerz. Ringer tragen als Körperkontakt-Sportler oft kleinere und mittelschwere Verletzungen mit sich herum. Frank Stäbler sagt, manche seien gut mit Klebeband stabilisierbar, andere weniger. Der zunächst verheilte, aber im Juni wieder aufgebrochene Innenbandriss im Knie "ist gut tapebar", sagt er. Ganz anders als der Syndesmoseband-Riss vor einem Jahr in Rio - da ließ sich der Schmerz nicht abbinden. Vier Jahre Olympiavorbereitung waren in einer Erstrundenniederlage verpufft.
Doch Stäbler nimmt so einen Rückschlag vielleicht als Ansporn. Er hat sein Leben rund um das Ringen und um seinen Heimatort aufgebaut, er trainierte in seiner Halle in Musberg auch dann weiter, als es mal Konflikte mit Kluboberen gab. Er ist einer, der seinen zurzeit etwas versteckten Sport liebt und der sich von der Aussicht auf eine etwas versteckte Weltpremiere in seinem Sport animieren lässt, von zwei Greco-Titeln in zwei Klassen.