Formel 1:Vettel fährt wie Moses durch das Rote Meer

Sebastian Vettel

Macht Platz um Platz in Sepang gut: Sebastian Vettel landet am Ende auf dem vierten Platz.

(Foto: AP)

Von Philipp Schneider

Um 8.31 Uhr deutscher Zeit jaulte der Motor auf in einer Garage in Malaysia und hinaus rollte ein Auto. Das allein war natürlich noch keine Sensation, auch in Malaysia fahren Autos. Aber weil die Garage überschrieben war mit dem Namen von Sebastian Vettel, erreichte diese Meldung doch noch einen beachtlichen Nachrichtenstatus. Ja, Vettels Dienstwagen fuhr wieder. Dem Anschein nach beschleunigte sein Ferrari sogar, er ließ sich bremsen und lenken, was im Wettbewerb um die Weltmeisterschaft in der Formel 1 nicht schaden kann. Um 8.31 Uhr deutscher Zeit konnte allerdings noch niemand ahnen, dass Vettel mit ihm ein kleines Wunder vollbringen sollte.

Außer Vettel selbst, der ja seinen traurigen Mechanikern am Vortag angekündigt hatte: "Keine Sorge, Jungs, wir haben ein schnelles Auto. Da ist noch viel drin."

In der Tat war einiges drin in diesem letzten Rennen in Malaysia. Beispielsweise ein Sieg von Max Verstappen, der erst zweite in der Karriere des 20-jährigen Holländers. Vor allem aber gab es eine irrwitzige Aufholjagd von Vettel. Als Letzter fuhr er los, als Vierter preschte er über die Ziellinie - nur zwei Plätze hinter seinem WM-Rivalen Lewis Hamilton. Numerisch hat der Brite den Abstand auf Vettel um sechs Zähler auf 34 Punkte vergrößert. Psychologisch ist er allerdings kleiner geworden, nach diesem Höllenritt von Vettel. Der übrigens, auch das war drin in diesem Rennen, zu einem Zeitpunkte einen Unfall erlebte, als niemand mehr einen Unfall erleben dürfte. Nach Rennende. Vettel kollidierte mit dem Williams von Lance Stroll, woraufhin er seinen Ferrari auf drei Rädern abstellte. "Ich glaube, er hat vergessen, nach vorn zu gucken", sagte Vettel, der hintere Teil seines Ferrari sei "komplett zerstört".

Am Vortag hatte sein Auto zweimal gestreikt, weswegen Vettel keine einzige gezeitete Runde vorweisen konnte, um sich um die beliebteren der insgesamt 20 Startplätze in Sepang zu bewerben. Erst gab es im Vormittagstraining einen Energieverlust, weswegen Vettels Mechanikern in zweieinviertel Stunden sozusagen eine Operation an der offenen Haube gelingen musste. Doch dann dem Einrollen schlug Vettel wieder Alarm: "Kein Druck!"

Dieser riesige Schlamassel von Malaysia hatte am Ende noch etwas Gutes für Vettel. Er hat jetzt für die verbliebenen fünf Rennen einen neuen Motor und weitere Teile im Auto verbaut. Normalerweise hätte Vettel für diesen Eingriff eine Strafversetzung um 20 Plätze erhalten. Da er aber ohnehin als Letzter in dieser Rennen starten musste, konnte ihm eine Strafversetzung egal sein. Weiter hinten als ganz hinten gibt es nicht einmal in der Formel 1.

Die maximale Distanz trennte also die WM-Rivalen Lewis Hamilton und Sebastian Vettel, der Brite stand ganz vorne und der Deutsche ganz hinten. Und neben Hamilton parkte: niemand. Normalerweise hätte von dort Kimi Räikkönens Ferrari starten sollen. Allerdings hatte nun, einen Tag nach Vettel, der Finne Probleme mit seinem Motor. Er schaffte es nicht einmal in die Startaufstellung.

Verstappen setzt sich in der vierten Runde an die Spitze

"Ich will nur nicht wieder ins Sandwich", flehte Max Verstappen vor dem Start in ein Fernsehmikrofon, was recht lustig war. Im Rennen in Singapur war der Holländer ja zwischen die Räder der Ferraris geraten, Kimi Räikkönen links, Vettel rechts, und nach allerlei Rempeleien hatten alle drei die erste Runde nicht überstanden. 490 Meter sind es in Malaysia bis zur ersten Kurve. Es gibt reichlich Platz, um sich zu berühren und von der Strecke zu befördern. Aber diesmal blieb es friedlich. Auch weil der fehlende Räikkönen unfreiwillig etwas Platz geschafft hatte.

Valtteri Bottas gelang gefühlt ein ähnlich guter Start wie in Österreich, bei dem Vettel einen Fehlstart gewittert hatte, er überholte Ricciardo und schoss vor von Rang fünf auf drei. Vettel machte in der ersten Runde gleich sechs Plätze gut, tastete sich vor auf Position 13. Nach drei Runden war Vettel schon Elfter, allerdings blockierte nun vor ihm das gefühlt sehr breite Heck von Fernando Alonso die Sicht auf die punktebringenden Plätze. Auch an der Spitze geschahen erstaunliche Dinge: Verstappen griff Hamilton an und setzte sich in Runde vier an die Spitze des Feldes.

Droht Vettel eine Strafe im nächsten Rennen?

Vettel hatte sich eine etwas härtere Reifenmischung aufziehen lassen. Das Kalkül war, dass er länger draußen bleiben und so Zeit würde gut machen können, sobald die mutmaßlich langsameren Autos vor ihm zum ersten Halt an die Box fahren würden. Ferrari war ja eigentlich hochgradig überlegen in Malaysia: Am ersten Trainingstag waren die roten Wagen eine Sekunde schneller als Mercedes. Und auch nach dem dritten Training trennten Vettel und Hamilton noch immer eine halbe Sekunde.

Mercedes war allerdings nicht wirklich schnell in Sepang. Mercedes war sogar so schlecht, dass sich Vettel noch Hoffnung auf den Titel machen darf. Verstappen führte nicht nur, er setzte sich auch schnell ab von Hamilton - und auch Ricciardo überholte wieder Bottas. Der WM-Führende lag nun im Sandwich der Red Bulls.

Weiter hinten pflügte Vettel durch das Feld wie einst Moses durch das Rote Meer. Mit dem Unterschied natürlich, dass Alonso nicht so willfährig Platz machte wie damals der Ozean. Doch nach zehn Runden war Vettel an dem zweimaligen Weltmeister vorbei, nach zwölf Umdrehungen lag er auf Position neun. Nach 21 Runden schnappte sich Vettel auch Sergio Perez, lag nun schon auf Platz fünf. Nach 23 Runden erblickte ihn Bottas in seinen Rückspiegeln. Nun war es Hamiltons Teamkollege, der sich breit machte auf der Strecke.

Nach 27 von 56 Runden fuhr Hamilton als erster Fahrer aus der Spitzengruppe an die Box, eine Umdrehung später kam Vettel. Hamilton rollte nun auf der zweitweichsten Mischung, Vettel auf der weichsten. Die Frage war: Würden diese halten bis zum Rennende?

Vettel bleibt der dritte Platz verwehrt

Zunächst passierte er mit dieser Strategie, einem Undercut, Bottas, der erst später an die Box kam. Vettel hatte freie Fahrt, drehte die schnellste Rennrunde, nach 32 Umdrehungen war er Vierter - zwölf Sekunden hinter Ricciardo. Und weil Vettel im Schnitt eine Sekunde schneller fuhr als der führende Verstappen, dürfte Hamilton in diesem Moment ein nervöses Hirngrübeln überfallen haben. "Vettel wird in fünf Runden bei dir sein", funkte der Kommandostand an Ricciardo in Runde 44. Ein Irrglaube. Er war schon bei ihm in Runde 46. Vettel setzte an zum Überholen, Ricciardo konterte. Das Bremsmanöver gab Vettels weicheren Reifen den Rest - und der Kommandostand pfiff ihn nun zurück. Vettel sollte vom Gas gehen, bloß keinen Crash riskieren. "Lasst es mich versuchen!", flehte Vettel. Aber er ließ es sein.

Den Crash mit Stroll gab es trotzdem noch. Es war der garantiert unnötigste in dieser an Crashs nicht armen Saison. Sollte Vettels Getriebe deshalb ausgetauscht werden müssen, droht ihm in Suzuka eine Strafversetzung um fünf Plätze.

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