Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie "Die besten Sportfilme", Platz 18:Wenn der Mäzen immer unheimlicher wird

Im Psychodrama "Foxcatcher" zieht Mark Schultz, Olympiasieger im Ringen, auf die Ranch eines Multimillionärs. Die Hoffnung: beste Trainingsbedingungen. Doch der Gönner wird zunehmend bedrohlich.

Von Anna Dreher

Sportfilme haben es von Natur aus schwer: Der geneigte Sportfan erkennt sofort, dass selbst begnadete Schauspieler nicht zwingend Topathleten sind und Topathleten noch seltener begnadete Darsteller. Doch in den vergangenen Jahren ist die Auswahl gelungener Filme immer größer geworden: Die SZ-Sportredaktion stellt 22 von ihnen vor und kürt damit die - höchst subjektiven - 22 besten. Diesmal Platz 18: "Foxcatcher".

Und dann sitzt Mark Schultz auf dem Bett seines Hotelzimmers und frisst. Gerade hat er sich erst selbst ins Gesicht geschlagen und dann die Garnitur verwüstet, zertrümmert aus Frustration und Wut. Und weil das nicht gereicht hat, geht die Selbstbestrafung weiter. Er stopft alles in sich hinein, was er sich vom Zimmerservice liefern lassen konnte: Gegrillte Hähnchenkeule, Kekse - ganz egal, Hauptsache Essen.

Dabei sollte er genau das gerade jetzt nicht tun. Schultz hat den ersten Kampf für die Qualifikation zu den Olympischen Spielen 1988 in Seoul verloren. Zwei Chancen bleiben ihm noch bei diesem Wettbewerb. Aber es ist alles außer Kontrolle geraten, und spätestens bei dieser Niederlage hat Schultz das auch begriffen. Er wollte die Qualifikation alleine schaffen, ohne die Hilfe seines älteren Bruders Dave, der ihn quasi großgezogen hat und so wichtig in seinem Leben geworden ist, dass Mark sich erdrückt fühlt. Alles, was er erreiche, so formuliert Mark es zu Beginn des Films, werde seinem Bruder zugerechnet. Dabei sind sie doch beide 1984 in den USA Olympiasieger im Ringen geworden.

Aus dieser Emotion heraus wählt Mark Schultz in den 1980ern einen Weg, der sein Leben und das Leben seines Bruders völlig verändern wird. Regisseur Bennett Miller erzählt diese skurrile, tragische, wahre Geschichte im Psychodrama "Foxcatcher" 2014 mit einem extrem feinen Gefühl für Atmosphäre und einer großen Nähe zu den herausragend dargestellten Figuren. Der amerikanische Filmemacher, der in "Capote" Philip Seymour Hoffman zu einem Oscar dirigiert hatte und 2011 in "Moneyball" auch dank der Hilfe von Brad Pitt die US-Baseballliga messerscharf seziert hatte, beweist hier erneut, dass er sich bei der Annäherung an wahre Charaktere nicht von ihrer komplexen Psyche einschüchtern lässt. Auch wenn dies das Zuschauen bisweilen zu einer beklemmenden Angelegenheit macht.

Der Anruf eines Mannes, über den Mark Schultz bis dahin nichts wusste

Nach dem Gewinn von olympischem Gold bleibt beiden Brüdern nicht viel von ihrem Ruhm. Dave (Mark Ruffalo) arbeitet als Coach, Mark (Channing Tatum) hält sich mit Vorträgen an Schulen über Wasser und trainiert viel. In seiner Wohnung und in seinem Alltag sind die Medaillen und Pokale das Einzige, was glänzt. Tristesse ohne Ausweg, bis er angerufen wird von einem Mann, über den er bis dahin nichts wusste: John du Pont, Multimillionär aus der Gründerfamilie eines der größten Chemiekonzerne der Welt und begeisterter Sport(ler)-Förderer. Dieser lädt Mark auf sein weitläufiges Anwesen in Pennsylvania ein. Er hat auf seiner "Foxcatcher"-Ranch eine moderne Trainingshalle aufgebaut und will die beiden Schultz-Brüder für sich gewinnen. Sie sollen sich unter besten Bedingungen auf die WM und Olympia 1988 vorbereiten, als Aushängeschilder, mit der gesamten Ringer-Nationalmannschaft der USA.

Du Pont selbst wäre gern erfolgreicher Sportler geworden, das Talent aber reichte nicht aus, und so will er nun mit der Förderung anderer Ruhm und Respekt erlangen. Anerkennung ist ihm vor allem von seiner Mutter stets verwehrt geblieben. Mit dem Aufbau des Foxcatcher-Teams will er sich beweisen: "Ich führe Männer an. Ich trainiere sie. Ich gebe ihnen einen Traum und Amerika Hoffnung", sagt er ihr. Du Pont leidet an einem Minderwertigkeitskomplex, kombiniert mit einem egozentrischen Wesen. "Er war launisch und meistens betrunken oder auf Drogen. Nichts, was er sagte, machte irgendwie Sinn", hat der echte Mark Schultz später in einem Interview gesagt. Und: "Alles an ihm war versponnen." Nur: So richtig merken die Schultz-Brüder das erst später. Zu spät.

Mark schließt sich dem Projekt zunächst alleine an. Er gewinnt die WM 1987. "Ohne Ihren Bruder können Sie alles erreichen", sagt du Pont danach - genau das, was Mark hören will. Das auf finanzieller Abhängigkeit basierende große Machtgefälle bleibt, ein emotional höchst ungesundes, leicht aggressives Freundschaftsverhältnis kommt hinzu. Sie trinken zusammen, koksen zusammen und Mark bringt du Pont das Ringen bei. Wobei sich der Mäzen als großer Sportler und Trainer inszeniert sowie als Vaterfigur und Mentor für Mark sieht. Alles daran ist grotesk. Und John du Pont wird zunehmend unheimlich und bedrohlich. (Der vor allem aus Komödien bekannte Steve Carell spielt ihn grandios doppelbödig - er bescherte dem Film eine von fünf Oscar-Nominierungen.)

Als Dave als Trainer auf die Foxcatcher-Farm zieht - teils aus Sorge um seinen Bruder, teils wegen des guten Angebots -, herrscht eine permanente Spannung zwischen ihm, Mark und du Pont. Mark zieht sich zurück, trainiert allein, bis er sich nach dem Fiasko zum Auftakt des Olympia-Qualifikationswettbewerbs wieder Dave zuwendet und schließlich loslöst von du Pont. Dass sein Schützling, den er als sein Eigentum betrachtet, wegzieht, gefällt du Pont ganz und gar nicht. Sein Gefühl der Machtlosigkeit führt zu einem unvorhersehbaren Ende.

"Foxcatcher", 2014, Regie Bennett Miller

Bereits erschienene Rezensionen:

Platz 22: "Free Solo"

Platz 21: "Rush"

Platz 20: "Die nackte Kanone"

Platz 19: "Slap Shot"

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