Franck Ribéry ist Europas Fußballer des Jahres:Chapeau, Monsieur!

Franck Ribéry hat gelernt, den Anarchismus seines Spiels in das Kollektiv einer Mannschaft einzuordnen. Auch deshalb ist der Flügelspieler des FC Bayern zu Europas bestem Fußballer der Saison 2012/13 gewählt worden.

Von Benedikt Warmbrunn

Sie ist unfassbar silbern, die neue Trophäe. Sie stellt den Betrachter bei der Erstbeschau durchaus vor ästhetische Rätsel, sieht sie doch aus wie das überdimensionierte Flakon eines Herrenparfüms. Aber für solche Spitzfindigkeiten war wenig Platz im allgemeinen Trubel, den Franck Ribéry ausgelöst hatte. Tagelang wurde darüber gesprochen, ob er diese silberne Trikotstatue verdient habe - die meisten meinten: sogar sehr. Irgendwann war die Diskussion derart angeschwollen, dass sich Sepp Blatter einschaltete, der Präsident des Weltverbandes Fifa nannte Ribéry "fußballerisch eine Kanone". Alle wirkten furchtbar aufgeregt.

Verliehen wird die Trikotstatue an den Sieger des "Uefa Best Player in Europe Award". Nach einer Vorauswahl waren drei Kandidaten geblieben, und so saßen am Donnerstag 52 Journalisten im Grimaldi-Forum in Monaco, sie durften einen Knopf drücken, die 1 für Lionel Messi, die 2 für Franck Ribéry, die 3 für Cristiano Ronaldo.

Dann wurde Ribéry auf die Bühne gerufen, ein paar Fragen, ein paar Antworten, er wippte vor, wippte zurück. Auch er wirkte furchtbar aufgeregt. Selbst um 18.57 Uhr noch, als er die Trikotstatue in seinen Händen hielt. 36 Journalisten hatten für ihn gestimmt, 13 für Messi, drei für Ronaldo. Ribéry lächelte, "sehr, sehr schön" sei die Ehrung, "ein sehr spezieller Moment". Dann dankte er allen Mitspielern, den Fans, seiner Familie, seiner Frau.

Alle im Saal applaudierten, auch Messi, die Tormaschine aus Barcelona (60 Tore in 50 Spielen, aber nur ein Titelgewinn in der vergangenen Saison; die spanische Meisterschaft). Nur Ronaldo jubelte nicht, die Tormaschine aus Madrid (55 Tore in 55 Spielen, kein Titel) war erst gar nicht angereist. Messi und das Publikum applaudierten weniger einem Toresammler, mehr einem Titelsammler, der mit dem FC Bayern in einer Saison Meisterschaft, Pokal und Champions League gewann. Das Triple! Und sie applaudierten einem Anarchisten, der spät verstanden hat, was es bringen kann, sich ins Kollektiv einzuordnen.

Das Spiel von Franck Ribéry war schon immer ein Faszinosum. Sein Antritt, die abrupten Haken, bei denen der Ball dennoch gehorcht - der Flügelstürmer gleitet durch Lücken in der gegnerischen Defensive, die er selbst erst öffnet, wie ein Hai, der einen Schwarm von Anemonenfischen auseinander treibt. Es ist ein Stil, der Spiele entscheiden kann. Es ist aber auch ein Stil, von dem eine Mannschaft abhängig werden kann. Dass Ribéry nun mit der Trophäe auf der Bühne stehen durfte, hat viel damit zu tun, dass er das Spiel verstanden hat: die Mannschaft braucht ihn, er braucht die Mannschaft, die Abhängigkeit ist beidseitig.

Heynckes' Fürsorge

Messi gilt für viele als der beste Einzelspieler, Ronaldo als die beste One-Man-Show - dass Ribéry die Auszeichnung gewonnen hat, ist ein Mannschaftserfolg des FC Bayern. Bei der Wahl zu Deutschlands "Fußballer des Jahres" hatte noch Bastian Schweinsteiger gewonnen, auch er hätte sich über eine Ehrung in Monaco gefreut, ebenso wie Philipp Lahm oder Arjen Robben. Und so feierten die Mitspieler die Trophäe, als wäre es eine weitere für das Team. "Er hat es sich verdient, er hat eine geile Saison gespielt", sagte Thomas Müller dem klubeigenen Fernsehsender.

In den Tagen vor der Wahl wurde immer wieder auf Ribérys Lebensweg verwiesen, auf all die Schicksals- und Rückschläge, die ihn vom Rest der Gesellschaft wegtrieben. Auf seine turbulente Kindheit in der nordfranzösischen Arbeiterstadt Boulogne-sur-Mer. Auf den Autounfall, bei dem er sich als Zweijähriger so schwer verletzte, dass eine Narbe seine rechte Gesichtshälfte kennzeichnet. Auf die ersten Jahre als Fußballer, als er mickrig bezahlt wurde. Auf seine Rolle während des Aufstands der französischen Nationalmannschaft bei der WM 2010 in Südafrika, als Ribéry ein Anführer jener Fraktion war, die gegen Nationaltrainer Raymond Domenech rebellierte. Episoden aus dem Leben eines Profis, der sich ungern unterordnen will.

Auch München schien nach seinem Wechsel 2007 zum FC Bayern erst einmal eine weitere Station von vielen zu sein. Ribéry lobte die spanische Sonne, unter der Real Madrid trainiert. Inzwischen sagt der Franzose, er fühle sich "wie ein Bayer".

Dazu trugt sicher auch bei, dass der Klub sich zu ihm bekannte, obwohl ihm der Prozess gemacht wurde. Kurz vor der WM 2010 war herausgekommen, dass Ribéry mit einer minderjährigen Prostituierten Kontakt hatte, er beteuerte, nicht gewusst zu haben, dass sie erst 17 war. In Frankreich wurde er verdammt, in Spanien verlor Real Madrid das Interesse. In München lud Uli Hoeneß Ribéry zur Aussprache an den Tegernsee. Nach dem verlorenen Champions-League-Finale gegen Inter Mailand sagte er auf dem Marienplatz: "Isch 'abe gemacht fünf Jahre mehr." Vertragsverlängerung. Tausende jubelten.

In den vergangenen beiden Spielzeiten fand er dann in Jupp Heynckes einen Trainer, der erkannte, dass Ribéry besondere Fürsorge benötigt. Und Ribéry erkannte, dass seine Improvisationskunst am besten funktioniert, wenn er sie in ein taktisches Gerüst einordnet. Er erkannte sogar, dass es nicht schadet, mit nach hinten zu arbeiten. Es ist eine Professionalität, die Ribéry auch unter dem neuen Trainer Pep Guardiola behalten hat. In den ersten Spielen der neuen Saison blieb er der überragende Akteur, der Titelsammler ist nimmersatt geworden: An diesem Freitag könnte er den europäischen Supercup hinzufügen.

Und dann folgt zum Jahreswechsel die Wahl zum Weltfußballer 2013. Es geht darum, wer der beste Spieler des Jahres war, und um einen Ball, der unfassbar golden ist. Ribéry ist jetzt der Favorit. Aber auch Messi will seine Chance nutzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: