Formel 1:Vettel mimt den Gute-Laune-Onkel

F1 Grand Prix of Singapore - Qualifying

Steht in Singapur unter Druck: Sebastian Vettel

(Foto: Getty Images)
  • Zum ersten Mal im Titelrennen dieser Formel-1-Saison liegt Sebastian Vettel nicht mehr vorn, er hat drei Punkte Rückstand auf Lewis Hamilton.
  • Singapur ist die Station im Kalender, die Ferrari vielleicht am besten und Mercedes am wenigsten liegt.
  • Ob ein Sieg Pflicht sei? "Wir müssen gar nix", findet Vettel.

Von Elmar Brümmer, Singapur

Als wenn der Marina Bay Street Circuit nicht schon genug Kurven hätte, 23 scharfe Knicke auf nur fünf Kilometer verteilt: Sebastian Vettel muss auf dem Weg zur Pressekonferenz noch ein paar Schlenker mehr machen, sich zwischen Stromverteilerkästen und Kühlaggregaten durchzwängen, ehe er im Hinterhof des Fahrerlagers unter einem Baldachin Platz nimmt, der an ein Partyzelt aus dem Baumarkt erinnert. In diesem Winkel der Königsklasse ist kein Glanz mehr, es riecht nach Schweiß. Aus Angst vielleicht?

Zum ersten Mal im Titelrennen dieser Saison liegt Sebastian Vettel nicht mehr vorn, er hat drei Punkte Rückstand auf Lewis Hamilton. Sein dritter Platz beim Heimspiel in Monza war aus seiner Sicht noch die bestmögliche Schadensbegrenzung, für Fiat-Chef Sergio Marchionne allerdings ein "Desaster". Vettel hat ja oft eine spezielle Sicht auf die Dinge: Bei seiner Kollision mit Lewis Hamilton in der Safety-Car-Phase von Baku, bei dem angeblichen Mercedes-Fehlstart von Valtteri Bottas in Spielberg - oder zuletzt beim Verlust der WM-Führung in Monza. Aus Vettels Perspektive sieht manches etwas anders aus - auch die Bedeutung des Nachtrennens für Ferraris Weltmeisterschafts-Pläne.

"Für uns gibt es noch viele Möglichkeiten, um Punkte gutzumachen"

Wer die einzelnen Etappen gewinnen wird im Duell zwischen Mercedes und Ferrari, ist einfacher vorherzusagen als das Ergebnis im Titelrennen. Es genügt ein Blick auf die Charakteristik der jeweiligen Rennstrecke. Der lange Silberpfeil läuft auf schnellen Pisten mit vielen Geraden am besten, der Ferrari auf winkligen Kursen. Singapur ist die Station im Kalender, die der Scuderia vielleicht am besten und Mercedes am wenigsten liegt. 2015 erlitt Mercedes eine unerklärliche Niederlage, die schlimmste während der Phase der Dominanz in der Hybrid-Ära, den Sieg holten damals Vettel und Ferrari.

Auf Singapur folgen sechs Kurse, die nicht ganz so eindeutig zuzuordnen sind, aber mehrheitlich Mercedes besser liegen dürften. Hamilton hat seine Pflicht zuletzt mit Siegen auf den Hochgeschwindigkeits-Strecken in Spa und Monza erfüllt. Jetzt muss Vettel liefern. Auch wenn der das mal wieder anders sieht. "Wir müssen gar nix", antwortet Vettel auf die Frage, ob ein Sieg Pflicht sei: "Aber wir können, wenn sich die Chance ergibt." Bislang sei der Ferrari gut auf jeder Strecke gewesen, "und wie wichtig dieses Rennen tatsächlich für die Weltmeisterschaft ist, wissen wir erst im Nachhinein. Für uns gibt es noch viele Möglichkeiten, um Punkte gutzumachen".

Für Vettel und Ferrari bleibt Singapur dennoch ein Alles-oder-Nichts-Rennen. Weshalb Vettel wohl aus Kalkül den Guten-Laune-Onkel gibt. Der Druck ist enorm. Ein Fahrfehler kann alles entscheiden. Die bittere Erfahrung hat im Vorjahr Hamilton im Duell mit seinem Teamkollegen Nico Rosberg machen müssen. Dass sich die Anspannung auf das komplette Personal überträgt, macht es nicht einfacher.

Wie unterschiedlich Mercedes und Ferrari mit dem Druck umgehen

Interessant, wie gegensätzlich die Teams mit dem Druck umgehen: Mercedes öffnet sich, zelebriert sein Innenleben in den sozialen Netzwerken und kalkuliert eine Niederlage beim Flutlichtrennen ein. Ferrari verknappt die Informationen mehr und mehr, gut zu erkennen an den sechs Klappstühlchen für das Zehnfache an Journalisten auf der Pressekonferenz. Alles was gesagt und nicht gesagt wird, läuft darauf hinaus, dass man partout nicht Favorit sein will.

"Entscheidender für mich ist, wer in Abu Dhabi Erster ist", sagt Vettel mit einem Grinsen, "was auch immer bis dahin passiert, passiert eben. Es ist gerade hier viel weiser, sich mit dem Rennen zu beschäftigen, statt sich ablenken zu lassen." Mal kurz um die Welt zu jetten, wie es Hamilton beim Besuch der New Yorker Fashion Week getan hat, das ist nicht Vettels Ding. Wenn er "Models" sagt, dann meint er historische Autos und nicht Heidi Klum und Winnie Harlow, dementsprechend hat er sein freies Wochenende lieber bei den 70-Jahre-Feierlichkeiten von Ferrari in Maranello verbracht.

Die Schlappe von Monza und ein mysteriöser Defekt an der Lenkung ließen Vettel nicht an seinem Auto zweifeln. Zumindest bis zum zweiten Freien Training am Freitag, bei dem er lediglich die elftbeste Zeit fuhr und die Streckenbegrenzung berührte. "Ich hab' das Auto verloren", sagte er. "Ich vermisse die Balance und das Vertrauen." Zwischen den Betonmauern von Singapur ist Vertrauen entscheidend. Vettel weiß das von seinen vier Siegen dort, drei davon im Weltmeisterauto von Red Bull. Sein ehemaliger Rennstall ist auch an diesem Wochenende der Geheimfavorit, Daniel Ricciardo und Max Verstappen könnten durchaus noch Einfluss haben auf das Titelrennen.

"Es wird eine sehr große Aufgabe, die Herausforderung Singapur zu meistern", ahnt Mercedes-Teamchef Toto Wolff, "wir haben den Finger in unsere Wunden gelegt und eine Menge auf den Pisten gelernt, auf denen wir ins Straucheln geraten sind." Eine Hoffnung ist die Schnelligkeit des Mercedes auf einer Runde; im Duell um die Pole-Position steht es in diesem Jahr 8:2 für Hamilton gegen Vettel. Der Brite hat drei der vergangenen vier Rennen gewonnen, als erster Fahrer in dieser Saison zwei Rennen nacheinander. So etwas setzt bei ihm für gewöhnlich zusätzliche Kräfte frei. "In Singapur geht es immer ans Limit", sagt Vettel, "das macht auch den Reiz aus. Es ist so, als ob man eine schwere Prüfung bestehen muss." Er meint damit die äußeren Bedingungen in der schwülen südostasiatischen Nacht. Nicht eine innere Unruhe.

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