Formel 1 in Baku:Ferrari hadert im Weltkulturerbe

Azerbaijan Grand Prix

Sebastian Vettel musste zusehen, wie Bottas seinen Sieg feierte.

(Foto: REUTERS)
  • Der Grand Prix in Baku bietet wenig Spektakel, doch es zeigt sich, wie überlegen aktuell die Mercedes-Autos sind.
  • Der Finne Bottas gewinnt am Ende ein komisches Rennen - in dem Ferrari schon früh viel verspielt.

Von Philipp Schneider

Wagen an Wagen sausten die vier schnellsten Piloten auf den letzten Runden dieses ungewöhnlichen Rennens durch die Altstadt von Baku. Vorbei an den herrlich gemauerten alten Wänden und durch die engen Gassen, in denen keine zwei Geländewagen nebeneinander Platz finden, rasten Valtteri Bottas, Lewis Hamilton, Sebastian Vettel und Max Verstappen - es trennten sie jeweils weniger als drei Sekunden voneinander. Normalerweise hätten die Zuschauer nun ihren Anspruch auf ein paar Überholmanöver erheben dürfen.

Das hier war schließlich die berüchtigte Rundfahrt am Kaspischen Meer, eine Strecke, auf der es in jedem Jahr traditionell mehr Trümmerteile als Zuschauer zu sehen gibt. Und auf der sich eigentlich nicht die Frage stellt, ob das Safety Car ausrücken muss, sondern nur: wie oft?

Aber was war schon normal an der diesjährigen Auflage des Rennens in Aserbaidschan, in der es nur ein Safety Car zu erleben gab, ein virtuelles. Und an deren Ende die vier Piloten in unveränderter Folge die Ziellinie querten: Bottas siegte vor Hamilton, gefolgt von Vettel und Verstappen. Erst 69 Sekunden danach schleppte sich Charles Leclerc zur finalen Flagge, nachdem er sehr, sehr lange mit seinem ersten Satz Reifen hatte auskommen müssen.

Das Rennen verlor Ferrari in der Qualifikation. Charles Leclerc fuhr an der engsten Stelle in die Mauer

Für Bottas war das eine wunderbare Nachricht. Schließlich ist er mit einem Punkt Vorsprung auf Hamilton nun sogar wieder Führender der Gesamtwertung. Für Liebhaber von teamübergreifenden Spannungsbögen in der Formel 1 war dies allerdings eine sehr schlechte Nachricht. In Baku vollzog sich bereits der vierte Doppelerfolg von Mercedes im vierten Rennen. Es bräuchte inzwischen die überschäumende Fantasie eines Autors wie Karl May, um das Drehbuch dieser Saison noch mit einer Pointe zu bereichern, die der Scuderia Ferrari eine Wende ermöglichen könnte.

35 Punkte liegt Vettel bereits hinter Bottas, doch als ihm nach dem Rennen das Mikrofon vor den Mund gehalten wurde, da gelang ihm das Kunststück, ein wenig Zuversicht zum Ausdruck zu bringen: "Wir sind Dritter, es wartet viel Arbeit auf uns. In diesem Moment müssen wir einfach versuchen, das Maximale aus unseren Möglichkeiten herauszuholen."

Und es war auch so: Diesmal hatte die Scuderia das Rennen bereits in der Qualifikation verloren. In dem Moment, als nicht Vettel ein Fehler unterlief. Sondern Leclerc. An der engsten Stelle des Kurses in der Altstadt, die nicht einmal acht Meter breit ist, war der 21-Jährige, der zuvor in allen Trainingseinheiten und auch dem ersten Teil der Qualifikation der Schnellste gewesen war, am Samstag in die Begrenzungsmauer gekracht. Er verpasste den letzten Qualifikationsabschnitt und musste am Ende von Position acht ins Rennen starten.

Ohne Safety Car war dies ein zu weiter Weg. Bottas, der in seiner schnellsten Qualifikationsrunde Windschatten genossen hatte, und Hamilton starteten aus der ersten Reihe - vor Vettel und Verstappen. Völlig unfallfrei brachten die Piloten die erste Runde hinter sich. Hamilton rollte sogar etwas schneller los als Bottas, verzichtete in den folgenden Kurven aber auf Kampflinie, um keinen Unfall zu riskieren. Sergio Perez fuhr vorbei an Verstappen und sicherte sich für ein paar Runden Position vier. Weiter hinten fiel Leclerc zwei Positionen zurück - auch, weil er als einer von wenigen Fahrern auf den härteren Medium-Reifen ins Rennen rollte. In Baku lässt es sich aber nicht nur vortrefflich kollidieren, sondern auch blendend überholen. Nach vier Runden hatte sich Leclerc auf Rang acht vorgearbeitet.

Und Vettel? Der hatte Probleme. Während Bottas die schnellste Rennrunde vorlegte, fuhr Vettel 1,2 Sekunden langsamer pro Runde als der flotteste Mercedes. "Die Reifen waren zu kalt, dann habe ich sie überstrapaziert. Ich habe auch die ganze Zeit kein Vertrauen ins Auto gehabt", sagte Vettel. Nach sieben Runden war Leclerc schon Fünfter - nur sieben Sekunden hinter Vettel. Zwischen den zwei Ferraris lag nur noch Verstappen als Puffer. Der klagte über Bremsprobleme. Mühelos zog Leclerc in Runde zehn vorbei. Nun machte er Jagd auf Vettel, auf härteren Reifen rollte er 1,4 Sekunden schneller als sein Teamkollege.

Die Frage war: Wie lang würde Ferrari Leclerc auf seinen gebrauchten Reifen fahren lassen?

Die Scuderia reagierte. Um eine Stallorder zu vermeiden und um Mercedes unter Druck zu setzen, riefen sie Vettel zum Reifentausch. Zu einem sehr frühen. Mercedes musste kontern, holte erst Bottas, dann Hamilton an die Box. Leclerc führte also nach 14 Runden das Feld an, nutzte aber im Gegensatz zu den anderen drei Piloten noch den ersten Satz Pneus. Vettel, der nun ebenfalls auf den härteren Reifen fuhr, kam mit diesen ebenfalls sehr viel besser zurecht - er schloss dicht auf zu Hamilton. Die Frage war: Wie lang würde Ferrari Leclerc auf gebrauchten Reifen Auslauf gewähren? Und könnte der junge Monegasse womöglich mit nur einem Stopp auskommen? Nun, er konnte nicht.

Die zwei Silberpfeile brachten ihre Reifen immer besser auf Temperatur. Hamilton zog Vettel für eine Weile leicht davon, er lag nach 20 von 51 Runden wieder fast vier Sekunden vor ihm. Und an der Spitze schrumpfte Leclercs Vorsprung - nur noch acht Sekunden trennten ihn von Bottas. Von Leclerc ging allenfalls eine abstrakte Gefahr aus für Mercedes. Wäre ein Safety Car ausgerückt, hätte er seine Reifen tauschen können in einem Moment, in dem das ganze Feld verlangsamt fährt.

Nur: Es gab diesmal kein Safety Car. Und Leclercs Vorsprung schrumpfte wie ein Eiswürfel auf der Herdplatte - bis auf drei Sekunden. "Start to make a move on Leclerc!", funkte Mercedes an Bottas, er solle sich den Monegassen nun schnappen. Das tat er in Runde 32. Auch Hamilton zog vorbei. Und als Vettel in Leclercs Rückspiegel auftauchte, leistete letzterer auch keinen Widerstand. Der wäre auch sinnlos gewesen, bei der Scuderia waren sie ja zur Erkenntnis gelangt, dass Leclerc ohnehin noch zweimal die Reifen würde tauschen müssen.

Als Pierre Gasly seinen Red Bull gegen Ende mit einer Panne am Straßenrand abstellte, sah es kurz so aus, als könnte noch etwas Spannendes geschehen im Unesco-Weltkulturerbe Altstadt von Baku. Aber dieser Eindruck war trügerisch.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir Baku fälschlicherweise am Schwarzen Meer verortet. Die Hauptstadt Aserbaidschans liegt natürlich am Kaspischen Meer - dem größten See der Erde.

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