Francesco Totti:Ehrliche Memoiren eines Gladiatoren

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Wechsel vom Spielfeld auf die Autorenbühne: Francesco Totti stellt seine Autobiografie im Kolosseum in Rom vor. (Foto: imago/Insidefoto)

"Ich habe null Bücher gelesen, das hier ist das erste": Der ewige Roma-Capitano Francesco Totti stellt im Kolosseum seine Autobiografie vor. Ortsbesuch bei einem, der vor allem eines verkörpert: Viel Liebe.

Von Birgit Schönau, Rom

Wenn der achte König von Rom zur Geburtstagsfeier einlädt, dann kann die nur im Kolosseum stattfinden. Das Amphitheater der Flavier, im Jahre 80 von Titus mit 100-tägigem Spektakel eröffnet, ist das berühmteste antike Monument der Welt, ein Symbol der Ewigen Stadt, wie Francesco Totti.

Ein Vierteljahrhundert hat Totti für die Roma gespielt, die meiste Zeit als Kapitän. An diesem Donnerstag wird er 42. Zur Feier des Tages trägt er einen schwarzen Anzug, was ihn noch statuenhafter erscheinen lässt. Zur "Ikone der Neoklassik" erhebt ihn denn auch tatsächlich die Direktorin von Kolosseum und Forum Romanum, eine gestandene Archäologin, bei der Begrüßung der Gäste. Totti selbst sieht sich als Nachfahre der Gladiatoren.

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"Die riskierten ihr Leben, wir Fußballer nur unsere Beine", sagt er, das Prinzip aber sei ähnlich. Im Falle von Verletzung oder Tod der Kämpfer verlangten ihre Agenten horrenden Schadenersatz. Totti liebt den Film "Gladiator" von Ridley Scott. Der italienische Synchronsprecher des Protagonisten darf nun aus seinem Buch vorlesen.

Es gibt hier nämlich eine Buchvorstellung. "Ich habe null Bücher gelesen, das hier ist das erste", verkündet prustend der Held, vermutlich ist das nur leicht untertrieben. Tottis Autobiografie heißt "Un capitano", ein Kapitän, verfasst hat sie der Journalist Paolo Condò, der nun neben dem letzten Gladiator auf der Bühne sitzt, im Parterre der Arena mit ihren einst 70 000 Plätzen. Im Laufe des Abends werden sich Freunde und Weggefährten dazugesellen, wobei interessant ist, wer dabei ist - und noch interessanter, wer nicht.

Nur 200 Gäste sind geladen, der Dresscode ist smart casual.

Viele fehlen bei der Buchvorstellung

Die Säulen der römischen Gesellschaft fehlen ebenso wie die meisten Spieler der Roma und der amerikanische Klubpräsident. Dafür ist die Familie vollständig vertreten, jene Gens Totti, die in der Augen der Römer der alten Cäsar-Augustus-Sippe den Rang abgelaufen hat. Oberhaupt ist Mamma Fiorella, die nun würdig in der ersten Reihe thront, neben sich den unscheinbaren Papa Enzo. Und dann sind da noch in einem erbsengrünen Kleid die blonde Ehefrau Ilary und die drei noch blonderen Kinder.

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Daniele De Rossi ist gekommen, der amtierende Roma-Kapitän. "Wenn die Leute im Stadion singen: Es gibt nur einen capitano, dann weiß ich, dass ich nicht gemeint bin", sagt De Rossi. Es sei schon eine ungeheure Last, der Erste n. T. zu sein, nach Totti. Marco Materazzi ist da, der Kumpel aus der Squadra Azzurra. Und natürlich Marcello Lippi, der Weltmeistercoach, seine Trainerkollegen Cesare Prandelli und Claudio Ranieri, sowie Antonio Cassano, der Torschütze im EM-Halbfinale 2012 gegen Deutschland. Und als einziger Ausländer weit und breit der Franzose Vincent Candela. "Kommst du vom Kegeln?", wird er von Totti begrüßt, der kichernd auf die rosa-orangenen Turnschuhe deutet, die Candela zum Anzug kombiniert. "Oder wieso ziehst du solche Treter an?"

Die Stimmung ist also familiär. Nur einmal geht die Temperatur gegen den Gefrierpunkt, als die römische Bürgermeisterin Virginia Raggi von der Regierungspartei Fünf Sterne sich allzu schwungvoll an den Kapitän heranschmeißt. "Siezen wir uns jetzt?" fragt Raggi auf dem Podium - sie will herausstreichen, dass sie dem Idol doch eigentlich viel näher sei. Totti verzieht keine Miene und bleibt weiter beim Sie. Auch, als Raggi gesteht, ihr Ehemann habe vergebens versucht, ihr die Abseitsregel zu erklären. Da gehen bei den Frauen des Totti-Clans die Augenbrauen nach oben, und das Publikum unterdrückt ein Stöhnen. Kann jemand, für den schon das Abseits zu hoch ist, Rom regieren?

Umso herzlicher wird Walter Veltroni empfangen, der auch mal Bürgermeister war, Parteivorsitzender der Linksdemokraten und Kulturminister. Ilary küsst ihn demonstrativ, und Totti duzt ihn natürlich, dabei ist Veltroni Juventus-Fan.

Stets haben sich Politiker um ihn bemüht, alle wollten sie profitieren von seiner Popularität. Die nutzt er durchaus, allerdings nicht für Parteien. Zum Weltflüchtlingstag ließ sich Totti kürzlich mit dem Schild "Für Flüchtlinge" fotografieren, als einziger Fußballer neben Ex-Juve-Mann Claudio Marchisio. Eine klare Stellungnahme in Zeiten, da Italien täglich weiter nach rechts außen rückt und die Hetze gegen Flüchtlinge die vorrangige Beschäftigung vieler Regierungspolitiker ist.

Totti ist derart beliebt, dass ihm bei Auswärtsspielen die gegnerischen Fans ihre Kinder über die Tribünengitter reichen, für ein Foto. "Letzten Sonntag ist mir das in Bologna passiert, dabei verlor die Roma dort 0:2!" Für Totti blieb ein schon entlassener Häftling freiwillig eine Woche länger im Gefängnis, weil er den Besuch des capitano nicht verpassen wollte.

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Für Totti versuchten einst 5000 Fans, in ein Restaurant zu drängen, das der Spieler durch den Hinterausgang verließ, um sich in einen angrenzenden Klostergarten zu flüchten. Noch immer ist Totti, inzwischen im Roma-Management tätig, in Rom ein mächtiger Mann. Eine Studie hat ergeben, dass gut die Hälfte der Römer Totti-Kombinationen für ihre Internet-Passwörter benutzt, die Trikotnummer, den Geburtstag oder seine zahlreichen Kosenamen. In ihrer abgöttischen Liebe zu diesem Mann sind die Leute hoch irrational und gleichzeitig berechenbar.

Tottis Buch war noch nicht erschienen, da kündigte ein Berater des Roma-Präsidenten seinen Rücktritt an: Der Kapitän hatte ihn in seinen Memoiren bezichtigt, das vorzeitige Ende seiner aktiven Laufbahn betrieben zu haben. Vorzeitig mit noch nicht einmal 41! Im Buch rechnet Totti auch mit seinem ehemaligen Trainer Luciano Spalletti ab (nicht eingeladen) und berichtet, dass nur der massive Einsatz von vier Teamkollegen ihn davon abgehalten habe, sich mit dem heutigen Inter-Coach zu prügeln.

Es sind bemerkenswert ehrliche Memoiren, Totti kann sich das leisten. Viele Seiten widmet er der zweifachen Abfuhr für Real Madrid ("Wie sollte ich das meiner Mamma sagen?"), aber auch der berüchtigten Spuckattacke gegen den Dänen Christian Poulsen bei der EM 2004. Das, so Totti, sei die Episode, für die er sich am meisten schäme. Das Trikot aus dem Poulsen-Spiel stiftete er der Madonna del Divino Amore, einer Wallfahrtskirche auf dem Weg zum Weinort Frascati. Seither weiß man nicht genau, ob die Pilger zur Muttergottes wollen oder zum Büßerhemd.

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Nach 90 Minuten plus Nachspielzeit ist der Abend vorbei. Vor dem Kolosseum haben sich zum Geburtstagsständchen die Fans versammelt. Für Totti sind Roms Buchhandlungen bis zwei Uhr morgens geöffnet, Schlangen bilden sich davor. Der Erlös aus dem Verkauf geht an das Kinderkrankenhaus Bambin Gesù und in die Restaurierung von Statuen auf dem Palatin. Der Kapitän und seine Stadt - eine Geschichte für die Ewigkeit.

© SZ vom 29.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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