Formel-1-Weltmeister:Hamilton kreist in seiner eigenen Umlaufbahn

  • Lewis Hamilton wird zum vierten Mal Formel-1-Weltmeister, doch ausruhen will sich der Brite nicht.
  • "Die Herausforderung wird größer, denn die Formel 1 schläft nie", sagt er. Sein Ziel lautet nun: Titel Nummer fünf.
  • Jackie Stewart hat er bereits als erfolgreichsten britischen Rennfahrer entthront.

Von Elmar Brümmer, Mexiko-Stadt

Der Champagner gehörte der Mama. Die nippte vier Stunden nach dem Großen Preis von Mexiko in einem Eck des Mercedes-Pavillons an ihrem Glas. Ihr Sohn, Lewis Hamilton, saß an der Stirnwand und beendete gerade einen Interview-Marathon, der doppelt so lang gedauert hatte wie der drittletzte WM-Lauf dieser Formel-1-Saison. Er brauchte erst einmal einen Proteinshake. Neunter ist Hamilton geworden in einem chaotischen und deshalb so spannenden Rennen. Das reichte, um im Fernduell gegen den Ferrari-Piloten Sebastian Vettel, der Vierter wurde, vorzeitig seinen vierten Weltmeistertitel zu holen.

Nach WM-Siegen herrscht jetzt Gleichstand zwischen den so gegensätzlichen Rennfahrern. Das Duell wird weitergehen, noch härter werden, auch der Tagessieger Max Verstappen im Red-Bull-Renault meldet Ansprüche an. So dachte der Champion nicht an den Feier-Abend, sondern an die Zukunft: "Die Herausforderung wird größer, denn die Formel 1 schläft nie", sagte er.

Hamilton philosophiert über Gott und die Welt

Die frühe Kollision zwischen Vettel und Hamilton in Mexiko mag das Titelrennen vorentschieden haben, aber sie war kein Thema mehr. Hamilton philosophierte in einem Zustand, den er "schwebend" nannte, über Gott und die Welt, die Abschrift füllt sechs eng beschriebene Din-A-4-Seiten. Er blickte über den Crash hinaus auf die ganze Saison zurück: "Das war wohl mein am härtesten erkämpfter Titel nach dem ersten von 2008. Denn ich hatte massive Konkurrenz durch das Team, das von allen als das beste eingeschätzt wurde." Ein ganz entscheidender Unterschied für den 32-Jährigen war: "Zum ersten Mal habe ich wirklich ein ganzes Team angeführt, es motivieren müssen, die technische Entwicklung mitbestimmt."

Eine Aufgabe, an der der Mann mit den vielen unterschiedlichen Qualitäten gewachsen ist, wie auch Gegenspieler Vettel neidlos anerkannte. Der Heppenheimer wollte sich nicht die Aussage zuschreiben lassen, dass Hamilton nur das zuverlässigere Auto gehabt habe: "Lewis verdient diesen Titel. Er war im direkten Kampf der bessere Mann, auch über das ganze Jahr gesehen", sagte Vettel.

Der verbissene Kämpfer Vettel hatte es im Autodromo Hermanos Rodriguez von Platz 19 zurück auf vier geschafft, doch die Zieldurchfahrt markierte die Ankunft in der Realität. Bleiern drückte die Traurigkeit auf das Gemüt und die Stimme, tatsächlich hat er bis zum letzten Meter gehofft, das Titelrennen zumindest noch offen halten zu können: "Ich habe bis zur letzten Runde an nichts anderes gedacht, und dass vielleicht noch etwas passiert. Ich habe so hart gekämpft, wie ich nur konnte. Und dann plötzlich ist es vorbei. Es ist ein harter Tag." Vielleicht der härteste seiner Karriere. Vier Jahren als Champion haben sich nun vier Jahre ohne Titel angeschlossen. Vettel braucht jetzt erst mal ein paar Tage frei.

Eine wegen ihrer Kuriositäten äußerst unterhaltsame Saison

Hamilton war nicht minder vom Kampf beseelt im drittletzten WM-Lauf, er dachte an das Motto eines seiner Tattoos: "Still I rise - daran wachse ich." Die Geschehnisse bei der Kollision mit Vettel in der Kurve hätten sich so angefühlt wie die blutige Nase, die er sich als Kind beim Boxen geholt hatte. Aber sein Vater schickte ihn immer wieder zurück in den Ring: "Und deshalb habe ich weiter Gas gegeben, egal, wie weit ich hinten lag." Er gab auch dann nicht auf, als er vom späteren Sieger Max Verstappen in seinem Red-Bull-Boliden überrundet wurde.

Ein Überrundeter wird Weltmeister, das gibt es auch nicht alle Tage - aber das passt zu einer auch wegen ihrer Kuriositäten äußerst unterhaltsamen Saison. Der Reporter, der Hamilton dazu bringen wollte, Vettel Absicht beim Crash zu unterstellen, blieb im Ansatz stecken: "Kumpel, ich nehme jetzt das ganze Negative und schicke Dir Positives zurück!" Sein Vorbild in Sachen Gelassenheit sei der Tennisspieler Rafael Nadal, vom ihm könne man viel lernen. Dessen Lieblingsfarbe sei zwar Rot, "aber ich bin stolz darauf, mit einem silbernen Schwert zu kämpfen. Einem Meisterschwert, würde ich sagen."

Hamilton, der Magier

Mercedes-Teamaufsichtsrat Niki Lauda, den er nach Titeln jetzt auch überflügelt hat, funkte ein "vierfaches Thank you" ins Cockpit. Selten, dass der Österreicher so mitgerissen wird. Hamilton erscheint momentan tatsächlich wie ein Magier.

Nach dem Sieg legte er sich den Union Jack wie ein Handtuch um den Hals. Den ganzen Spätnachmittag in Mexiko versuchte Hamilton, den Stellenwert seines Erfolges zu bemessen. Dann gab er vorerst auf: "Wo ich jetzt gelandet bin, das ist jenseits meiner Vorstellungskraft." Das Idol Ayrton Senna übertroffen, dem anderen Idol Michael Schumacher nähergerückt. Jackie Stewart als erfolgreichsten britischen Rennfahrer entthront - die Queen kann kaum anders, als ihn auch zum Sir zu ernennen.

Darauf angesprochen, lächelt Hamilton, der seit Wochen in seiner eigenen Umlaufbahn um die Rennstrecken kreist, beinahe selig. Viel wichtiger ist zunächst das, was im nächsten Monat passieren soll: die Vertragsverlängerung über die Saison 2018 hinaus. Vorverhandlungen hat es schon gegeben, "ich denke, das geht jetzt ganz leicht über die Bühne." Denn das, was der Chauffeur mit der Fahrzeugnummer 44 will, ist klar: "Titel Nummer fünf."

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