Frank Stäbler bei der Ringer-WM:Der Siegertyp aus dem Heu

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Projekt Double: In Paris wird Frank Stäbler 2017 zum zweiten Mal Weltmeister. Nun trainiert er für die WM 2019 und Olympia in Tokio 2020. (Foto: Bertrand Guay/AFP)
  • Ringer Frank Stäbler wird in Paris Weltmeister, zum zweiten Mal nacheinander. Denis Kudla gewinnt Silber.
  • Zwei WM-Medaillen - das gab es im Greco-Ringen zuletzt vor 23 Jahren.
  • Damit der Sport vor dem IOC moderner und schlanker dasteht und nicht aus dem Programm fliegt, gibt es demnächst weniger Gewichtsklassen. Das hat Folgen für die Athleten.

Von Volker Kreisl, Paris/München

Ringen ist ein Sport, der mitunter seine Reize versteckt. Was der Zuschauer oft sieht, sind zwei taktierende Gegner, die sich zwar sichtlich anstrengen und nach wenigen Sekunden heftig atmen und schwitzen, sich aber minutenlang nur an die Arme greifen, abrutschen, ins Leere fassen, es neu versuchen. Andererseits zeigt dieser Sport plötzlich wieder seine berauschende Seite, wie am Montag, in der Arena am Boulevard de Bercy in Paris.

Frank Stäbler, Ringer im griechisch-römischen Stil, fuchtelt nicht lange herum. Er liebt die Attacke und findet meist schnell den Weg durch die Arme des Gegners zum Griff. Im Finale der Weltmeisterschaft flog Demeu Schadrajew aus Kasachstan immer wieder auf die Matte, und auch dieses Bild wiederholte sich: Schadrajew an Stäblers Händen, zappelnd wie an einer Angel. Insgesamt war es ein langer Tag für Stäbler, mit vielen Würfen und zappelnder Beute, und am Ende stand für den Deutschen Ringer-Bund ein Erfolg, nach dem Beobachter historische Siegerlisten nach unten scrollen, um ihn einzuordnen.

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In Rio ließen sich die Schmerzen nicht lindern

Der 28-jährige Stäbler, groß geworden auf einem Bauernhof in Musberg bei Stuttgart, ist in Paris Weltmeister geworden, zum zweiten Mal nach 2015. "Ich habe alles in die Waagschale geschmissen", sagte er später. "Er hat in jedem Kampf hier dominiert", sagte Bundestrainer Michael Carl. Weil Stäbler in Paris in einer anderen Gewichtsklasse antrat, ist er jetzt der erste Weltmeister in zwei Klassen. Zugleich hat die Trainingsgruppe um Trainer Carl am selben Abend noch eine Silbermedaille errungen. Denis Kudla aus Schifferstadt, der 22-jährige Olympia-Bronze-Gewinner von Rio, unterlag erst im Finale dem Türken Metehan Basar mit 1:2. Und am Dienstag komplettierte Pascal Eisele aus Fahrenbach mit Bronze (bis 80 kg) den Medaillensatz. Doch die große Geschichte schrieb eindeutig Frank Stäbler.

Ein paar Tage vor dem Abflug nach Paris hat er zu Hause in Musberg noch etwas ausgeholfen, denn das Heu musste ins Trockene, ehe der Regen kam. Ansonsten hat er trainiert und sein Bein getaped. Ringen ist Körperbeherrschung - kontrolliert werden müssen Kraft, Technik, Gewicht und, man muss das etwas drastisch sagen, auch der Schmerz. Ringer tragen als Körperkontakt-Sportler oft kleinere und mittelschwere Verletzungen mit sich herum. Frank Stäbler sagt, manche seien gut mit Klebeband stabilisierbar, andere weniger. Der zunächst verheilte, aber im Juni wieder aufgebrochene Innenbandriss im Knie "ist gut tapebar", sagt er. Ganz anders als der Syndesmoseband-Riss vor einem Jahr in Rio - da ließ sich der Schmerz nicht abbinden. Vier Jahre Olympiavorbereitung waren in einer Erstrundenniederlage verpufft.

Doch Stäbler nimmt so einen Rückschlag vielleicht als Ansporn. Er hat sein Leben rund um das Ringen und um seinen Heimatort aufgebaut, er trainierte in seiner Halle in Musberg auch dann weiter, als es mal Konflikte mit Kluboberen gab. Er ist einer, der seinen zurzeit etwas versteckten Sport liebt und der sich von der Aussicht auf eine etwas versteckte Weltpremiere in seinem Sport animieren lässt, von zwei Greco-Titeln in zwei Klassen.

Nachdem er sich ums Heu gekümmert hatte, begann der Hauptteil der WM-Vorbereitung, den alle Ringer über sich ergehen lassen, und den Stäbler manchmal hasst: das Abkochen, also das Gewichtmachen. Wie in jeder Zweikampf-Sportart traten auch Ringer schon immer in Gewichtsklassen an und nahmen dafür in körperverträglicher Weise maßvoll ab. Weil aber der Weltverband UWW 2013 die Klassen neu geordnet hat, damit der Sport vor dem IOC moderner und schlanker dasteht und nicht aus dem Programm fliegt, gibt es bei Olympia fortan nur noch sechs statt zehn Klassen, die nun jeweils zehn Kilo umfassen.

Die Folgen sind kompliziert, verkürzt gesagt muss Stäbler von seinem Normalgewicht seitdem neun Kilo auf höchstens 66 Kilo abschwitzen, weil abruptes Anfressen, um nach oben zu kommen, noch ungesünder ist. Die UWW entscheidet in Paris, ob dieser Zustand geändert wird, Stäbler hatte schon lange zuvor entschieden, dass er hier in der ihm fremden Klasse bis 71 Kilogramm antritt, auch wenn diese nicht mehr olympisch ist.

Das Abkochen, nur noch vier Kilo, ging somit schnell, am Montag musste er dann aber einen zusätzlichen Qualifikationskampf bestreiten, weil er ja Neuling ist unter den 71-ern. Sechs Kämpfe waren es insgesamt und bis zum Schluss blieb er kompromisslos in seinen Attacken. Immer war Stäbler der Aktivere, punktete durch Technik, über den ganzen Tag kassierte er nur einen Strafpunkt wegen Passivität; die meisten sammeln mehr in einem einzigen Kampf. Auf dem Weg zu Gold bezwang er einen Weltmeister, einen WM-Zweiten, einen Asienspiele-Sieger und einen weiteren WM-Zweiten. Verloren hat er an diesem anstrengenden Montag nur Flüssigkeit. Aber die grob acht Liter Wasser konnte er ja immer gleich wieder nachfüllen.

Michael Carl würde sich sehr wünschen, dass eine Weltmeisterschaft wie die in Paris auch mal in Deutschland stattfindet. Doch ein Sport wie das Ringen braucht ein "Aushängeschild", sagt Carl. Leute, die den Schülern beweisen, dass sich dieser Sport lohnt, auch wenn er auf den ersten Blick schwer verstehbar ist und sich oft im Versteckten abspielt, mit anstrengender Trainingsarbeit in kleinen Hallen in der Provinz. Mit den Medaillengewinnern von Paris hat der Bundestrainer jetzt sogar zwei solcher Werbefiguren.

© SZ vom 23.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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