Biathlon:Umarmungen und ein Sieg zum Abschied

Biathlon: Gewinnt das letzte Rennen seiner Karrire: Martin Fourcade

Gewinnt das letzte Rennen seiner Karrire: Martin Fourcade

(Foto: Jussi Nukari/AFP)
  • Biathlet Martin Fourcade hat sein letztes Rennen bestritten - und das ohne Zuschauer.
  • In der Verfolgung von Kontiolahti feierte er seinen 79. Weltcupsieg, die Gesamtwertung entschied aber Johannes Thingnes Bö für sich.
  • Ein Jahrzehnt lang hat sich Fourcade zu einem der besten Biathleten der Geschichte entwickelt.
  • Auch mit seiner Meinungsstärke prägte er seinen Sport.

Von Saskia Aleythe

Seine Gefühle hat Martin Fourcade zuletzt voll ausgelebt, am vorletzten Tag der Biathlon-WM in Antholz hing der Olympiasieger schluchzend über einer Bande, minutenlang. 19 Jahre lang hatte die französische Mannschaft darauf gewartet, wieder Staffel-Gold zu gewinnen, als das gelang, brach Fourcade beim späteren Sieger-Interview mit dem Sender L'Équipe in Tränen aus. Es war der Moment, als dem 31-Jährigen bewusst wurde, dass sein Leben nun eine Abzweigung macht, weg von den Loipen der Biathlon-Welt.

"Da wusste ich, dass sich ein Kreis schließt", sagte Fourcade nun am Freitag in einem Interview mit dem TV-Sender; dieses Staffel-Gold hatte ihm noch gefehlt in seiner üppigen Titelsammlung. Und man konnte nochmal an die Anekdote denken, die er nach dem Rennen erzählte: Wie er als 12-Jähriger mit seinen Eltern vorm Fernseher gehangen hatte, Videotext lesend, Live-Bilder vom Biathlon habe es damals im französischen Fernsehen nicht gegeben. Wer so in Erinnerungen schwelgt, der ist mit seinen Gedanken manchmal schon in der Zukunft.

Am Samstag ist Fourcade zum letzten Mal über die Ziellinie gerutscht, in der Verfolgung von Kontiolahti, vor leeren Rängen aufgrund des Coronavirus. Seine große Karriere endete auf die einzig logische Weise: Mit einem Sieg. Es war sein 79. Erfolg im Weltcup, die Gesamtwertung entschied aber Norwegens Johannes Thingnes Bö für sich, Platz vier reichte ihm dazu. Bö ist der neue Mann der Superlative. Im Zielbereich gab es statt laut jubelnder Fans viele Umarmungen zwischen Fourcade und der Konkurrenz, Teamkollegen gönnten ihm eine Champagner-Dusche, das hat man im Biathlon auch eher selten gesehen.

Fourcade hat dem Sport zu einer enormen Popularität verholfen, nicht nur in Frankreich. "Ich habe viel geweint, als ich diese Mitteilung geschrieben habe", sagte er L'Équipe, in den sozialen Netzwerken verbreitete er am Freitagabend seinen Entschluss. "Mein Wille, das Beste zu geben und Berge zu versetzen, ist immer noch vorhanden", schrieb er, aber er möchte jetzt wachsen, "als Mann, als Vater", dem Sport erhalten bleiben, aber sich auch neue Wege suchen. Dieses Suchen hat ihn am Ende noch mehr geprägt als all die reibungslosen Jahre.

Fünf Mal Olympiasieger, 13 Mal Weltmeister, sieben Mal Gesamtsieger, ein Jahrzehnt lang hat sich Fourcade mit viel Ausdauer und nervenstarken Schießeinlagen zu einem der besten Biathleten der Geschichte entwickelt. Obwohl er mit 16 Jahren schon wegen Motivationsproblemen aufhören wollte, "ich hatte das Gefühl, meine Jugend zu verpassen", schrieb Fourcade einst in seiner Biographie.

Seine drei Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang vermarktete er wie einer, der wusste, dass diese Zeiten vielleicht nie wieder kommen werden. Werbe- und Sponsoren-Termine neben dem Training, dazu sein eigener Sommer-Biathlon-Wettkampf in Annecy, sportpolitische Arbeit im Olympia-Komitee für die Spiele 2024 in Paris - es war ein aufregender Sommer, der seine Spuren hinterließ.

Der folgende Winter stellte Fourcade auf die Probe, ein Rennen beendete er vor Frust gar nicht erst, bei der WM in Östersund blieb er ohne Medaille. "Ich habe gemerkt: Biathlon ist schwierig", sagte er nun in Antholz, da gab er ja fast in jeder Pressekonferenz poetische Antworten. Sein Gold im Einzel widmete er den Technikern und Betreuern. "Die Medaillen sind nichts ohne die Leute, die neben uns stehen. Sie haben dieselben Schmerzen gefühlt wie ich letzten Winter", sagte er.

Keiner kritisierte die Dopingpraktiken russischer Kollegen so scharf und beharrlich wie Fourcade

Das war dann tatsächlich ein neuer Fourcade, der da vor den Menschen auftrat. Seine alte Verbissenheit wurde ihm oft als Arroganz attestiert, er konnte ja auch wirklich lange schlecht verlieren, was wiederum eine ganz gute Basis fürs Gewinnen ist. 2013 verhakte sich der Schwede Frederik Lindström von hinten in seinen Skiern, da schlug Fourcade nach hinten aus, Lindström verlor dabei seinen Stock. Eine Übersprungshandlung, die der Franzose Sekunden später korrigierte, als er dem Schweden zur Entschuldigung seinen eigenen Stock reichte.

Der Entschluss, seine Karriere zu beenden, sei über den Winter schon gereift, sagte Fourcade noch, mit Johannes Thingnes Bö ist nun ein jüngerer Athlet dabei, beeindruckende Siegesserien hinzulegen. Dass dem Norweger das Leben nicht allzu leicht gemacht wird, dafür sollen mit Emilien Jacquelin, Simon Desthieux und Quentin Fillon-Maillet nun andere Franzosen sorgen. Fourcade sei der "Papa" der Mannschaft gewesen, schrieb Teamkollege Fabien Claude nach der Rücktrittsankündigung, der Ehrgeizling von früher konnte ja in Antholz schon Küsschen verteilen, wenn ihn die anderen im Team überholten. Jacquelin gewann Gold in der Verfolgung, Fillon-Maillet Silber in Sprint und Massenstart. Vielleicht lag auch dieses Gefühl in Fourcades Tränen nach dem Staffel-Erfolg in Antholz: Frankreich kommt jetzt ohne ihn aus.

Eigentlich wäre der Weltcup in Oslo am kommenden Wochenende seine letzte Station gewesen, aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus wurden die Wettbewerbe in Norwegen aber gestrichen, ebenso wie die Mixed-Staffeln, die am Sonntag in Kontiolahti hätten stattfinden sollen. Schon in der vergangenen Woche waren die Biathleten in Nove Mesto in Tschechien zur Sicherheit ohne Zuschauer gelaufen. Schon da merkte Fourcade die Inkonsequenz im Umgang mit dem Coronavirus an, "der Biathlon-Zirkus zieht weiter, obwohl wir alle vor einer Woche noch in Italien waren", schrieb er auf Twitter.

Am bemerkenswertesten sind ja nicht mal seine Erfolge, Martin Fourcade hob sich durch etwas anderes am meisten ab: Keiner kritisierte die Dopingpraktiken russischer Kollegen so scharf und beharrlich wie er, und das als Bester seines Sports. Mit der boykottierten Flower-Zeremonie bei der WM 2017 in Hochfilzen auch noch auf der größten Bühne. Dass er nun - auf den Tag genau zehn Jahre nach seinem ersten Weltcupsieg - vor kleiner Kulisse abgetreten ist, passt trotz aller Wehmut zu seiner Karriere. Zu sich zu stehen war ihm stets wichtiger, als von allen Seiten Applaus zu bekommen.

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